Deutschstunde. Siegfried Lenz

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Deutschstunde - Siegfried Lenz

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und ich bückte mich, legte den Kopf tief zur Seite, sah über das Schäumen und Glitzern hin und dachte mir das Meer als Himmel und den dunklen Himmel als Meer, und als ich hochsah und mich umdrehte, entdeckte ich sie.

      Jutta hockte lautlos und unbeweglich neben dem Schrank, sie hockte im Schneidersitz auf dem Boden, die Hände im Schoß, die mageren Schenkel so gespreizt, daß sich der Stoff ihres Kleides straff spannte, und ich sah, daß sie lächelte und nur das verstörte und fassungslose Lächeln von Addi erwiderte. Ich wunderte mich. Ich sah von einem zum andern, von Juttas knochigem, spottlustigem Windhundgesicht zu Addi, der nur steif und nutzlos dastand, eine verwunderte Kleiderpuppe und so weiter, deren ganze Verwunderung einem sechzehnjährigen Mädchen mit magerem Nacken, mit mageren Schenkeln und schnellen, unternehmungslustigen Augen galt – eben Jutta, die nie meinte, was sie sagte, und die Bleekenwarf verhext hatte, seit der Maler sie mit ihrem kleinen, gewalttätigen Bruder Jobst aufgenommen hatte nach dem Tod ihrer Eltern, die ebenfalls Maler gewesen waren.

      Jedenfalls versuchte ich, dies stumme Erkennungsspiel zu begreifen, und ich wollte etwas sagen, doch da sagte schon meine Schwester: Reib dich ab, Addi, der Regen ist kalt, und gleichzeitig drückte sie ihm das Taschentuch in die Hand und stieß ihn auf ihre Art mit dem Ellenbogen auffordernd in die Seite, worauf er sie verständnislos anblickte, doch in schweigendem Gehorsam begann, sich abzurubbeln. Und während er das riesige Taschentuch gebrauchte, sagte Hilke zum Maler: Das ist Addi, mein Verlobter, er ist hier nur zu Besuch; und der Maler darauf, lächelnd in die Ecke weisend: Und das ist Jutta, sie wohnt bei uns mit ihrem Bruder. Darauf gab Hilke Jutta die Hand, Addi gab dem Maler die Hand, und nachdem ich Jutta die Hand gegeben hatte, gab ihr auch Addi die Hand, wobei mir einfiel, daß ich Max Ludwig Nansen noch gar nicht die Hand gegeben hatte und dies tat und damit erreichte, daß Hilke ihr Versäumnis begriff und schnell noch dem Maler die Hand gab, und fast hätte ich auch noch Hilke die Hand gegeben, wenn der Maler nicht zwischen uns getreten wäre, um seine Pfeife von einem Bord zu nehmen.

      Ich hoffe, das geht bald vorüber, sagte Hilke. Das Gewitter, sagte der Maler, nicht der Regen. – Das hast du davon, sagte Hilke zu mir, warum bist du uns nachgegangen, und ich darauf: Ich bin schon naß, und ich sah, wie die Männer sich überrascht und in belustigter Anerkennung zublinzelten über meinen Kopf hinweg, und Addi bot dem Maler eine Zigarette an, doch der hielt nur seine Pfeife hoch und lehnte ab. Der Maler setzte seine Pfeife in Brand, trat ans Fenster der Hütte und sah hinaus in den Wind, in die Dunkelheit über dem Meer, wo vermutlich wieder etwas geschah, was nur er ausmachen konnte mit seinen grauen geduldigen Augen. Ich hatte ihm schon anzusehen gelernt, wenn er in einen Anblick unsichtbarer Vorgänge, Bewegungen, Erscheinungen vertieft war, auch kannte ich die Haltung, die er einnahm, wenn er sich mit seinem Balthasar besprach oder mit ihm zankte. Es genügte mir, ihn zu beobachten, ich brauchte gar nicht seinem Blick zu folgen, um zu wissen, daß er seine Aufmerksamkeit an das phantastische Volk verloren hatte, das sein Auge überall erweckte: Regenkönige, Wolkenmacher, Wellengänger, Steuerleute der Luft, Nebelmänner, die großen Freunde der Mühlen, des Strandes und der Gärten: sie erhoben sich und zeigten sich ihm, sobald sein Blick sie lossprach von ihrem geduckten, heimlichen Leben.

      Paffend stand er vor dem Fenster und starrte hinaus in die Brandung, mit verengten Augen, den Kopf gesenkt wie zu einem Rammstoß, während Jutta geräuschlos hervorkam aus der Dämmerung, lächelnd ihre starken Schneidezähne entblößte und sich von neuem Addis erstaunten Fragen stellte.

      Da hörte ich Hilke auflachen. Sie schwenkte ein Blatt in der Hand. Sie hatte es unter einer Mappe vom Arbeitstisch weggezogen, ohne daß der Maler es gemerkt hatte. Was ist? fragte ich. Komm, sagte sie, komm nur, Siggi. Sie sah auf das Blatt und lachte wieder. Was fehlt dir? fragte ich, und sie legte das Blatt flach auf den Tisch, glättete es und fragte: Erkennst du ihn? Ja?

      Möwen, sagte ich, lauter Möwen, denn zuerst erkannte ich nichts anderes als dies: eine stürzende, eine brütende, eine schwebend patrouillierende Möwe, doch dann entdeckte ich, daß jede Möwe eine polizeiliche Dienstmütze trug und einen Hoheitsadler auf dem gewölbten Bug, und dies nicht allein: alle Möwen glichen meinem Vater, sie hatten das lange, schläfrige Gesicht des Polizeipostens Rugbüll, und an ihren dreizehigen Füßen trugen sie sehr kleine Gamaschenstiefel, wie mein Vater sie trug. Tu das man in die Mappe, sagte der Maler mit zögernder Stimme, aber Hilke wollte nicht, Hilke bettelte: Schenk mir das, ja, bitte, schenk mir das, und der Maler wieder: Tu das in die Mappe, sag ich, und als Hilke das Blatt einfach zusammenrollen wollte, nahm er es ihr aus der Hand, schob es in die Mappe und sagte: Das könnt ihr nicht haben, das brauche ich noch. Dann zog er die Mappe zu sich herüber und legte einen Karton mit alten Farbtuben darauf. Wie heißt denn das Blatt, fragte Hilke.

      Steht noch nicht fest, sagte der Maler, vielleicht aber »Lachmöwen im Dienst«, ich weiß noch nicht.

      Dann nicht, sagte Hilke plötzlich, aber warum zeichnest du nicht mich? Du hast es mir einmal versprochen, oder mich und Addi; komm Addi, und meine Schwester griff nach dem Arm ihres Verlobten und schob ihn energisch dem Maler entgegen, mit einer Geste, die kaum etwas anderes besagen konnte als: dieser Mann läßt sich viel leichter porträtieren als vergleichbare Männer, nur zu. Es geht nicht, sagte der Maler. Warum, fragte meine Schwester, warum geht es nicht? – Ich hab mir die Hand verbrüht, sagte der Maler, und Hilke: Richtig verbrüht? und der Maler nickend: Auf lange Zeit verbrüht.

      Das Gewitter stand jetzt über der Halbinsel, und es liegt nahe, schulmäßig zündende Blitze zu beschreiben, auf Böen und alle Variationen des Donners einzugehen, ich könnte die Verlorenheit der Hütte am Fuß der Dünen bestätigen, das Ächzen des Holzes unter Sturmstößen, die Bodenplanken könnte ich erzittern und den Kitt an der Scheibe platzen lassen: Gewitter von See her sind ja bei uns häufig verzeichnete Geschehnisse.

      Aber nicht das Gewitter bedeutet meiner Erinnerung etwas, sondern die Feststellung meiner Schwester, daß die Hütte zu lange einen Besen entbehrt hatte oder eine ordnende Hand; das stellte sie fest beim Reißen der Blitze, und was jedem mißglückt wäre – ihr gelang es: Hilke entdeckte prompt die verborgene Handeule mit den steif gebogenen Borsten, fragte erst gar nicht, ob jemand etwas dagegen hätte, zog den Mantel aus, schubste die Hocker zur Seite und begann zu fegen. Zielbewußt kehrte sie den Sand in eine Ecke, drängte uns alle zum Arbeitstisch und setzte bei der Tür an. Sie türmte die Hocker aufeinander. Sie ordnete Liegendes auf den Regalen. Den vernachlässigten Spirituskocher wedelte sie rein. Hin und her bewegte sie sich mit ruhigem Eifer und fand die Hütte zu klein für ihre Geschäftigkeit und zögerte, die Hocker an ihren Platz zurückzustellen, weil das ein Ende bedeutet hätte.

      Und Jutta. Jutta kauerte lächelnd auf einem hölzernen Schlafgestell, ihre starken Schneidezähne schimmerten, ihr Blick ruhte auf Addi, der sich verlegen hierhin und dorthin schubsen ließ. Er hätte gern etwas gesagt, womöglich hätte er am liebsten einen Fuß auf den wieselnden kleinen Besen gesetzt und zugetreten, das möchte ich annehmen, doch er schwieg nur und fügte sich gehorsam in alles, was Hilke ihm zumutete.

      Ich weiß noch den Augenblick, wie er zusammenzuckte, ich weiß auch noch sein Erschrecken, als es auf einmal draußen an die Tür der Hütte klopfte, mitten im Gewitter fielen die Schläge gegen die Tür, und wir sahen uns alle ratlos an und zauderten, und schließlich war es der Maler, der den Riegel aufzog und öffnete, obwohl Addi unmittelbar neben der Tür stand. Der Maler brauchte den Drücker nur loszulassen, der Wind warf die Tür an die Hüttenwand.

      Gegen das Grau der Sanddünen, mit flatterndem Umhang, von Blitzen erhellt, die über sein Gesicht wetterten, verharrte mein Vater vor dem Eingang, ein behäbiger Nis, von mir aus, ein schwerfälliger Regenspuk, der uns lange im unklaren darüber ließ, was er wollte, denn er machte keine Anstalten, zu uns hereinzukommen, verharrte nur bedeutungsvoll und schien Spaß an unserer Unruhe zu finden, doch plötzlich sagte er tonlos: Siggi?

      Hier, sagte ich und flitzte gleich zu ihm, und er stieß einen Arm aus seinem Umhang, packte mich am Gelenk und riß mich zu sich nach draußen, wandte sich wortlos um und zerrte mich durch den Wolkenbruch

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