Deutschstunde. Siegfried Lenz

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Deutschstunde - Siegfried Lenz

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Bedeutung – als einer der größten Dramatiker des Lichts galt und so weiter. Und zum Schluß verbeugte er sich tatsächlich vor Ditte und der ganzen phantastischen Versammlung, griff hastig nach seinem Glas und kippte den Klaren, den ihm der Maler hingeschoben hatte. Danach war ihm Erleichterung anzumerken. Er nickte heiter über den Tisch diesem zu und jenem. Er schob die gesteiften Manschetten mehrmals geduldig unter den Jackenärmel. Er bat darum, ihm das Glas von neuem zu füllen mit weißem Klaren. Er wischte sich über die Stirn und war zufrieden.

      Doktor Busbeck konnte auch zufrieden sein, da er doch sah, wieviel er uns anging, und als Max Ludwig Nansen sagte: Nu woll’n wir uns mal den Geschenktisch bekieken, hob Doktor Busbeck das blasse, ungezeichnete Gesicht und saß nur noch da, bis zwei ihn kurzerhand emporzogen aus seinem Stuhl und ihn vorangehen ließen zum Atelier, wo der Maler oder Ditte oder wahrscheinlich alle beide einen Geschenktisch aufgestellt und geschmückt hatten. Ich glitt sofort von meinem Stuhl, als die Gesellschaft sich erhob, war als erster in der Flurdämmerung und dann auch an der Tür zum Atelier, doch ein ärgerliches Zeichen meines Vaters hielt mich davon ab, auch als erster am Geschenktisch zu sein, aber als vierter war ich doch da. Was lag auf dem Tisch? Was hatten die zwischen Rugbüll und Glüserup für einen, der nicht zu ihnen gehörte, der aber durch Geschehnisse, die sie fast begriffen, in ihre Mitte verschlagen war, erübrigen wollen? Ich weiß noch die Schlipsnadel. Ich weiß noch die Flasche Korn und den Obstkuchen und den Kaffeewärmer und die Socken und ein Buch – Verfasser: Per Arne Scheßel im Selbstverlag – und ein Karton Talglichter. Ich weiß noch den Beutel Tabak. Den Schal weiß ich noch und ohne Zweifel die Flasche Kosakenkaffee, weil die von uns stammte. Ich weiß vor allem aber das Bild: »Segel lösen sich in Licht auf.«

      Das Bild stand an der Rückseite des Tisches gegen die Wand gelehnt, neben ihm hatten die Flaschen Posten bezogen, vor ihm krümmten sich dienstbar die Socken, der Kaffeewärmer plusterte sich auf, der Obstkuchen warb um Vertrauen, und der Schal schlängelte sich um die Talglichter, als wollte er sie sanft ersticken: alle Geschenke waren auf sich bedacht, doch sie konnten nicht verhindern, daß das Bild sie in ihrer schlichten Dienstbarkeit herabsetzte.

      Ich trat in Doktor Busbecks Blick und sah, wie er in das Licht des Bildes geriet, wie er auf das Bild zuging, zaghaft, mit ausgestreckter Hand, meinetwegen auch ungläubig, und ich sah auch, wie er das Bild leicht mit den Fingerspitzen berührte und gleich wieder zurücktrat und die Augen zusammenkniff und plötzlich kurz die Schultern hob, als ob er erschauerte. Da vereinigten sich Himmel und Meer. Da überredete ein weiches Zitronengelb ein lichtes Blau zur Selbstaufgabe. Schwebende Segel ließen Ferne vermuten, ließen eine abgeschlossene Geschichte vermuten und büßten ihr Weiß ein, um die erträumte Vereinigung ganz gelingen zu lassen. Die Segel lösten sich auf und erreichten durch ihre Auflösung, daß nichts mehr übrigblieb als Licht, und das Licht kam mir vor wie ein einziges Loblied. Wieder ging Doktor Busbeck mit ausgestreckter Hand gegen das Bild vor, und da sagte der Maler: Wie du siehst, Teo, ich hab noch ein bißchen dran zu tun. – Das ist fertig, sagte Busbeck, und der Maler darauf: Das Weiß, das will noch zuviel seggen. Und Teo Busbeck sagte auch: Das ist zuviel, Max, das kann ich nicht annehmen; doch der Maler zwinkerte ihm nur zu und sagte: Das sollst du auch erst, wenn’s fertig ist.

      Sie standen jetzt alle um den Geschenktisch herum, schätzten, verglichen, begutachteten, rechneten den Wert in Mark und Pfennig aus, ließen schnelle taxierende Blicke wandern, um womöglich herauszufinden, wer was mitgebracht hatte: darüber hätte man dann sprechen können auf dem Heimweg. Sie nahmen die Geschenke zur Hand, ließen bewunderndes Interesse laut werden, reichten die Geschenke herum mit Hinweisen und ließen nichts unberührt, ungeprüft. Niemand wagte, ein Geschenk flüchtig oder gering zu behandeln. Sie hoben die Flaschen schnalzend hoch, stießen eine Faust in den Kaffeewärmer, steckten sich spaßeshalber die Schlipsnadel an, und Per Arne Scheßel versuchte, seine verdammten heimatkundlichen Erläuterungen anhand seines Buches zu geben, das er aufgeschlagen herumreichte. Das staunte und gab sich bewundernd und lobbereit. Das nickte, pfiff durch die Zähne. Das ertastete und erkundete, und Andersen, der Kulturfilm-Kapitän, zielte mit seinem braunen, knotigen Stock auf das Bild und sagte: Dat schallt woll in ’n Ärmelkanal sien? In ’n Ärmelkanal, do hebt wi immer son Wetter haft. – In Glüserup ist das, sagte Bultjohann, in meinem Bezirk, und der Maler klopfte beiden auf die Schulter und gab beiden wortlos recht.

      Sie legten die Geschenke zurück und drängten sich jetzt um das Bild und redeten, und ich ließ sie reden, denn barfuß auf der geländerlosen Holzbrücke vor der Hecke im Staudengarten lief Jutta und trug etwas, und ich sah noch durch die Scheibe, wie sie mit der schwarzen Last ins Gartenhaus flitzte: da zwängte ich mich durch den Kreis der bedenklich nickenden Bildbetrachter, holte meinen Stock aus dem Wohnzimmer, und als ich aus dem Fenster in den Garten sprang, kam Addi mir nach. Auch er sprang aus dem Fenster und lief quer über die Beete zum Gartenhaus, vielleicht hatte auch er Jutta gesehen, vielleicht hatte er sogar ein Zeichen von ihr bekommen, jedenfalls stürzte er an mir vorbei und knuffte mich in die Seite, als er mich überholte.

      Auf dem gewellten schwarzen Erdboden im Gartenhaus lag Addis Akkordeon. Jutta stand spreizbeinig dahinter, gefaßt auf eine Auseinandersetzung, in spöttischer Erwartung, doch Addi sagte nichts, protestierte nicht, sondern starrte sie nur fassungslos an und schüttelte den Kopf. Spiel, sagte sie. Addi rührte sich nicht. Spiel doch, sagte sie, heute ist Geburtstag. Addi zuckte die Achseln. Dann spiel leise, sagte Jutta, und ich sagte: Leise, ja, nur für uns, und Addi schüttelte den Kopf. Früher hatte ich auch ein Akkordeon, sagte Jutta, ich hatte sogar zwei; und ich konnte auch spielen. – Dann spiel du, sagte ich, doch sie zeigte auf Addi und sagte: Er soll spielen, es ist sein Kasten. – Deine Mutter, sagte Addi zu mir, sie will es nicht. – Aber die andern wollen es, sagte ich, und dann wandten wir uns gleichzeitig zum Eingang, von woher ein Schatten fiel, wo Jobst stand, feist und grinsend, als ob er uns ertappt hätte. Er sah auf den Kasten, auf uns, wieder auf den Kasten, kam herein mit seinem stampfenden Schritt, befreite das Akkordeon aus dem Etui und löste die Lederriemen, und warum soll ich noch weiter verzögern, hinausschieben, was dann doch festgestellt werden muß: Addi fuhr beidhändig in die Lederschlingen, nickte uns auffordernd zu, und wir stellten uns in einer Reihe hinter ihm auf, und mit Alo-Ahe marschierten wir aus dem strohgedeckten Gartenhaus, jeder die Hände auf den Hüften seines Vordermanns.

      Jutta hielt sich an Addis Hüfte fest, ich hielt mich an Juttas schmaler, knochiger Hüfte fest, und der warme Druck an meiner Hüfte, das waren die fleischigen Finger von Jobst. Entlang dem Gartenweg zum Atelier marschierten wir, wiegend, tänzelnd, gebeugt vor allem, und der Wind wehte, Addi spielte, und Hawaii sang seine allerschönsten Lieder in Bleekenwarf.

      Drinnen klopften sie an die Scheiben und winkten uns zu, und unser etwas kurz geratener musikalischer Lindwurm schaukelte am Atelier, dann an den vierhundert Fenstern der Wohnstube vorbei, auf und ab zogen wir über die schwarzen Gartenwege, werbend, auffordernd, und ich weiß noch, daß Hilke die erste war, die sich unserem wiegenden Zug anschloß, und nach Hilke kamen Pastor Treplin und Holmsen und der Vogelwart Kohlschmidt und Ditte, und Ditte war es, die im Vorübergehen meinen Vater am Gelenk packte und seine Hand auf ihre Hüfte zog, und auf einmal hatte unser Zug einen eigenen Sog, eine unwiderstehliche Kraft, die sich aneignete und einverleibte, was am Weg stand, eine fröhlich schaukelnde Gewalt, die keinen mehr unbeteiligt ließ, der uns zu nahe geriet, so daß unsere Reihe wuchs und wuchs und schon mehrere Buchten warf. Auch der Maler war jetzt im Zug und der Deichgraf Bultjohann und Hilde Isenbüttel; nur meine Mutter fehlte, und ich wußte, daß sie nichts bewegen würde, sich uns anzuschließen: selbst der strenge Schatten ihrer Erscheinung in der Tiefe des Ateliers drückte noch hochmütige Weigerung aus: Gudrun Jepsen, geborene Scheßel. Dabei hätte sie sich doch ein Beispiel nehmen können an Kapitän Andersen, der mit seinen zweiundneunzig Jahren zumindest den Versuch machte, unsern wiegenden Lindwurm durch die Lüneburger Heide, durch den wunderschönen Sand zu begleiten: der photogene Greis drängte sich zwischen Addi und Jutta, beugte sich knackend nach vorn, und mir war, als ob ich es rascheln hörte, als ob da trockene Mohnkapseln aufbrachen und Mohn aus seinen Hosenbeinen rieselte, und der Alte schaukelte tatsächlich einige Meter mit, bis er, sozusagen, seinen herbstlichen Mohn verstreut hatte und atemlos zur Seite ausscherte. Addi führte uns, und Jutta hielt

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