Deutschstunde. Siegfried Lenz
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An meinem Lichtschlitz vorbei gingen sie nacheinander über den leeren, windigen Hof, ich hätte sie berühren, hätte sie erschrecken oder streifen können, doch ich tat es nicht, sondern ging tief in die Hocke und ließ die Männer aufwachsen in der Fortbewegung, und nachdem sie im Haus verschwunden waren, untersuchte ich erst einmal das neue Versteck, maß und prüfte und fand heraus, daß genügend Platz auch für zwei vorhanden wäre, etwa für Jutta und mich. Dann schlüpfte ich durch den Spalt hinaus, stand allein am Teich und bereitete den Enten ein rasches Skagerrak, indem ich vor, hinter und zwischen ihnen dekorative Fontänen aufspringen ließ. Ich gebrauchte unterschiedliche Kaliber dabei; das schwappte, wellte, kippte, warf sich schlank empor, so daß die Enten gezwungen waren, ihre Formation immer wieder zu ändern, um den Geschossen auszuweichen, und bevor ich in den Garten zurücklief, gab ich ihnen noch ein Gefühl für Sperrfeuer, wobei eine der jungen Enten die Beherrschung verlor, aus dem Verband ausscherte und sich, mit klatschendem Flügelschlag über das Wasser laufend, in das Planquadrat verirrte, wo meine Geschosse niedergingen: wäre sie bei den Alten geblieben, hätte sie keinen Treffer eingefangen.
Jedenfalls beeilte ich mich, in den Garten zu kommen, wo Addi immer noch spielte, das Lied von einem Mädchen spielte, das um jeden Preis, trotz bedenklichem Wellengetose, an die Seite ihres fernen Matrosen wollte, weil sie angeblich mit ihm zusammengehörte wie der Wind und das Meer und so weiter. Und zu dieser Melodie wurde auf dem großen Rasenplatz getanzt – nein, nicht getanzt: Hilde Isenbüttel vor allem, der Lehrer Plönnies, aber auch die alten Holmsens, stampften, trampelten, klotzten herum und schoben sich zäh und nachdenklich umeinander, um sich Appetit zu verschaffen für das bevorstehende Abendbrot. Ich merkte mir nicht genau, wer sich da alles Bewegung verschaffte, mich interessierte auch nicht, wer da auf Stühlen und Bänken saß unter wandernden Schatten – regungsloses, doch aufmerksames Meeresgetier –, denn ich hatte auf den ersten Blick die beiden Männer in der Tiefe des Ateliers entdeckt, schräg hintereinanderstehend, mit angehobenen Schultern der eine, mit gesenktem Gesicht der andere. Ich linste durch die Scheiben. Sie waren allein im Atelier. Sie standen vor Doktor Busbecks Geschenktisch. Ich legte meine Hände neben meinem Gesicht auf die Scheibe, und jetzt, da die Blendung aufhörte, sah ich, daß sie vor dem Bild standen, auf dem Segel sich in Licht auflösten, und ich merkte, daß ein zäher Prozeß um das Bild geführt wurde: fordernd stieß der Zeigefinger meines Vaters auf das Bild herab, worauf der Maler sich mit seinem Körper davorstellte, da wurde beansprucht und verweigert, begehrt und zurückgewiesen – alles lautlos, in erregtem Aquariumschweigen; ich sah, wie sie sich stritten und zu überzeugen versuchten, und auf einmal nahm sich der Maler eine Farbtube, drückte einen kurzen Wurm raus, bückte sich vor dem Bild und veränderte oder vervollständigte etwas, indem er die Fingerkuppe, dann die Seite des Fingers und schließlich, wie so oft, den Handballen gebrauchte, während mein Vater steif und drohend hinter ihm stand wie ein Seezeichen in gefährlicher Strömung. Der Maler richtete sich auf, wischte sich die Finger ab. Ich erkannte einen Ausdruck von vorsichtiger Geringschätzung auf seinem Gesicht. Er blinzelte meinen Vater an, und der bedachte sich, nickte, schien keinen Einwand zu finden, jedenfalls nicht so rasch. Das nutzte der Maler aus, indem er meinen Vater abdrängte in uneinsehbare Winkel. Ich wußte, wie dieser Prozeß ausgegangen war. Ich wandte mich um, suchte Doktor Busbeck und sah ihn Arm in Arm mit Ditte unter dem Geästschatten des alten Apfelbaums: die Schatten strichen ihn durch.
Ich überlegte, ob ich durch eines der offenen Fenster in die Wohnstube klettern und von dort aus versuchen sollte, in das Atelier zu schlüpfen, als Addi plötzlich mitten im Lied abbrach und hinfiel wie einmal schon, und wie einmal schon mit den Beinen stieß und zuckte, sich aufbäumte und mit den Zähnen knirschte. Ich flitzte sofort zu ihm, aber vor mir war Hilke schon da, und wie in den Dünen kniete Hilke neben ihm und befreite ihn zuerst von der Last des ausgezogenen gekrümmten Instruments, das seine Brust umschloß gleich einer Schwimmweste.
Geht weg, sagte sie, geht weg, aber die andern kamen von allen Seiten heran, drängten näher, bildeten einen Kreis aus Betroffenheit, aus Staunen und wohl auch Furcht, denn sie sagten nichts, stießen sich nicht einmal an, sondern wechselten nur Blicke über Addi hinweg, dessen Gesicht sich verfärbt hatte, dessen Lippen fest aufeinandergepreßt waren. Alle standen sie da mit vorgeschobener Schulter: die Holmsens, die eben noch getanzt hatten, Pastor Treplin und der Vogelwart Kohlschmidt und der Deichgraf Bultjohann. Mein Großvater stand schweigend da, desgleichen Plönnies und Kapitän Andersen. Und hoch aufgerichtet, weniger betroffen als in herrischer Gleichgültigkeit, stand meine Mutter etwas außerhalb des Rings und beobachtete nicht Addi, sondern Hilke.
Nur einer zwängte sich durch den Kreis mit leisen, dringenden Worten, und das war Doktor Busbeck. Er wartete nicht. Er brauchte sich nicht zu erkundigen. Er bat um Durchlaß, kniete sich gegenüber von Hilke hin, zog sein Taschentuch und trocknete das schweißbedeckte Gesicht, wobei Addi selbst schon wieder die Augen öffnete und freundlich, vor allem verständnislos um sich sah.
Hei mutt wat to äten hebben, rief der Kulturfilm-Kapitän. Niemand stimmte ihm zu. Jetzt geht es, sagte Hilke, jetzt ist es vorbei, während Addi sich mühsam aufstützte, sich mit Doktor Busbecks Hilfe erhob und verwirrt den Kreis musterte, der ihn umgab. Da konnte Hilke doch gar nichts Besseres einfallen, als seinen Arm zu nehmen und lächelnd mit ihm zunächst zur Schaukel hinunterzugehen, dann auf dem äußeren geschwungenen Weg weiter zum Gartenhaus, so daß der Versammlung einfach nichts anderes übrigblieb, als sich zu zerstreuen, obwohl einige, und besonders Per Arne Scheßel, nicht aufhörten, unter schweren Lidern auf die Stelle zu blicken, wo Addi gelegen hatte. Und dann sah ich, wie Addi meinen Stock am Gartenhaus aufhob, ihn Hilke zeigte und zu Hilke offensichtlich sagte: Das ist doch Siggis Stock, worauf ich hochsprang mit emporgeworfenen Armen und: Hier, hier! rief, und nachdem Addi mich entdeckt hatte, warf er den Stock durch den Garten unter die Schaukel, wo ich ihn mir holte.
Ich wollte ihm zuwinken, doch ich tat es nicht, als ich sah, daß meine Mutter ihnen den Weg abschnitt und versuchte, sie am entlegenen alten Brunnen zu stellen, dort bei der Laube aus Flieder. Unter der Schaukel setzte ich mich hin, entfaltete mein blaues Taschentuch und befestigte es mit den Reißnägeln am Stock, und mit flatternder, blauer Fahne marschierte ich zurück, mitten in den Geburtstag hinein, immer wieder an Bänken, Tischen und Stühlen vorbei, wo man zuhauf saß, rauchte und flüsterte, nachdenklich zischte. Ich ließ meine Fahne flattern, ich warf sie hoch in die Luft, obwohl doch niemand in Rugbüll war, der es hätte erkennen und daraus seine Schlüsse ziehen können.
Bis hierher, einstweilen nur bis hierher, denn ich kann nicht verschweigen, daß es in dem Augenblick, in dem ich meine blaue Fahne hoch in Luft warf, an meine Zellentür klopfte, sehr scheu, sehr verhalten klopfte, aber immer noch deutlich genug, so daß ich aus meiner Erinnerung regelrecht herausgeklopft wurde, mein Heft schloß und mich ärgerlich zur Tür drehte. Hinter dem Guckloch bewegte sich etwas, Braun löste Weiß ab. Ein glühender Knopf begann da zu rotieren. Blitzend sprangen einige Lichtpfeile zu mir herein. Ich stand wider Willen auf, als die Tür unerträglich langsam geöffnet wurde, wie in einem Kriminalfilm tat sie sich auf, gleichmäßig, eindringlich knarrend, jedenfalls mit einer Verzögerung, die auf keinen guten Besuch schließen läßt – da hätten nur noch wehende Gardinen gefehlt und ein Buch, das sich selbst aufblättert –, und weil ich dem Geburtstag in Bleekenwarf nicht zu lange fernbleiben wollte, sagte ich höflich: Komm rein, es zieht.
Er trat schnell ein, steppte zur Seite und überließ es Karl Joswig, den ich hinter ihm auf dem Korridor entdeckte, die Tür von außen zu schließen. Er war offensichtlich verlegen, seine Mundwinkel zuckten;