Boccaccio reloaded. Centino Scrittori
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Leider verstarb Volker an dem Virus, zwei Tage bevor der Impfstoff hergestellt wurde. Er schrieb in seinen letzten Tagen eine E-Mail an die Presse, in der er erklärte, dass sein bester Freund Hans den Impfstoff entwickelt und sein Enkel ihn nach seinem Tod ganz alleine zu ihm gebracht habe.
(Fenja Wudke)
Vierte Geschichte
Wir sind alle sehr gerührt von der Geschichte. Nach einer kurzen Pause meldet sich eine Frau mit kurzen Haaren, die mir schon gestern aufgefallen ist. Sie meint, sie würde gerne eine Geschichte, die ihre Schwester ihr erzählt hat, mit uns teilen.
Wir schreiben den 25.3.2020. Die Straßen sind so leer, wie nie zuvor. Ich habe ein mulmiges Gefühl, wenn ich aus dem Fenster sehe. Wie konnte sich diese Pandemie so weit ausbreiten? Wieso konnte dieses Geschehen nicht verhindert werden? Tausende Fragen, von Millionen von Bürgern, jedoch keine Antworten. Seit ca. zwei Wochen liegt über Deutschland, nein nicht nur über Deutschland, sondern auch über Italien, Spanien, Frankreich und vor allem China und inzwischen über der gesamten Welt ein riesiger Schatten. Die Menschheit wurde getroffen von dem Corona-Virus. Wir haben die Infizierten und probieren nun mit aller Kraft gegen das Virus anzutreten.
Meine Familie besteht aus fünf Personen. Ich bin 26 Jahre alt, heiße Malia und bin Mutter von zwei Kindern, von meiner süßen kleinen Alina, die vier Jahre alt ist, und meinem Jungen namens Matteo, welcher elf Jahre alt ist und in die dritte Klasse geht. Mein Mann ist 34 Jahre alt und arbeitet selbständig in der Solarindustrie. Ich arbeite in einem kleinen Krankenhaus in Hamburg als Krankenschwester. Vor drei Tagen haben wir erfahren, dass wegen dem Corona-Virus starke Einschränkungen folgen werden. Als Mutter bin ich einerseits besorgt wegen meinen kleinen Kindern, auch wenn es heißt, dass nur ältere Menschen und Risikogruppen gefährdet sind, aber auch wegen unserer Existenz. Wie werden wir in den nächsten Monaten leben? Werden wir genug Geld zur Verfügung haben? Ich meine, große Kredite haben wir nicht, aber auch wenig Rücklagen. Und wenn mein Mann nicht mehr arbeitet, werden wir früher oder später in große Schwierigkeiten geraten, denn mein Gehalt allein wird unsere Familie nicht über Wasser halten können. Ich bin verzweifelt und habe große Ängste, aber trotz alledem weiß ich, dass ich mich in den nächsten Monaten zusammenreißen muss und für mich und meine Familie kämpfen werde, wie nie zuvor. In was für Schwierigkeiten ich geraten werde, ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich bewusst.
Als mein Mann heute Morgen einen Anruf bekam, dachte ich für einen kurzen Augenblick, alles bricht zusammen. Sein Chef teilte ihm mit, dass er wegen des Virus in den nächsten vier Wochen voraussichtlich keine Arbeiter beschäftigen darf. Zeitgleich bekam ich eine E-Mail von Alinas Kita, worin es hieß, dass der Betrieb leider eingestellt werden muss, wegen der derzeitige Situation und der starken Ansteckungsgefahr unter den jüngeren Kindern, welche untereinander viel Körperkontakt haben. Ich sitze nun am Fenster, an meinen Küchentisch, und blicke hinaus. Draußen sehe ich nicht viel, ein paar Autos, die umherfahren, ein paar Fahrradfahrer, aber das war's auch schon. Ich merke, mit was für großen Schritten das Virus, auch Covid-19 genannt, auf uns zukommt. Einerseits bin ich froh, morgen um zehn Uhr wieder arbeiten zu müssen, bis spät am Abend, gegen 19 Uhr. Andererseits kann ich mir auch schon vorstellen, was für Arbeit dazukommen wird, mit den vielen Erkrankten. Ich bete jeden Tag, dass ich mich nicht anstecke, denn auch ich habe eine Familie zu Hause.
Heute ist der 28.03.2020. Seit drei Tagen arbeite ich nun wieder als Krankenschwester und merke auch im Krankenhaus, wie sich die Lage zuspitzt. Auf unserer Krankenstation liegen nun acht erkrankte Menschen, davon drei auf der Intensivstation. Aktuell sind der Gesundheitsbehörde 414 Patienten in Hamburg bekannt, die eine Covid-19-Erkrankung haben. Mir persönlich macht das wenig Angst, da ich denke, dass es nach und nach alle Bundesländer treffen wird. Die Pandemie wird sich auch noch weiterhin stark verbreiten. Immerhin hat man sich zwecks Eindämmung des Virus darauf geeinigt, alle Bars, Diskotheken und gastronomische Einrichtungen vorerst zu schließen. Außerdem müssen Kosmetiksalons, Friseure und Einkaufspassagen ihre Leistungen einstellen. Man solle sich zudem draußen nur mit Menschen aufhalten, mit denen man zusammenwohnt, und das auch nur, um Spazieren oder Einkaufen zu gehen. Ein erleichterndes Gefühl für mich. Wenn man manchmal bei einem Einkaufsladen sieht, wie zig Menschen mit zwei Metern Abstand voneinander entfernt stehen und lange warten, um endlich in den Laden zu kommen, oder abends die Straßen so leer sind, dass man jeden Fahrradfahrer hören kann, fühlt man sich so, als wäre man in einer Zombie-Apokalypse und jederzeit dem Tod ausgesetzt. Als ich gestern Abend nach vielen Unterhaltungen und Krisenbesprechungen im Krankenhaus nach Hause kam, erfuhr ich zudem, dass Matteo nun bis zum 19. April von der Schule befreit ist, was die Schulbehörden festgelegt haben, um das Virus einzudämmen. Ich kann mir vorstellen, dass es für meinen Mann hier zu Hause ebenfalls nicht leicht ist. Wie oft er an seine Grenzen kommen wird, wenn Alina schreit oder Matteo wie wild durch die Wohnung saust. Aber auch ich bin fertig. Fertig von den Dutzenden Fällen bei der Arbeit, die mich mitnehmen und weswegen ich seit Nächten wach liege und nicht schlafen kann. Fertig, da ich Angst habe, durch meinen Beruf meiner eigenen Familie zu schaden. Wie man merkt, bin ich ziemlich durch den Wind, und ich bin erleichtert, die nächsten zwei Tage frei zu haben, um mich ein wenig zu erholen und mich auf die kommende Zeit vorzubereiten.
Als ich mich nach meinen freien Tagen auf dem Weg zur Arbeit befinde, gehen mir viele Sachen durch den Kopf. Ich habe gehört, dass uns langsam die Beatmungsmaschinen ausgehen und andere wichtige Schutzutensilien. Wie sollen wir ohne diese Gegenstände arbeiten? Wie sollen wir uns schützen? Mein Handy piepst. Eine Nachricht meiner Kollegin: ,,Hey Malia, seit der dritten Krisensitzung gestern haben wir feste Patienten zugeteilt bekommen. Wir haben fünf neue Fälle, die du übernehmen wirst: Station sechs, drei Kinder und zwei Erwachsene, heute Morgen eingetroffen und auch an Covid-19 erkrankt. Gib dein Bestes! Kuss, Janette.“ Ich schlucke. Drei Kinder und zwei Erwachsene? Wow, das muss ich erstmal verkraften. Ich hoffe, dass es sich nicht um schwere Fälle handelt und wir noch ausreichend Beatmungsmaschinen haben, denn ich weiß, auch andere Krankenhäuser haben einen starken Notstand. Als ich nach einer Weile ankomme, sehe ich die Notaufnahme, komplett überlaufen, wie ich mir denken kann. Unzählige Verdachtsfälle, kein Wunder, wir machen hier über 200 Abstriche am Tag. Es ist Grippe- und Infektionszeit, wir sind also auch gut gefüllt, selbst ohne das Corona-Virus. Ende letzter Woche hieß es noch, wir sollen uns keine Sorgen machen, es sei genug Schutzkleidung da, aber alleine heute wurden die Bestände fast komplett aufgebraucht.
Als ich bei meinen Patienten eintreffe, fällt es mir unfassbar schwer. Vor mir liegen zwei kleine Kinder, ca. acht Jahre alt, beide erkrankt an Corona. Ich kümmere mich um sie, probiere ihnen Mut zuzusprechen, denn auch sie sehen, mit welchen Zuständen es hier vor sich geht. Als ich später hochgehe, auf die Intensivstation, sehe ich einen anderen kleinen Jungen, ebenfalls ca. neun Jahre alt. Er kommt aus Spanien, er war dort mit seinen Eltern im Urlaub. Er hängt an einer Beatmungsmaschine und ist ins künstliche Koma versetzt worden. Vor der Tür steht seine Mutter und als ich aus seinem Zimmer hinauskomme, läuft sie auf mich zu. Es fällt mir unfassbar schwer, sie aufzubauen, da ich weiß, dass das vorerkrankte Kind schlechte Chancen haben wird und ich ihr gegenüber sachlich und ehrlich bleiben muss. Es zerreißt mir das Herz. Ich gehe für ein paar Minuten auf die Toilette durchatmen. Solche Zustände, so viel Trauer und so viel Leid und Elend habe ich hier lange nicht erlebt, nein, noch nie. Ich begebe mich wieder zurück auf die Station zu den beiden Erwachsenen, einem Ehepaar, beide um die 30 Jahre alt und ebenfalls an Corona erkrankt. Ich untersuche sie und schließe sie anschließend an die letzten zwei Beatmungsgeräte an, die ich finden kann. Sie sehen schlecht aus, ihre Lippen werden immer blauer und ihre Gesichter immer blasser. Ich untersuche auch ihren Rachen und Lungenbereich und merke, dass sie noch keine allzu starken Schmerzen haben. Als der Tag sich dem Ende zuneigt, bin ich sehr erleichtert. Trotz alledem beschäftigt mich vor allem der kleine Junge, bis tief in die Nacht hinein. Wird er es überleben? Ich weiß, wie schlecht es um ihn steht, und meine Gedanken fressen mich bald auf. Werden die anderen beiden Kinder gesund bleiben? Es fühlt sich an, als ob ich darüber entscheiden werde. Ich weiß, dass es nicht so ist, doch trotzdem ist es ein schreckliches