Taunusgier. Osvin Nöller
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Trotz der kühlen Temperaturen klebte die Bluse an ihrem Oberkörper und ihre Lider wurden schwer. Zeit für eine Dusche, obwohl der Gedanke, sich einfach aufs Bett zu legen und eine Weile zu dösen, ebenfalls lockte. Sie widerstand dem Reiz, zog sich aus und stellte sich unter die Brause, deren Wasserstrahl sie so heiß einstellte, bis ihre Haut zu kribbeln begann. Endlich fühlte sie sich wieder einigermaßen frisch und unternehmungslustig.
Sie hatte bisher keine Idee, wie sie vorgehen sollte. Aus den Unterlagen kannte sie nur die Adresse, an der Jan Wolter bis zu seinem Verschwinden gelebt hatte. Das Haus mitten in der Altstadt gehörte einer Sabrina Eskir, die im Erdgeschoss eine Gaststätte betrieb, soviel hatte sie von Pascal Wolter erfahren. Die Wirtin war mit dem Verschwundenen liiert gewesen.
Melanie nahm sich vor, zunächst das Umfeld zu sondieren. Was lag näher als ein unverbindlicher Kneipenbesuch?
Sie schlenderte durch die Elisabethenstraße bis zur Obergasse, folgte dann der Rind'sche-Stift-Straße zu einem Platz, der sich An der Weed nannte.
Melanie schmunzelte. Was der wohl bedeutete? Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, entdeckte sie das Gaststättenschild Zum silbernen Bein. Sie schaute auf ihr Smartphone und stellte fest, dass das Wirtshaus seit zwei Minuten geöffnet haben musste.
In ihrem Magen entstand ein leichter Druck, als sie die Neue Mauerstraße überquerte und auf den Eingang zu schlenderte. Sie ließ den Blick über das Gebäude schweifen. Es handelte sich um ein dreigeschossiges, weiß verputztes Doppelhaus. Wie alt mochte es sein? Schwer zu sagen, allerdings wirkte es top renoviert.
***
„Guten Tag“, grüßte Melanie den einzigen anderen Gast mit einem Lächeln und ging zu einem Tisch auf der anderen Seite der Gaststube, an dem sie Platz nahm. Der Mann um die Vierzig trug die schulterlangen, blonden Haare in der Mitte gescheitelt. Das dunkelblaue T-Shirt und die Jeans hatten bessere Tage gesehen, auch die schwarzen Lederstiefel wirkten verschlissen. Zwei Narben auf der Stirn und an der rechten Wange zierten sein zerfurchtes Gesicht. Die Bizepse betonten eine durchtrainierte Figur.
Er grinste Melanie an und nippte an einem Bier. „Hi,“ kam der Gruß mit tiefer Stimme zurück.
Sie sah sich um. Zehn derbe Holztische mit hellbraunen Tischplatten, mit jeweils vier bis sechs dunkelbraunen Holzstühle, verteilten sich im Gastraum. Dazu ein runder Stammtisch, wie der Tischaufsteller verriet, an dem zwölf Personen sitzen konnten.
Die Wände waren im unteren Drittel mit dunklem Holz vertäfelt, über dem Regale angebracht waren. Neben verschiedenen Bierkrügen standen hellgraue bauchige Keramikkrüge unterschiedlicher Größe mit blauer Musterung, deren Verwendungszweck sich Melanie nicht erschloss. Fotos mit Szenen aus der Gaststätte hingen zwischen den Gegenständen. An der Längsseite gegenüber dem Eingang befand sich der ebenfalls holzverkleidete Tresen, rechts davon ein Gang, der zu den Toiletten führte. Aus dieser Umgebung war Jan Wolter verschwunden.
Ein Schrei riss Melanie aus ihren Gedanken. „Sabrina, Kundschaft!“
Fast augenblicklich erschien aus einer Tür in der Nähe der Theke eine Frau in Melanies Alter. Die feuerroten Haare, die ihr beinahe bis zum Po reichten, ließen das Gesicht schmal wirken. Sie trug ein violettes, knielanges Wollkleid und Chucks.
Melanie erkannte Sabrina Eskir, deren Bild sie in den Unterlagen gesehen hatte. Das also war Jan Wolters Lebensgefährtin.
„Hallo.“ Die Wirtin blickte Melanie freundlich an und gab ihr eine Getränkekarte. „Was darf es sein? An Speisen haben wir das, was dort auf der Tafel steht“, erklärte sie und zeigte auf eine Schiefertafel.
Melanie überflog die Angebote. „Ich hätte gern einen Wurstsalat.“ Sie zögerte. „Haben Sie Kräuterlimonade?“
Sabrina verzog das Gesicht. „Kräuterlimonade?“ Es schien beinahe, als wollte Melanie etwas Unanständiges bestellen. Plötzlich huschte ein Lächeln über Sabrinas Miene. „Ach ja, ich kann Ihnen eine Bionade Kräuter bringen. Ist das ok?“
„Perfekt!“ Geht doch. Kein Almdudler, aber immerhin. Sabrina verschwand hinter dem Tresen.
Die Eingangstür öffnete sich und ein Mann um die zwanzig mit kurzen, blonden Haaren betrat den Gastraum. Er trug einen Anzug ohne Krawatte. Die Pausbacken passten zum leicht korpulenten Körperbau, der wegen seiner geringen Größe massig wirkte. Sein Blick erschien Melanie grimmig. Er steuerte auf die Theke zu. Überraschenderweise klang die Stimme, gemessen an der Erscheinung, beinahe piepsig.
„Ein Bier und ein Schmalzbrot.“
Die Wirtin schaute den Neuankömmling ohne erkennbare Regung an. „Herr Schneider, Sie wissen, dass Sie hier nichts bekommen! Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass Sie bei mir Hausverbot haben?“ Sie öffnete die Bionade-Flasche.
Das Gesicht des Jünglings verfärbte sich. „Jetzt hör mir mal zu, du Schlampe.“ Seine Worte überschlugen sich. „Ich bin ein deutscher Bürger und verlange, dass du mich anständig bedienst!“
„Wenn Sie nicht auf der Stelle mein Lokal verlassen, rufe ich die Polizei.“ Sabrina nahm das Telefon.
Blitzartig beugte sich der Typ vor und packte das Handgelenk der Frau. „Untersteh dich! Ich will ein Bier und ein Schmalzbrot“, zischte er.
Der Mann am Tisch erhob sich. Nach wenigen Schritten stand er neben dem Unruhestifter, den er deutlich überragte.
„Lass sie einfach los“, forderte er den Blonden leise auf. „Du hast gehört, was sie gesagt hat. Du bist hier unerwünscht. Mach 'nen Abgang!“
Schneider wandte sich ihm zu. Sein Kopf schien platzen zu wollen, am Hals pochte eine dicke Ader. Er ließ die Wirtin los. „Was fällt dir ein, mir zu drohen?“ Er ging dabei einen Schritt zurück. „Früher wären solche wie du ins Arbeitslager gekommen!“ Die barsch klingenden Worte passten nicht zu den zuckenden Mundwinkeln.
Der Langhaarige lächelte. „Gut gebrüllt, Junge! Wir hatten alle unseren Spaß, aber jetzt ist die Show vorbei. Entweder, du gehst freiwillig oder ich helfe dir.“ Er näherte sich dem Blonden, der weiter zurückwich. Plötzlich drehte sich der Jüngling um und eilte aus der Gaststube. „Das wird euch leidtun!“
Sabrina rieb sich das Handgelenk. „Danke, Olli, willst du noch ein Bier?“
***
Melanie erhob sich und schlenderte in Richtung Toilette. Am Tresen vorbei erreichte sie eine Steintreppe, die sie langsam hinabstieg und dabei überlegte, ob sie die Wirtin auf den Vorfall ansprechen sollte. Schließlich entschied sie sich dagegen, da sie möglichst wenig auffallen wollte. Am Ende der Treppe stand sie vor zwei gegenüberliegenden Stahltüren. Ein Stück weiter sah sie die Eingänge zu den Örtlichkeiten und eine Tür mit der Aufschrift Privat.
Melanie blieb vor den Eisentüren stehen und horchte nach oben. Geschirr klapperte. Automatisch drückte sie die Klinke der rechten Tür runter und war erstaunt, sie unverschlossen vorzufinden. Ihr Körper spannte sich, als sie den Raum betrat und die Tür hinter sich heranzog, jedoch angelehnt ließ. Sie fand einen Lichtschalter, sofort wurde es hell. Dieser Kellerraum war vielleicht zehn Quadratmeter groß. Links an der Wand stand ein Metallregal, auf dessen Fachböden Kästen und Schachteln lagen, die mit einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt waren.
Melanie runzelte die Stirn, als sie auf