Küstengold. Kurt Geisler
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Er wollte sich umdrehen, aber Hansen hielt ihn an der Schulter fest.
»Hier, nimm dies. Sonst musst du noch bei meinen Kollegen pusten.« Der Kommissar reichte ihm einen Kaugummi zum Abschied.
Stuhr stieg in seinen Wagen und beeilte sich, diese Stätte des Grauens zu verlassen. Selbst die Schafe wirkten immer noch verstört. Er fluchte, denn fast wäre er beim Einbiegen in die Landstraße mit dem Leichenwagen kollidiert. Dann befand er sich wieder auf dem Weg zur Schwebefähre. Während sie heranglitt, ging am Horizont die Sonne auf. Sie tauchte die letzten sich auflösenden Nebelschwaden in ein warmes, rötliches Licht.
Stuhr erfreute sich an diesem Naturschauspiel. Man sollte öfter früh aufstehen, befand er.
Mit Rücksicht auf seine Gefühlslage und den nervös pumpenden Magen beschloss er allerdings, auf ein ausgiebiges Frühstück in seinem Hotel in St. Peter-Ording zu verzichten.
Hilflos
Kommissar Hansen war sich unsicher, ob es richtig gewesen war, Stuhr vollständig über die Lage zu informieren und um Hilfe zu bitten. Aber seine Verbindungen in die Landesverwaltung waren unverzichtbar, um an interne Informationen heranzukommen.
Zufrieden konstatierte Hansen, dass sich der Leichenwagen näherte. Wenn die Leiche von Sörensen erst einmal weggeschafft wäre und das Tageslicht zunehmen würde, dann würde man auf der Weide unter dem Windrad am Nord-Ostsee-Kanal die Spuren besser sichern können.
Kaum, dass die Morgensonne begann, sich unter den Nebel zu schleichen und die Kanallandschaft in leuchtende Farben zu tauchen, eilte sein Kollege Pferdi Fingerloos heran. Ein feiner Kollege, nur hatte Kommissar Hansen ihm in einem schwachen Moment das Du angeboten. Das galt es irgendwann noch zu korrigieren, denn bei der Ansprache mit dem Vornamen zuckte Hansen nach wie vor jedes Mal zusammen.
»Konrad, halt dich fest. Wir haben den Mord fast aufgeklärt. Es gibt lediglich zwei frische Spuren. Mit mindestens Schuhgröße 47 und tiefen Abdrücken ist einer der Täter ein großer und kräftiger Mann, der die Hubkanzel mitsamt dem an die Brüstung gebundenen Opfer den rotierenden Windflügeln zugeführt haben muss. Fingerabdrücke ließen sich auf dem Steuerungspult allerdings nicht sichern. Eine zweite Spur, vielleicht Schuhgröße 45, deutet darauf hin, dass noch jemand, vermutlich auch ein Mann, auf der Weide ständig hin und her lief. Das lässt darauf schließen, dass der zweite Täter die Anweisungen gegeben haben könnte. Beide Fußspuren verlieren sich allerdings auf der Straße.
Zur Schwebefähre sind die beiden Täter sicherlich nicht gestapft, denn die erste Fahrt begann erst nach vier Uhr. Das wäre auch viel zu auffällig gewesen.«
Besser als nichts, dachte sich Hansen. »Und Spuren von Sörensen?«
»Nein. Von Sörensens Schuhen wurden keinerlei Abdrücke gefunden. Das könnte bedeuten, dass Sörensen längst tot war, bevor er geköpft wurde.«
»Oder er ist mit übersinnlichen Kräften von der intergalaktischen Flotte auf den Hubwagen gebeamt worden.« Fingerloos griente.
Wütend trat Kommissar Hansen ins Gras. Was sollte er tun? Er konnte am nächsten Wochenende schlecht jeden Energieversorger in Schleswig-Holstein bewachen.
Ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern näherte sich auf dem Wirtschaftsweg. Die hinter ihm tief stehende Morgensonne erleuchtete das fluoreszierende Nummernschild: KI-KR 313.
Das konnte nur die Kieler Rundschau sein. Hansen fluchte, denn die Presse konnte er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gebrauchen. Ein weißer Opel hielt genau hinter dem Leichenwagen. Nun, viel zu sehen gab es zum Glück nicht mehr, denn der Tote lag bereits in einem Zinksarg hinter Milchglasscheiben mit eingravierten betenden Händen.
Im aufkommenden Tageslicht war zwar zu erkennen, dass die Kollegen vom Erkennungsdienst überall auf der Weide kleine flatternde Fähnchen aufgestellt hatten, mit denen sie die Spuren markiert hatten. Wie ein Kindergeburtstag wirkte die Szenerie dennoch nicht.
Kommissar Hansen ließ die Scheinwerfer ausschalten, denn das Licht der Morgensonne war inzwischen so hell geworden, dass es für die weitere Spurensicherung ausreichen würde. Zudem würde der Fotograf der Rundschau bei diesem kräftigen Gegenlicht kaum zu einem brauchbaren Foto kommen.
So war Kommissar Hansen überrascht, dass dennoch ein riesiges Objektiv aus dem Seitenfenster des Opel auf das Windrad gerichtet wurde. Am vielfachen Klacken bemerkte er, dass ganze Serien von Fotos geschossen wurden. Anschließend wurde er selbst einige Male abgelichtet. Nun erst stieg der Fahrer aus dem Wagen. »Presse, Kieler Rundschau, wir hätten einige Fragen.«
Der Kommissar giftete zurück: »Ausgeschlossen. Bitte bleiben Sie hinter dem Absperrband zurück. Wir sichern noch die Spuren. Unsere Öffentlichkeitsabteilung wird Sie früh genug informieren. Jetzt lassen Sie uns bitte in Ruhe weiterarbeiten.«
Die Reporter machten allerdings keinerlei Anzeichen abzuziehen. Jetzt brüllte der Fotograf: »Die Leute werden wissen wollen, was hier passiert ist. Die vielen Blutspuren.«
Der Kommissar versuchte, die Sache herunterzuspielen. »Wir untersuchen den Fall akribisch. Vielleicht ein Schafmord. Es ist nicht auszuschließen, dass es ein Unfall war.«
Das Lachen des Reporters klang nicht besonders belustigt. »Herr Kommissar, dann erklären Sie unseren Lesern doch bitte einmal, wie das Blut vom Schaf dort oben hinkommt.«
Hansen biss sich auf die Lippen, ihm schwante Böses. Er drehte sich um und schaute nach oben. Mit zunehmendem Tageslicht konnte man gut erkennen, dass die Spitzen der jetzt blockierten Flügel mit Blut besprenkelt waren. Dieses ruhige Bild wurde lediglich vom mechanischen Klicken des Fotoapparates gestört.
So unternahm Hansen gar nicht erst den Versuch, sich herauszureden. »Wissen Sie, Sie halten sich an den Falschen. Für Verlautbarungen zu unseren Ermittlungen gibt es bei uns einen Pressesprecher. Sie verschwenden hier Ihre Zeit.«
Die Reporter schienen wenig Lust zu haben, sich mit Hansen herumzuärgern. »Sie werden schon sehen, was wir Montag auf der Titelseite bringen. Wenn Sie uns noch irgendetwas zu sagen haben, dann sollten Sie es jetzt tun. Es ist Ihre letzte Gelegenheit. Wir haben Informanten.«
»Das würde ich gern machen, meine Herren. Ich darf aber nicht. Die Ermittlungen laufen schließlich erst an. Unser Erkennungsdienst ist in vollem Gange, wie Sie sehen. Spätestens am Montagmorgen wird es eine Pressekonferenz geben, wie immer um zehn Uhr. Die wird unser Pressesprecher leiten, dafür bezahlen wir ihn schließlich. Das ist mein letztes Wort für heute.«
Die Reporter bemerkten, dass für sie nichts mehr zu holen war. Angesäuert stiegen sie wieder in ihren Opel und entschwanden auf der Landstraße.
Sein Kollege Fingerloos hastete herbei. »Wir haben vielleicht eine wichtige Entdeckung gemacht, Konrad. Auf dem Schild auf der anderen Seite der Schwebefähre ist das N bei Rendsburg eingekreist. Sieht ziemlich frisch aus.«
Kommissar Hansens Laune verbesserte sich nicht merklich. Was konnte ihm schon zu N einfallen? New York, Nürnberg, Norderstedt, Nortorf, Neustadt, Neumünster, Nie-zum-Ergebnis-Kommen? Möglicherweise war es nur eine Kritzelei von Kindern, und selbst eine bewusste Irreführung durch die Täter war nicht auszuschließen. Nein, das war keine richtige Spur.
Unauffällig beobachtete er von der Seite Pferdi Fingerloos. Schließlich war er seit letztem Sommer mit der Verlegerin der Kieler Rundschau liiert,