Roter Mond. Miranda Gray
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Sie standen auf und machten sich auf den Weg zurück zu den Bäumen.
»Jeden Monat wirst du eine Phase der Wiedergeburt durchlaufen. Nach deiner Blutung wirst du gleichsam wieder jungfräulich. Im alten Griechenland gab es Zeremonien, bei denen die Frauen am Ende ihrer Mondblutung ihr blutiges Leinen wuschen und ihre Wiedergeburt als vollständige und ganzheitliche Frau feierten. Das ist die Zeit, in der du deine Gedanken sammeln, klare Entscheidungen treffen und danach handeln sollst. Du bist voller Selbstvertrauen, bist dir deiner selbst gewiss, dir deines Körpers und seiner Bedürfnisse bewusst. Manche Männer empfinden diese Phase als Bedrohung und betrachten diese Eigenschaften als ›männlich‹, aber sie sind ebenso Teil des Weiblichseins wie die Fürsorglichkeit und das Umsorgen. Sie sind ein Geschenk. Nutze sie gut.«
Eva fühlte es in ihrem Bauch warm werden, während Artemis sprach. Ein Feuer durchlief ihren Körper und weckte in ihr das Bedürfnis, wieder loszurennen. Aber sie hielt inne. »Was geschieht, wenn du älter bist und keinen Zyklus mehr hast?«, fragte sie.
»Dann wirst du wieder wie eine Jungfrau. Das ist die Zeit, in der die Frau ihr Leben betrachten und, wenn sie es nicht schon getan hat, ihren inneren Weg akzeptieren und gehen soll. Ich bin nicht diejenige, die dich dies schon zu lehren hat. Es gibt noch viele Dinge, die du lernen musst, bevor du dieses Lebensstadium erreichst.«
Sie gingen noch ein Weilchen in einträchtigem Schweigen nebeneinander her, aber als Eva sich wieder an die Göttin wenden wollte, fand sie sich allein. Sie blickte sich um und stellte fest, dass nicht nur die Göttin, sondern auch die Wälder und Hügel verschwunden waren. Sie stand nun zwischen den regelmäßigen und gutgepflegten Baumreihen eines Olivenhains. Die Bäume säumten den Rand einer Klippe, und Eva sah, wie das tiefe Blau des Meeres gegen die weißen Felsen anbrandete. Unter den Bäumen kam langsam eine Frau auf sie zu. Eva fragte sich, ob sie wohl eine weitere Schwester der Herrin des Mondes war, und musterte sie sorgfältig.
Die Frau war groß gewachsen und elegant, hatte ausdrucksstarke Gesichtszüge und durchdringende, intelligente Augen. Ihr Haar war zurückgekämmt und mit goldenen Haarnadeln festgesteckt. Im Gegensatz zum weichen Stoffgewand von Artemis trug sie einen Stufenrock aus weißem Leinen und feinem goldenem Tuch, gestärkt durch verschlungene Stickereien und am Rande mit Quasten versehen. Über der Schulter trug sie ein schneeweißes Ziegenfell, das von zwei schlangenköpfigen Spangen zusammengehalten wurde. Auf dieses glatte Fell war ein rotgoldenes Antlitz mit Schlangenhaaren eingestickt, und der Rand war mit goldenen Schlangen verziert. In der rechten Hand trug sie einen langen Speer mit einer bronzenen Spitze, und ihre Füße steckten in einfachen geflochtenen Sandalen.
Die Hitze der Mittagssonne sandte Wellen durch die Luft, und die glanzvolle Dame lud Eva ein, sich zu ihr in den willkommenen Schatten eines kleinen Olivenhains zu gesellen. Unter dem Baum standen ein einfacher Altar und ein steinerner Sitz. Die Dame setzte sich und bedeutete Eva, sich auf dem Boden zu ihren Füßen niederzulassen. Einen Moment lang hielt ihr intensiver Blick Eva in seinem Bann, dann begann sie zu sprechen.
»Ich bin Athene, die ewig jungfräuliche Göttin, das Feuer, das die Weisheit der Frauen erschafft.« Athene nahm Evas Hand.
»Die schöpferischen Energien deines Zyklus sind nicht nur zum Gebären von Kindern da, sondern auch für die Geburt von geistigen Kindern.« Sie berührte Evas Stirn. »Du bringst den Funken des Lebens hervor, du trägst ihn in deinem Körper, nährst ihn und lässt ihn wachsen, bis du ihn zur Welt bringst. Kinder treten aus dem Mutterschoß in diese Welt ein, geistige Kinder gelangen durch deinen Körper, deine Hände und Füße, deine Stimme in diese Welt.« Sie küsste Evas Hände, als wollte sie ihr ihre Ehrerbietung erweisen. »Eine Frau, die keine Kinder hat, ist keine unvollständige oder unnatürliche Frau, ihre Kinder sind ihre Ideen, die sie in sich trägt, und sie gebärt sie durch die Form, die sie ihnen in der materiellen Welt verleiht.«
»Woher kommen diese geistigen Kinder?«, fragte Eva verwirrt.
»Deine Sexualität weckt die Energien, die die Samen der Inspiration säen. Der sexuelle Akt kann sowohl physische wie auch geistige Kinder erschaffen und das Feuer sein, das die Malerin, Dichterin, Musikerin, Seherin zu ihrem Schaffen drängt. Der sexuelle Akt ist etwas Heiliges, er bringt das Göttliche in die Welt.«
Eva spürte, wie ihre Finger danach verlangten, etwas zu erschaffen, wie sie warm wurden und zu pulsieren anfingen. »Wie sehen diese geistigen Kinder aus?«, fragte sie.
»Geistige Kinder können jede Form annehmen. Es spielt keine Rolle, wie du den Ideen Ausdruck verleihst oder was du oder andere Menschen von diesem fertigen Kind halten. Die Formung, der Werdensprozess des Kindes ist wichtig, nicht das Kind an sich. Das ist wie bei einem physischen Kind. Deinem Herzen, deinem Innersten wird Gestalt verliehen, und manchmal kann sich die Meinung anderer Leute wie ein Angriff auf deine Seele anfühlen, doch dem Kind muss erlaubt sein, in der materiellen Welt auf seine eigene Weise zu wachsen. Das Erschaffen kann wie eine Meditation oder ein Gebet sein. Im Schöpfungsakt, nicht im Erschaffenen spiegelt sich das Göttliche. Anders als bei den Tieren ist die Sexualität der Frauen nicht nur einfach mit dem Erschaffen der Kinder verknüpft, sondern ihre Energien werden durch ihren menstruellen Zyklus während des ganzen Monats freigesetzt. Das ist die Weisheit der Frauen. Aus dieser Weisheit entsteht die Fähigkeit, das Leben immer wieder zu verbessern, strukturierende Beziehungen und Gemeinschaften aufzubauen und die Beziehung zwischen der Menschheit und der Natur zum Ausdruck zu bringen.«
Athene beugte sich hinunter und hob eine Münze auf, die verloren im Staub vor dem Altar lag. Sie reichte sie Eva, die den Dreck abkratzte, um sie zu betrachten. Die Münze war klein, massiv und aus mattem Silber. Auf der einen Seite war das Bild einer Eule eingeprägt, auf der anderen ein Bild der Göttin im Helm, der mit einem Pferdeschwanz versehen war.
»Die Münze symbolisiert die Energien und Mächte, über die ich verfüge«, sagte Athene.
Eva sah verdutzt hoch. »Aber ich dachte, Geld sei von Übel und der Grund für alle Probleme in dieser Welt.«
Athene lachte. »Was brauchst du, damit eine Münze existieren kann?« fragte sie. »Du brauchst eine kunstfertige Person, deren Geist und Hände geschickt genug sind, um einen Gegenstand von solcher Schönheit herzustellen.«
Sie nahm die Münze und hielt sie hoch. »Die Münze braucht käufliche Dinge, also erschaffen die Menschen aus ihrem Geist heraus Gegenstände, die schön und praktisch sind. Die Münze braucht einen Wert, also erschaffen die Menschen unter sich eine Struktur dafür. Mit der Münze entstehen Verteilung und Handel, und wo sich Güter und Münze begegnen, da entwickeln sich Märkte. Aus den Märkten entstehen Gemeinden, und daraus entwickeln sich Städte und Reiche mit Strukturen, Gesetzen und Möglichkeiten des Lernens und der Zusammenarbeit. Die Münze ist ein Symbol für die Fähigkeit, in das Leben Ordnung zu bringen, Strukturen zu erschaffen und Instinkte und Energien zu kanalisieren. Sie ist ein Symbol der Zivilisation.« Die Münze blinkte im Sonnenlicht. »Die Münze ist nichts Böses, und meine Energien sind es auch nicht. Inspiration, Klarheit des Geistes und Organisation sind Energien, zu denen alle Frauen durch ihren menstruellen Zyklus Zugang haben.«
Wieder blitzte die Münze auf, und diesmal sah Eva auf die Stadt des alten Athen hinab. Sie entdeckte die Energiewellen der Göttin in den verschlungenen Mustern, die eine Töpferin einer Amphore aufmalte, in der Kunstfertigkeit eines Goldschmieds, der an einem edelsteinbesetzten Pokal arbeitete, in der Geschicklichkeit eines Webers, der an einer Straßenecke mit einem Händler verhandelte, und in der Urteilskraft und Ratgebung, die in Gerichtsräumen des Regierungssitzes zur Anwendung kamen. Als Eva aufblickte, erhob sich die Gestalt der Athene hoch in den Himmel, überragte die Stadt. In der rechten Hand hielt sie einen Speer, in der linken einen riesigen goldenen Schild, und