Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Читать онлайн книгу Die Giftmischerin - Bettina Szrama страница 5
»Die Leute vermagst du zu täuschen mit deiner freundlichen Offenheit, deiner Tüchtigkeit und deiner ach so göttlichen Freigebigkeit. Aber mich, holde Schwester, mich kannst du nicht täuschen. Ich bin dein Zwilling, vergiss das nicht. Ich weiß genau, was in dir vorgeht, was an Boshaftigkeit in dir schlummert; Schlechtigkeiten, die von den Eltern in ihrer Einfalt und Ehrbarkeit noch genährt werden. Jahrelang hast du die Mutter bestohlen, und immer wieder hast du es verstanden, den Verdacht geschickt auf mich zu lenken.«
Flink hob er sie vom Schneiderpodest und zog sie vor den einzigen großen Schneiderspiegel in die hinterste Ecke der Werkstatt. »Hier siehst du, Schwester: Hier steht ein Engel. Ein wahrhaft göttliches Wesen mit einer wahrhaft teuflischen Seele!«
Rasch lockerte er den Griff und schlang die Arme von hinten um ihre Brust. Sein Mund lag nun an ihrem Ohr und sie spürte seinen warmen Atem, als sie den Widerstand aufgab und den Kopf mit den aufgetürmten Locken kokett an seine Wange schmiegte. Eng an ihn geschmiegt, fühlte sie seinen weichen Körper und eine bisher nie gekannte Erregung. Während ihrer Rangelei war ihr die Brille von der Nase gefallen und unter dem Fuß zerbrochen. Ohne Brille noch hübscher, lächelte sie ihrem Spiegelbild zu, erst zaghaft, dann etwas selbstgefälliger. Den Kopf auf Christophs Schulter, das Gesicht an seiner Wange, stellte sie sich die Burschen vor, die sie umschwärmten und die mit dem Bruder jetzt gern tauschen würden. Der blonde Hubertus, den sie unlängst auf dem Korporalsball kennengelernt hatte, wäre ein Mann nach ihrem Geschmack gewesen. Dem wohlhabenden, gut aussehenden Schneidermeister hätte sie liebend gern ihre Hand gegeben. Doch der Vater, in der Hoffnung, seine Kinder würden das Geschäft später einmal weiterführen, hatte ihn abgewiesen, weil er befürchtete, es käme dann zwischen ihr und Christoph zum Brotneid. Und auf drei weitere Anträge, die dem Vater wiederum recht waren, hatte sie nur lachend geantwortet, dass sie ja doch noch ein Kind sei, das kaum kochen und noch viel weniger einem Hauswesen vorstehen könne, weshalb sie aufs Heiraten nun wirklich noch keinerlei Gedanken verschwende.
Selbstverliebt drehte sie ihr Gesicht zur Seite und hauchte Christoph einen Kuss auf die Wange. Mit weiblicher List flötete sie: »Ach Christoph, was denkst du nur von deiner Schwester? Ich verstehe deine Worte nicht. Gott möge mich strafen, wenn auch nur eine Silbe deines Vorwurfes wahr ist.«
»Liebe Gesche, beruf dich doch nicht ständig auf den Herrgott. Hier glaubt dir ja ohnehin keiner mehr, dass er dich auf der Stelle für deine Sünden bestraft. Oder wie war das, als du damals deine französischen Übungsarbeiten von Diedrich, dem Tischlergesellen aus der Nachbarschaft, ausarbeiten ließest, obwohl der Vater für den Französischunterricht stolze 100 Taler bezahlte.« Christoph lockerte die Umarmung, drehte Gesche so, dass sie ihm geradewegs in die blauen Augen sehen musste, und umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. Er überragte sie um eine Kopfeslänge. Sein Mund umspielte ein überlegenes Lächeln. Das Lächeln des heranwachsenden Mannes, der die schlummernde Frau in ihr wachrief. Die wohlgestalteten Gesichtszüge kamen ihr plötzlich erwachsener vor als sonst, und der süße Duft, der seinen Händen entströmte, verwirrte sie ein wenig. Für einen Augenblick bedauerte sie es, dass dieser so ganz andere Christoph ihr Bruder war. Eher käme er ihrer Vorstellung von einem Ehemann nahe. Aber solcherlei Gedanken waren sündiger Natur, und so senkte sie züchtig den Blick und holte sich schnell eines derjenigen Gebete ins Gedächtnis zurück, welches die Mutter die Kinder beim samstäglichen Wäschewechsel auswendig hersagen ließ, um Zucht und Schamhaftigkeit beständig in Erinnerung zu rufen.
Christoph bemerkte es amüsiert, zog die Hand der Schwester an seine Lippen und hauchte sanft einen Kuss darauf. Er verharrte einen Moment gedankenverloren und versenkte den Blick in das hübsche Mädchengesicht. Es bedrückte ihn auf einmal, dass er vorhatte, die Schwester zu verlassen. Aber seine nach Freiheit dürstende Seele hielt es in der kleinbürgerlichen Enge der Schneidermeisterei einfach nicht mehr aus. Die überschwängliche Liebe der Eltern erdrückte ihn ebenso wie deren sagenhafter Geiz.
»Ich habe mich bei den französischen Husaren einschreiben lassen«, sagte er leise, erleichtert, dass es nun heraus war.
Gesche erschrak. Weshalb, vermochte sie sich nicht zu erklären. Oft genug war sie eifersüchtig auf ihn gewesen und hatte ihn heimlich zum Teufel gewünscht, um in den Genuss der Aufmerksamkeiten zu kommen, die ihm von der Mutter mehr zuteilwurden als ihr. Jetzt aber brach es ihr beinahe das Herz, und sie rief zutiefst verwirrt: »Was willst du? Wissen es die Eltern schon?«
Gleichzeitig griff sie sich an die Stirn und täuschte eine beginnende Ohnmacht vor. Kraftlos und mit blassen Wangen stürzte sie in seine Arme und hauchte hilflos: »Oh, mon dieu, Christoph! Wie kannst du mir das antun?« Über die blauen Augen schien sich ein Schleier zu legen.
Es war nicht das erste Mal, dass Christoph sich von ihr täuschen ließ. Erschrocken über die drohende Ohnmacht, drückte er sie sanft zurück auf den Stuhl, hob ihre Füße an und schob eine Fußbank darunter. Dann griff er nach der Glaskaraffe auf der Fensterbank, um ihr die Stirn mit Wein zu benetzen. Doch Gesche erholte sich schnell wieder, schob ihn heftig zurück und wendete sich wieder den ungezählten Münzen zu. Während er noch mit dem Weinkrug in der Hand unschlüssig ihren geschickten Fingern zusah, die flink, als hätten sie nie etwas anderes getan, immer genau 13 Groten übereinanderstapelten, mimte sie die Beleidigte und strafte ihn mit ablehnendem Schweigen.
Als sie die errechnete Summe von exakt einem Taler mit etwas ungelenken Schriftzügen in das Buch eintrug, trat er von hinten an sie heran und legte ihr sanft die Hand auf die schmale Schulter. An deren leichtem Zucken spürte er, dass sie leise weinte. Gesche weinte oft. Er wusste, dass sie zu großen, beinahe theatralisch zu nennenden Gefühlen fähig war, und war sich wieder einmal nicht sicher, ob seine Schwester nicht im Grunde vielleicht doch ein weiches Herz hatte.
»Nimm es doch nicht so schwer, Gesche«, versuchte er ein paar tröstende Worte und küsste den schlanken blonden Nacken. »Was haben wir denn im Elternhaus bisher von unserem jungen Leben gehabt außer Arbeit? Im Grunde genommen taugen wir doch beide nicht für das Schneiderhandwerk. Du bist viel zu hübsch, um dir die Finger zu zerstechen und dein Augenlicht für die Liebe der Eltern zu opfern. Ich dagegen habe im letzten Jahr meiner Wanderschaft viel gesehen und für mich beschlossen, in die Welt hinauszuziehen. Napoleon wird die Welt erobern, und ich kann später von mir sagen, ich sei dabei gewesen. Dann habe ich die ganze große Welt kennengelernt und kehre als reicher Mann zurück.«
Gesche hatte ihm mit gesenktem Haupt zugehört. Nun tupfte sie sich mit einem Tuch eine Träne von der Wange und wandte ihm dann das Gesicht wieder zu. Die Augen, eben noch voller Traurigkeit, sprühten nun geradezu vor Begeisterung. So hätte ihn der Vater mal erleben müssen, dachte sie bei sich und staunte über das Leuchten in seinen Augen und die wie im Fieber geröteten Wangen. Die euphorischen, mit Leichtigkeit gewählten Worte sprachen auch ihre Sehnsüchte an. Nachdenklich besah sie sich den Groten in ihrer Hand. Spielerisch ließ sie ihn zwischen den Fingern hin und her gleiten. Christoph sprach eindeutig die Wahrheit. Wann hatte sie jemals, außer damals zur Konfirmation, ein Seidenkleid getragen? Wann hatte sie jemals die Freuden eines Balls genossen, abgesehen von den Annehmlichkeiten der kleinen Gesellschaft, die einmal jährlich das stille, ehrbare Elternhaus aufheiterte? Sie erinnerte sich dunkel an die kleine Feier, die zum Beginn der Gesellenarbeit stattfand und auf der sie bisher lediglich der traditionelle Kräuselbraten erfreut hatte. Beschämt sah sie an sich herab, herab am schmucklosen grauen Schultertuch und dem Rock aus dunklem Wollstoff. Dann wanderte ihr Blick mit einem Ausdruck unstillbarer Sehnsucht zum Fenster hinaus in die Nacht. Und Christoph erriet ihre Gedanken.
»So ein Leben wie das des reichen Miltenberg würde dir gefallen, was, Schwesterchen?«, fragte er und öffnete dabei für sie das Fenster. Rasch zog er sie an seine Seite und legte den Arm um ihre Hüfte. Als er bemerkte, dass sie an der kalten Nachtluft fror, zog er rasch den Rock aus und legte ihn ihr um die fröstelnden Schultern. Dann musterte er nachdenklich die hell erleuchteten Fenster des herrschaftlichen Steinhauses gegenüber. »Genau aus diesem Grunde möchte ich