Die Giftmischerin. Bettina Szrama
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Stolz darauf, sich vor der Schwester mit dem neuesten Klatsch brüsten zu können, fuhr er mit verschwörerischer Miene fort: »Nun stell dir vor, bereits kurz nach der Hochzeit soll es einen entsetzlichen Skandal um dieses Frauenzimmer gegeben haben! Angeblich soll sie deutlich älter gewesen sein, als man zunächst vorgab, und auch ihr sogenannter Brautschatz, mit dem sie überall prahlte, bezog sich auf lächerliche 1.000 Taler. Madame Miltenberg war damals schon 30 Jahre alt und im fortgeschrittenen Alter mit allen sinnlichen Lüsten bestens vertraut. Außerdem soll sie eine Trinkerin gewesen sein und von Eifersucht geradezu zerfressen. Die Zeitungen berichteten, dass ihre grenzenlose Unordnung seinen Geschäftsbetrieb und ebenso den väterlichen Haushalt völlig durcheinandergebracht hat. Veruntreuungen und andere sitt-
liche Verfehlungen sollen seitdem bei den Mägden und Knechten an der Tagesordnung sein. Der junge Miltenberg hat da-raufhin auf der Flucht vor seiner übermächtigen, ewig betrunkenen Gattin auf diversen zweifelhaften Vergnügungen sein Heil gesucht. Hast du denn nichts von dem Skandal in der Komödie gelesen, Schwesterchen?«
Gesche hielt den Kopf geneigt und hing erwartungsvoll an den Lippen des Bruders. Ihre Augen saugten sich förmlich an ihnen fest. Bisher hatten sie die Eltern von derartigen Ereignissen bewusst ferngehalten. Jetzt bewunderte sie das Weltmännische ihres sonst so menschenscheuen Bruders zutiefst. Der grinste selbstbewusst. »Stell dir vor, das Weib ist ihm in seiner Trunkenheit gar in die Komödie gefolgt und hat ihn dort vor allen Freunden bloßgestellt, indem sie sich zunächst bewusstlos soff und ihn und sich dann vor der feinen Gesellschaft auch noch verunreinigte. Na ja, der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht! Jedenfalls hat sich das Weib beim Saufen die Schwindsucht geholt und ihren Mann nach fünf Jahren Ehehölle endlich für immer verlassen.«
Versteckte Schadenfreude umspielte Gesches Mundwinkel. »Dann wäre ja der Weg für mich frei! Wie sehr wird es einen Witwer wohl entzücken, nach Jahren der Hölle nun in den Himmel aufzusteigen?«, antwortete sie belustigt.
Die ungewohnte Wandlungsfähigkeit ihres Wesens, eben noch todtraurig und nun wieder heiter und fröhlich, bestätigten Christophs Vermutungen: Unter der schönen Oberfläche war Gesche klug und listig.
»Bist du denn dem Herrn Gerhard Miltenberg schon einmal begegnet?« Aufmerksam versuchte er, die Antwort auf diese Frage mit ein wenig geschwisterlicher Eifersucht in ihren Augen zu lesen. Doch Gesche antwortete verschämt: »Was denkst du denn von mir, Bruderherz? Würde ein so reicher Mann wohl ausgerechnet mich, die unbedeutende Tochter eines einfachen Schneiders, je beachten, wo er doch jederzeit eine deutlich bessere Partie bekommen kann?«
»Vielleicht hilft ja der Herrgott in dieser Sache ein wenig nach. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass der junge Herr Miltenberg beim Vater ein prachtvolles Damenkleid in Auftrag gegeben hat. Ein aufwendiges Seidenkleid mit einem tiefen Ausschnitt, edler Spitze und mit reichem Zierrat. Man munkelt, er habe dich auf dem Korporalsball heimlich be-obachtet.«
»Du glaubst doch nicht etwa …?« Angesichts seiner Worte merkte Gesche, wie sie mit einem Mal feuerrot im Gesicht wurde.
»… dass du den Miltenberg mit deinem Liebreiz tief beeindruckt hast. Jawohl, genau das glaube ich, mein Schwesterherz.«
»Er hat sich mir noch gar nicht vorgestellt. Ist er denn ein hübscher Mann?«
Gesche hörte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Sehnsüchtig dachte sie zurück an die einzige rauschende Festlichkeit ihres Lebens, zu der sie den Vater erstmals begleiten durfte. Das Gelage hatte in einem öffentlichen Wirtshaus stattgefunden und ganze drei Tage gedauert.
»Gesche! Vor allem ist er zunächst einmal der reichste Witwer unserer Straße. Und dass er sich dir nicht persönlich vorgestellt hat, lag an der strengen Aufsicht von Mutter und Vater. Außerdem hast du ja selbst alle Tänzer abgewiesen und nur mit der Marie getanzt.«
Gesche nickte und dachte an ihren unbescholtenen Ruf, den sie unbedingt mit in eine für sie lohnenswerte Ehe nehmen wollte. Gleichzeitig aber träumte sie wachen Auges von rauschenden Empfängen, schönen Kleidern und wohlhabenden Freiern. Mitten in ihre Gedanken hinein fuhr plötzlich die jähe Erinnerung an einen schmerzlichen Verlust: eine schwärmerische Mädchenliebe, die seinerzeit ihren Anfang in ›Marks Plantage‹, einem Vergnügungshort der Vorstadt, nahm. Unter den vielen Herren, die ihr hier beim Lustwandeln bewundernde Blicke schenkten, war ihr damals ziemlich rasch ein besonders fescher Offizier aufgefallen. Viktor mit Namen. Marie, die treue Seele, holte rasch Erkundigungen über den Korporal ein, was ihn wiederum veranlasste, sich Gesche bald da-
rauf mit einer artigen Unterhaltung zu nähern.
Viktor hatte ihr ungemein gut gefallen. Groß, schneidig, mit zigeunerhaft dunklem Haar und von einer charmanten Beredtheit, die ihr bei jeder Begegnung das Blut in die Wangen trieb. Schnell begannen sich ihre Wege immer dann zu kreuzen, wenn sie sich auf dem Heimweg von der Freundin befand. Der schneidige Offizier war kein Freund großer Worte. Schon beim zweiten Zusammentreffen hakte er sich keck bei ihr unter und überschüttete sie geradezu mit Liebesbezeugungen. So war es nur allzu verständlich, dass die Sehnsucht, sich den Verführungskünsten des jungen Verehrers gänzlich hinzugeben, umso stärker in ihr wuchs, je öfter er von einer ehelichen Verbindung zu ihr sprach. Ihre keusche Seele flog ihm entgegen, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihr Viktor neben seiner Schönheit und Galanterie auch über ein nennenswertes Vermögen verfüge, damit ihr Vater vielleicht doch noch die Verbindung mit einem Offizier zulasse. Als sie Marie davon erzählte und sie in ihrer Not um Rat bat, hätte sie sich deshalb um ein Haar mit der Freundin zerstritten. Denn Marie, die hinter Viktors eifrigem Werben nichts Gutes argwöhnte, begann heimlich, nähere Informationen über ihn einzuholen. Dabei förderte sie die Erkenntnis zutage, dass der leichtsinnige Herr Offizier so gut wie jedem hübschen Mädchen der Stadt nachstellte. Daraufhin musste Gesche der Freundin versprechen, Viktor niemals wiederzusehen. Doch das Gefühl, dem Geliebten mit einem neuen Mädchen im Arm in der Stadt zu begegnen, schmerzte noch lange Zeit danach.
Christoph schloss leise das Fenster und überließ Gesche ihren Erinnerungen. Sein feiner Instinkt verriet ihm, dass nun der Augenblick gekommen war, die Schwester für immer zu verlassen. Sanft, mit Wehmut im Herzen, küsste er sie ein letztes Mal auf den Nacken. Dann zog er geräuschlos die Tür hinter sich zu.
Etwa zur gleichen Stunde saß Stadtsyndikus Wolfgang von Post an seinem Schreibtisch und blätterte in den Akten, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein Sattlergeselle der Miltenbergs mit verschwitztem Gesicht und zerzausten Haaren im Rahmen stand. Ohne einen Gruß auf den Lippen rief er aufgeregt: »Herr von Post! Eilen Sie bitte. Sie müssen das Schlimmste verhindern. Der alte Herr Miltenberg will seinen Sohn töten!«
Da Wolfgang von Post solche täglichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Miltenbergs kannte und es seit dem Tod der Ehefrau des jüngeren sowieso recht turbulent im Haus des Freundes zuging, ordnete er zunächst Schreibkiel und Akten, bevor er in die graue Robe schlüpfte, den Zylinder auf das gepuderte Haar stülpte, um dann mit einem schwarzen Lederkoffer in der Hand dem Gesellen zu folgen.
Angelangt im Miltenberg’schen Hause, nahm er mit drei Sätzen die Stufen zur Freitreppe, als ihn von oben ohrenbetäubendes Geschrei empfing.