aWay. Nic Jordan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу aWay - Nic Jordan страница 9

aWay - Nic Jordan

Скачать книгу

als gehörte es zu einem Hotel, und eine kleine Hoffnung kam in mir auf: Ich könnte mich doch zumindest in die Lobby setzen und da auf den Sonnenaufgang warten. Das Hotel war süß, nicht besonders edel, aber es hatte einen typisch französischen Flair. Der junge Mann an der Rezeption grüßte mich beim Reinkommen, als wäre es in dieser kleinen Hafenstadt völlig normal, mitten in der Nacht in ein Hotel zu marschieren. Nach dem anstrengenden Tag wäre ich sogar bereit gewesen, mit meinem Vagabundenleben direkt am Anfang zu mogeln und für ein Zimmer zu bezahlen. Doch das Schicksal ließ es nicht zu, dass ich einfach so mein Abenteuer gegen Komfort eintauschte, denn zu meinem Bedauern war das Hotel seit Tagen ausgebucht. Der nette Rezeptionist rief für mich sogar bei anderen Hotels an, um nach einem freien Bett zu fragen, doch leider überall ohne Erfolg. ›Clément‹ stand auf seinem Namensschild, und auch wenn ich ihn nie beim Namen nannte, fand ich es schön, ihn zu wissen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, schlug Clément vor, dass ich es mir auf dem Sofa in der Lobby bequem machen könnte, zumindest bis die Sonne aufging. Er setzte sich ein wenig zu mir, schaltete den Fernseher an und gab mir eine Tasse Kaffee aufs Haus. Als ich ihm erzählte, welches Abenteuer hinter mir lag und was noch bevorstand, war er völlig aus dem Häuschen. Durch seinen französischen Akzent rieselte eine Extraportion Charme auf jedes Wort, und während er arbeitete, sah er hin und wieder mit einem zufriedenen Lächeln zu mir rüber. Da das Hotel keine komplette Absteige war, wollte ich es mir nicht erlauben, auf dem Sofa einzuschlafen, und zwang meinen Körper, stundenlang wach zu bleiben. Was für eine Qual, denn das Sofa war weich und flauschig, der Raum war warm und die Stimme der Nachrichtensprecherin außergewöhnlich meditativ.

      Gegen 5:45 Uhr begannen die Vorbereitungen für das Frühstücksbüfett. Mein Magen heulte vor Hunger. Der kleine Salat vom Vorabend hatte lange nicht ausgereicht, und der Geruch von warmen Brötchen und Croissants füllte den Raum. Clément schien nicht entgangen zu sein, dass ich auf das Büfett starrte. Er schlich mit einem leeren Teller zu mir rüber, zeigte auf das Büfett und zwinkerte mir zu. Ich konnte mein Glück kaum fassen und sprang sofort auf. Während vor dem Fenster langsam ein neuer Tag seine Fühler in die romantische Nacht streckte, aß ich genüsslich mein erstes französisches Frühstück. Die Straßen wurden heller und luden mich ein, hinauszugehen. Die Müdigkeit verlor für einen Moment ihre Macht über mich. Dankend verabschiedete ich mich von Clément, wieder ohne ihn beim Namen zu nennen.

      Sobald ich an der frischen Luft war, kam ich durch meine schlaflose Nacht in einen tranceartigen Zustand, der alles fern von Realität erscheinen ließ. Die kleinen französischen Straßen wurden mit pinkem und orangem Licht überflutet. Jeder Millimeter wurde in Farben getränkt, die mein Auge noch nie zuvor bewusst gesehen hatte. Selbst der Asphalt reflektierte die Farbenmelodie wie ein matter Spiegel. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich träumte oder was davon real war. Tränen sammelten sich grundlos in meinen Augen und beschlugen meine Sicht. Emotionen überrannten mich, und mein Herz jubelte. Ich glaube, das war der offizielle Moment, in dem ich realisierte, dass ich aufgebrochen war.

      Wie am Vorabend befand sich niemand auf den Straßen, weder Menschen noch Autos störten das Gemälde einer perfekten Welt, durch das ich lief. Alles befand sich im Stillstand, bis auf den Fluss, an dem ich entlanglief und der mich zum Meer begleitete. Die ganzen kleinen Hausboote, in Pastellfarben bemalt, wippten langsam hin und her. Wie in Zeitlupe tanzten sie alle nebeneinander auf dem glitzernden Wasser und brachten selbst die Möwen dazu, sich elegant dem Takt der schleichenden Wellen anzupassen. Jedes Gebäude, jedes stehende Fahrzeug war mit diesen göttlichen Farben bemalt.

      Die Müdigkeit hatte eine komische Wirkung auf meine Psyche. Ich fing an mich zu fragen, ob es denn möglich war, dass ich tot sei? Im Himmel? Oder in einer Parallelwelt gefangen? Vielleicht lag ich auch eigentlich noch in London in meinem Bett und träumte das alles nur … Wie konnte es sein, dass ich in den letzten Stunden bis auf Clément keine Menschenseele gesehen hatte? Der Gedanke war zu schwer, mein Kopf zu müde.

      Endlich kam ich an dem verlassenen Strand an. Es kostete mich einiges an Kraft, die pudrigen Sanddünen zu überwinden, um einen Blick auf das Meer werfen zu können. Es war kalt. Das Wasser war ruhiger als erwartet. Ich starrte auf das von der Sonne verfärbte Wasser und passte meinen Atem dem Rhythmus der gleitenden Wellen an. Sand wurde vom Wind über den Boden und durch die Luft gewirbelt, und sicher war nur, dass er nie wieder in seine alte Konstellation zurückfinden würde. Ich dachte an mein Leben und London und daran, wie es sinnbildlich auch dort passte.

      Die Möwen stritten sich um die ersten Fische an diesem Morgen und tauchten im Tiefflug kurz unter die Wasseroberfläche. Ohne klar denken zu können, sah ich der Szene so lange zu, bis mir die Augen fast zufielen. Es war Zeit, zu schlafen, hier und jetzt, und auf einmal war ich froh, kein Hotelzimmer zu haben. Ich legte meinen erschöpften Körper in den kühlen Sand, und meinen Rucksack umarmte ich liebevoll wie einen Freund. Zugedeckt mit drei Kleidungsstücken erlaubte ich es meinen Augen, zuzubleiben. Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief, war, dass ich die Nacht an einem sicheren Ort verbringen wollte. Noch war ich nicht bereit dazu, eine komplette Nacht allein im Freien zu verbringen. Noch war ich nicht die Vagabundin, die ich gerne wäre, aber genau deswegen war ich aufgebrochen. Dies waren meine ersten Schritte. Innerhalb von Sekunden sank ich in einen mit Menschenworten unbeschreiblichen Tiefschlaf.

      Stunden später wachte ich schwitzend und nach Luft schnappend auf, begraben unter den Lagen an Kleidung, die ich mir in der kühlen Morgenluft drübergeschmissen hatte. Sand klebte in meinem Gesicht und hatte sich in meine Augen und Nasenlöcher verirrt. Ich versuchte, ihn rauszufieseln, um meine Sicht wiederzuerlangen, doch rieb ich ihn dadurch nur noch mehr hinein. Nach einem kurzen Kampf und vielen verlorenen Tränen konnte ich wieder sehen, und der normale Strandalltag war im vollen Gange: Leute in Badesachen, kleine, lebendige Cafés, schwitzende Jogger und Hunde, die im Sand buddelten.

      Es hatte mittlerweile über 30 Grad, und auf mir lagen immer noch drei Lagen Klamotten. Als ich aufstand, sahen alle zu mir rüber. Ich muss ausgesehen haben wie eine Verrückte mit meinen zerzausten Haaren, tränenden Augen, rot glänzendem Gesicht und dann auch noch warm bekleidet bei der Hitze. Und wer weiß, vielleicht war ich das auch.

      Ich blickte auf das Meer und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. An diesem Tag hätte ich mir keinen besseren Ort zum Aufwachen wünschen können. Hektisch versuchte ich, mir die Kleidung vom Leib zu reißen, und rannte in Unterwäsche laut lachend ins Meer. Wie ein Kind planschte ich in dem klaren, ruhigen Wasser und erinnerte mich kurz daran, dass ich normalerweise gerade in meiner weißen Uniform zur Arbeit gehen würde, um den Leuten fettige Burger zu servieren und auf Trinkgeld zu hoffen.

      Das Salzwasser brannte auf meinen wunden Schultern – der Rucksack hatte gestern seine Spuren hinterlassen. Behutsam strich ich über die gestressten Stellen. Es war ein seltsamer Moment, denn ich fühlte zum ersten Mal wahrhaftig Dank für diesen Körper, der mich durch mein Leben schleppte. Diese Schultern, die so viel zu tragen haben. Die Beine, die laufen und laufen, so weit ich möchte. Die Hände, meine fleißigsten Helfer. Es war das erste Mal, dass ich diese Verbundenheit spürte und meinen Körper nicht nur oberflächlich beurteilte. Mein Körper war mein Freund, mein Kumpane, mein Tempel, mein Zuhause und mein Schutz. In diesem Moment gab ich mir das Versprechen, dass ich mich dementsprechend um ihn kümmern würde.

      Die eifrige Sonne trocknete mich, während ich ohne Handtuch am Strand lag. Im Anschluss machte ich mich auf die Suche nach einer öffentlichen Toilette, um mir die Zähne zu putzen und meine Reise fortzusetzen. Solche Kleinigkeiten wie Zähneputzen an öffentlichen Orten fühlten sich nach Freiheit an. Mit Sand in den Ohren und Salzwasser in den Haaren spazierte ich lächelnd und barfuß durch die kleinen Seitenstraßen am Strand. An einem kleinen Stand blieb ich stehen, um mir Früchte zu kaufen, die ich mir auf einer Holzkiste im Schatten eines Baumes am Straßenrand schmecken ließ. Frisch gestärkt entschied ich, dass ich mich auf den Weg machen sollte.

      Nach einem halbstündigen Fußmarsch bei über 30 Grad im Schatten erreichte ich ein Fastfood-Restaurant direkt an der Autobahn. An der Kasse fragte ich nach einem Wasser und einem Stift. Obwohl ich nicht erwähnt hatte, dass ich trampte, brachte

Скачать книгу