Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King - Andreas Suchanek страница 55
»Jetzt nicht mehr, alter Knabe.«
Während die Gäste bei der Führung waren, war er unbemerkt ins Kino geschlichen. Dort nahm er zwei Filmdosen – die richtige und eine willkürliche – und verließ den Raum, bevor er doch noch entdeckt werden konnte. Auf der Toilette im Erdgeschoss tauschte er die Filme aus, so dass in der richtigen Dose der Falsche lag. Eigentlich wollte er sie wieder zurück ins Kino bringen, doch die fette Mrs. Bertram war bereits mit den Gästen auf dem Weg dorthin. So hatte er ihn einfach in die Vitrine gelegt und war abgehauen.
Er hätte das schon viel früher erledigen sollen, statt jahrelang damit zu leben, von Snyder erpresst zu werden. »Das hat nun ein Ende.« Genauso wie Snyder selbst.
Es hatte ihn zwar eine große Stange Geld gekostet, den Pfleger zu bestechen, damit er einen Selbstmord durch Strangulation meldet, aber das Geld war es wert gewesen. Wenn ein alter, kranker, depressiver Mann beschloss, sich selbst das Leben zu nehmen, würde kein Hahn mehr nach der wahren Todesursache krähen.
Die Leinwand vor ihm flackerte auf, es ratterte, als das Band anlief und kurz darauf sah er die Bilder. Es war wie in der Mordnacht, doch diesmal hatte er eine andere Perspektive. Statt alles aus seiner eigenen Sicht zu erleben, schwebte er jetzt förmlich über dem Geschehen. Wie ein Geist. Er lehnte sich zurück und sah sich dabei zu, wie er Marietta King ein zweites Mal tötete …
Als alles vorüber war, schaltete er den Film ab. Wenn Snyder dieses Band der Polizei zugespielt hätte, wäre er erledigt gewesen. Snyder hätte den Mord von Marietta King mit nur einem Anruf aufklären können. Stattdessen hatte er sich entschieden, das Geld zu nehmen und sich ein schönes Leben zu machen. Vielleicht war der Krebs die Buße für sein Schweigen gewesen, wer wusste das schon.
Er nahm den Film aus dem Projektor und warf ihn in das Feuer im Kamin, das er zuvor angezündet hatte. Das Band schmolz vor seinen Augen zu einem Klumpen zusammen. Jetzt waren alle Beweise vernichtet. Alle Spuren beseitigt. Er lachte leise und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Alles lief genau nach Plan.
*
Tarnowski-Haus
»Eine Familienfeier?«, fragte Olivia und starrte wie die anderen fassungslos auf die Leinwand. Auf dem Band, das Mason und Danielle mitgenommen hatten, war tatsächlich eine Grillparty aufgenommen worden. Zu sehen waren ein junger Henry Snyder, der mit seiner Tochter in einem Planschbecken im Garten spielte, und eine ebenso junge Agnes Snyder, die am Tisch saß, Platzdeckchen häkelte und den beiden voller Wonne zusah. Die perfekte Familie an einem perfekten Tag, in einem perfekten Garten. »Ich glaube es nicht«, sagte sie noch einmal.
»Wir haben das alles für nichts und wieder nichts gemacht«, sagte Mason und schüttelte den Kopf. In den letzten Minuten war es totenstill unter ihnen geworden. Niemand konnte glauben, was sie da sahen. Der Film, in den sie so große Hoffnungen gesteckt hatten, der angeblich den Mörder von Marietta King zeigen sollte, war eine Sackgasse.
»Ihr habt den falschen Film mitgenommen«, sagte Randy.
»Ach? Echt?«, antwortete Mason patzig.
»Das meine ich nicht böse. Ihr könnt ja nichts dafür.« Er drehte die Filmdose herum und überprüfte das Datum. »Die Zeit stimmt. Entweder hat Henry Snyder die Dosen falsch beschriftet …«
»… oder jemand hat sie ausgetauscht«, vervollständigte Danielle den Satz. Randy hatte die Webcam extra so gedreht, dass sie auch zuschauen konnte.
»Snyder war so penibel mit allem, seine Frau sagte noch, die Filme wären sein Heiligtum gewesen, warum also sollte er die Dose falsch beschriftet haben? Das ergibt keinen Sinn.«
»Vielleicht wollte er eine falsche Spur legen«, sagte Olivia. »Deshalb hat er den echten Film in einer anderen Dose versteckt.«
»Na, Halleluja«, sagte Mason. »Dann finden wir den nie und nimmer. Der könnte quasi überall sein.«
»Das stimmt allerdings«, sagte Danielle und stützte das Kinn in die Handflächen.
»Okay«, sagte Randy und stoppte das Band mit der Feier. »Daran können wir leider nichts ändern und es bringt nichts, all unsere Energie auf diesen Film zu verschwenden, wenn wir gar nicht wissen, ob er noch existiert oder nicht.«
»Randy hat recht«, sagte Olivia. »Lasst uns wegen Mariettas Kind weiterforschen. Vielleicht finden wir dazu etwas. Der oder die Kleine müsste mittlerweile um die Dreißig sein. Es muss doch Unterlagen von damals geben, oder? Wir sollten noch mal mit Dorian sprechen und an dieser Sache dran bleiben.«
»Einverstanden«, sagte Mason. »Würde mich echt interessieren, ob mein Dad von dem Kind wusste.« Er schluckte. »Könnte er … Na ja …«
»Der Vater gewesen sein?«, fragte Randy. »Nie und nimmer. Also … das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich glaube mittlerweile alles und nichts«, sagte Danielle. »Ob meine Mum von all dem wusste? Immerhin war sie die beste Freundin von Marietta.«
»Ich werde mal sehen, ob ich an alte Krankenhausunterlagen komme«, sagte Randy. »Falls sie nicht abgetrieben hat, muss sie das Kind irgendwo bekommen haben, vielleicht haben wir Glück und ihr Name taucht auf. Dann klärt sich das alles.«
»Einen Versuch ist es wert«, sagte Olivia und blickte zur Uhr. Sie würde zu gerne noch mal mit Chris telefonieren und sich wegen morgen absprechen. Nein, das stimmte nicht. Sie würde generell gerne mit ihm sprechen, nicht nur wegen morgen, aber das wäre ein hervorragender Vorwand für einen Anruf. Seine Telefonnummer hatte sie ja noch von dem Flyer.
»Olivia?«, sagte Mason auf einmal.
»Mhm?«
»Ich habe gefragt, wann du dich mit Chris im Hospiz triffst?«
»Oh, morgen früh um zehn. Warum?«
»Na ja, wenn du Hilfe brauchst, könnte ich euch begleiten.«
Olivia hob die Augenbrauen. »Danke. Ich denke, wir schaffen das auch so.«
Randy formte wieder die Lippen zum Kuss und schmatzte laut.
Olivia nahm den erstbesten Gegenstand – einen Bleistiftspitzer – vom Tisch und warf ihn nach ihm. »Ich habe dich gewarnt, Neek!«, rief sie und schleuderte gleich eine Schachtel Büroklammern hinterher. Er lachte, riss die Arme hoch und schrie laut um Hilfe.
Ihm würde das Lachen noch vergehen.
*
Irgendwo in der Stadt
Rebecca Reach zwirbelte die Telefonkordel in ihren Fingern. Sie stand an der Ecke 52./Grand und hatte die Nummer gewählt, die zusammen mit dem Zettel in ihrem Briefkasten gelegen hatte. Sie schwitzte und zitterte. Wenn das vorbei war, würde sie sich erst mal einen genehmigen.
Nach dem dritten Läuten hob jemand ab.
»Hallo?«, fragte sie leise. Sie hatte keine Ahnung, wen sie da anrief, aber die Worte auf dem Zettel waren unmissverständlich