Soziale Interventionen in der Psychotherapie. Группа авторов

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Reizen. Die Bezeichnung Syndrom macht deutlich, dass es sich um verschiedene Manifestationen auf verschiedenen Integrationsebenen von Stress handelt, die zusammen auftreten. Die Funktion der allgemeinen Stressreaktion ist zunächst nicht nach der Art der Stressquelle zu differenzieren, sondern der Organismus reagiert auf die wahrgenommene Notwendigkeit einer Anpassungsreaktion (vgl. ebd.). Physische, psychische wie soziale Stressoren (z. B. Kälte, Nahrungsmangel, Tod des Partners/der Partnerin, Angstzustände) rufen das gleiche Syndrom hervor.

      So lagen in den 1970er-Jahren wichtige theoretische und empirische Bausteine vor, als der Psychiater Engel (1977, 1980) das biopsychosoziale Krankheitsmodell formulierte, das auch psychosoziale Faktoren zur Erklärung von psychischen und körperlichen Erkrankungen heranzog. Der Grundgedanke des Engel’schen Modells »besteht darin, dass alle drei Bedingungen – die biologisch-organische, die psychische und die soziale – in sich kontinuierlich ändernden Wechselbeziehungen stehen und aus diesen Faktoren und deren Veränderungen sich Entwicklung und Verlauf von Störungen erklären lassen« (Jungnitsch, 1999, S. 31). In Genese und Verlauf von Erkrankungen gibt es ein dynamisches Wechselspiel der drei Ebenen, was bedeutet, dass neben den biologischen ebenfalls psychische und soziale Faktoren auch kausal für die Entstehung von Krankheiten in Betracht kommen. Der Mensch ist in dieser Sicht Teil umfassender Systeme und selbst wiederum ein System aus vielen Subsystemen bis hinab zur molekularen Ebene.

      Dies lässt sich gut anhand chronischer sozialer Belastungszustände mit negativen Emotionen (Distress) veranschaulichen: Soziale Benachteiligungen werden als Kränkungen erlebt, die zu langandauernden belastenden emotionalen Zuständen im Organismus führen.

      »Leiden an der Gesellschaft in Form von Gewalt, Benachteiligung, Überforderung, Ausschluss oder anderen Arten zwischenmenschlicher Konflikte ruft starke, wiederkehrende negative Emotionen der Bedrohung, Angst und Hilflosigkeit, aber auch der Irritierung und Verärgerung hervor, die ihrerseits Aktivierungszustände im Organismus auslösen (chronischer sozio-emotionaler Distress). Vermittelt über das autonome Nervensystem, das neuroendokrine und das Immunsystem vermögen solche Aktivierungen längerfristig das geordnete Zusammenspiel physiologischer Funktionen zu beeinträchtigen und pathophysiologische Prozesse zu begünstigen, bis hin zu organischen Läsionen« (Siegrist, 1998, S. 273).

      Beachtet man also die biopsychosoziale Integration, dann wird das erhebliche pathogene Potenzial der sozioökonomischen Lebenssituation und des sozialen Status erklärbar: Armut, relative Benachteiligungen und ungünstige Wohn- und Arbeitsverhältnisse wirken begünstigend auf die Entwicklung und den Verlauf akuter und chronischer körperlicher und psychischer Erkrankungen. Diese sind aus biopsychosozialer Perspektive immer in ihrer Einbettung in soziale und soziokulturelle Kontexte zu sehen (also auch »soziopsychobiologisch«).

      1.3 Das biopsychosoziale Modell als Grundlage kooperativer multidisziplinärer Intervention

      Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in verschiedenen umfassenden globalen Rapporten, z. B. den Weltgesundheitsberichten (WHO, 2001b, 2003), die biopsychosoziale Forschungsevidenz beschrieben, mit der heute die grundlegenden Determinanten psychischer und psychosozialer bzw. soziosomatischer Gesundheit aufgezeigt und definiert werden können. Es gibt einen beeindruckenden wissenschaftlichen Konsens, dass gewisse Voraussetzungen sowohl auf gesellschaftlichem Niveau als auch individuell gegeben sein müssen, um Gesundheit zu fördern und Krankheit und Dysfunktion zu verhindern bzw. zu behandeln. Diese Faktoren werden maßgeblich durch die soziale Lebenslage der Menschen im gesellschaftlichen Wandel beeinflusst, auch wenn dann im Einzelfall Gesundheit oder Erkrankung Konsequenz individueller Lebensweisen, Lebenskrisen oder krankheitsbedingter Funktionsverluste sind (Rutz & Pauls, 2017).

      Diese Erkenntnisse gingen ein in das biopsychosoziale Modell der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der WHO (2001a; dt. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, ICF; image Abb. 1.1). Sie liefert eine länder- und fachübergreifende, einheitliche Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren einer Person. Erfasst werden Behinderungen und Beeinträchtigungen der Person, ihre Aktivitäten und ihre Situation sowie ihre Teilhabemöglichkeiten im Alltag. Die Abklärung von Ressourcen und Defiziten (Beschreibung krankheits- oder altersbedingter funktionaler Probleme) ist Voraussetzung für gezielte medizinische, psychologische und soziale Prävention und Intervention.

      Abb. 1.1: Das biopsychosoziale Modell der ICF (aus DIMDI, 2005; © Copyright WHO, DIMDI, 2001–2012)

      Das biopsychosoziale Modell gibt mit solchen Strukturierungen klinischer Behandlung eine Anleitung, wie Leiden und Krankheit auf verschiedenen Integrationsebenen, von der sozialen bis zur molekularen, angegangen werden können (Borrell-Carrió, Suchman & Epstein, 2004, S. 576). Seine Relevanz für das praktische sozialarbeiterische Vorgehen bei klinischen Aufgabenstellungen wird von Applegate und Shapiro (2005) folgendermaßen charakterisiert:

      »The biopsychosocial integration offers a rigorously conceptualized and research-based explanatory framework for understanding how the clinical relationship works. For social work this formulation validates and privileges the quiet, sustaining, and supportive relational backdrop to the range of interventions, from assisting individual clients with emotional problems, to advocating with others on their behalf, to gaining cooperation of others toward modifying aspects of clients’ external environments. The emphasis on attachment dynamics as key to successful intervention puts as much, if not more, emphasis on the experience of ›being with‹ the client than on ›doing for‹ him or her« (S. 157).

      Gemeinhin werden psychosoziale Beratung, soziale Unterstützung und Hilfen der Sozialen Arbeit als Bearbeitung von »Mittelproblemen« und dazu notwendigen Handlungsregeln verstanden, die man in Bezug auf die Lösung von sozialfunktionalen und sozialstrukturellen Problemen benötigt. Folgt man Applegate und Shapiro (2005), ist diese Betonung des Mittelbezuges zwar durchaus zutreffend, doch ebenso zutreffend ist, dass klinisch-sozialarbeiterische Fallarbeit es in hohem Maße auch mit kognitiv-emotiven Betroffenheiten der Menschen zu tun hat, die zugleich Orientierung und psychosoziale Beratung suchen und professionelle Hilfe bei der Auffindung oder Aktualisierung von Mitteln zur Problemlösung in ihrer Lebenssituation benötigen. Um sich auf die Bearbeitung der Mittelprobleme einzulassen, die sich in der Regel als engstens verzahnt mit Problemen der kognitiven wie emotionalen Orientierungsfindung erweisen, ist eine differenzierte und professionelle – oft langfristige – Beziehungsgestaltung erforderlich (Gahleitner, 2017). So präsentieren sich beispielsweise grundlegende Lebensorientierungsfragen sehr häufig zunächst als Mittelprobleme (z. B. Schulden), die nicht rein argumentativ bzw. »sachlich« beratend angegangen werden können.

      Hier kommt auch deutlich die notwendige interdisziplinäre Kooperation der Psychotherapie mit der Sozialen Arbeit ins Spiel. Erst wenn jemand in der Lage ist, die eigenen Probleme mit dem eigenen Handeln und Erleben in Verbindung zu bringen, sie also nicht nur zu externalisieren, ist Veränderung durch eigenes Handeln in der sozialen Umgebung möglich. Ein erlebter Selbstbezug ist für die psychotherapeutische Bearbeitung normalerweise Voraussetzung für eine erfolgversprechende Behandlung. Gar nicht so selten kann ein solcher Selbstbezug jedoch erst in einem längeren klinisch-sozialarbeiterischen bzw. sozialtherapeutischen Hilfeprozess als Voraussetzung einer Psychotherapie oder diese begleitende Maßnahme erreicht werden. Es geht hier um einen bedeutsamen Teil der Klientel der (Klinischen) Sozialarbeit. Die Betroffenen befinden sich meist in einer Situation subjektiv und objektiv stark eingeschränkter Kontrollierbarkeit des Geschehens (also unter starkem Situationsdruck), wodurch sie ungewollten und unerwünschten negativen Erfahrungen und Situationen ausgesetzt sind, die sie in der Regel im subjektiven Erleben

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