Heimat bist du großer Namen. Dietmar Grieser
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Bei Kriegsende in Bern, kann er von seinem Krankenzimmer aus (der Einundsechzigjährige liegt mit Herzschwäche und schwerer Bronchitis im Spital) Dr. Karl Renner, den Kanzler der provisorischen Regierung, in Fragen der Republikgründung beraten; auch gewinnt er die Alliierten für Lebensmittellieferungen ans hungerleidende Österreich. Und als im Jahr darauf die Friedensgespräche von St.Germain beginnen, gehört Slatin der österreichischen Delegation an. Renners Plan, ihn als neuen Missionschef nach London zu entsenden, scheitert allerdings am Einspruch der Briten: Die ehemalige Wahlheimat läßt den »Verräter« nicht einmal als Privatmann einreisen.
Mit dem Krebstod seiner Frau – Slatin hat am 21. Juli 1914 in der Wiener Votivkirche die 16 Jahre jüngere Baronin Alice von Ramberg geheiratet – bleibt dem müde und alt Gewordenen seine 1916 geborene Tochter Anna Marie fast die einzige Freude: Gestützt auf eine Pension der sudanesischen Regierung, die Tantiemen aus seinem Memoirenwerk und eine ansehnliche US-Erbschaft, bezieht er seinen Alterssitz: Villa Mathilde im vornehmen Meraner Ortsteil Obermais.
Drei Höhepunkte sind Slatin Pascha immerhin noch vergönnt: eine allerletzte Besuchsreise in den geliebten Sudan, eine Einladung zum Dinner bei König George V. im Buckingham-Palast sowie die Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Wien. Seine Beisetzung auf dem Friedhof von Ober-St. Veit am 6. Oktober 1932 – die Krebsoperation im Cottage-Sanatorium hat mit dem Tod des Fünfundsiebzigjährigen geendet – gleicht einemStaatsbegräbnis.
Eine Koreanerin aus Wien
Franziska Syngman Rhee
Von den drei Donner-Töchtern ist sie die energischste: Nach der obligaten Klosterschule studiert Franziska Sprachen und macht den Dr. phil., nach dem Tod des Vaters läßt sie sich ihr Erbteil auszahlen und schaut sich in der Welt um. Im Gegensatz zur Mutter, die, von Geburt Italienerin, ihre Opernkarriere der Ehe mit dem Inzersdorfer Sodawasserfabrikanten Josef Donner geopfert hat, ist sie, die 1900 im Zeichen der Zwillinge Geborene, fest entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen.
Beim Völkerbund in Genf werden junge Frauen wie sie gebraucht: Die »Belles de la Societé des Nations« sind ein Mix aus Dolmetscherin, Diplomatin und Hostess. Eine der Delegationen, auf die Franziska Donner angesetzt wird, ist ein Häuflein Koreaner, die festen Willens sind, ihre zur japanischen Kolonie geschrumpfte Heimat eines Tages in die Unabhängigkeit zu führen. Ein aussichtsloser Kampf: Niemand hört ihnen zu, wenn sie ihre patriotischen Parolen vom Stapel lassen.
Ihr Anführer ist ein gewisser Dr. Syngman Rhee; der Siebenundfünfzigjährige firmiert offiziell als Rektor der koreanischen Schule von Honolulu, doch sein eigentliches Interesse gilt der Gründung eines autonomen Staates Korea nach westlich-demokratischem Vorbild.
Dr. Syngman Rhee und die ihm zugeteilte Franziska Donner kommen einander während dieser Genfer Verhandlungsrunde anno 1932 auch menschlich näher: Noch im selben Jahr geht eine Verlobungsanzeige nach Wien, und am 8. Oktober 1934 läßt sich das ungleiche Paar – der Altersunterschied beträgt 25 Jahre – ins New Yorker Trauungsregister eintragen. Von Amerika aus setzt Syngman Rhee seine Agitation für ein souveränes Korea fort, und wer ihn dabei am temperamentvollsten unterstützt, ist seine eigene Frau.
Träumt die ehrgeizige junge Wienerin davon, eines Tages First Lady des ostasiatischen Halbinselreichs zu sein?
Jedenfalls scheint sie unerschütterlich an die eminent schwierige Mission ihres Mannes zu glauben, und die Opfer, die er dafür gebracht hat und bringt, sind für sie nicht Entmutigung, sondern im Gegenteil treibende Kraft. Es imponiert ihr, daß der entfernte Abkömmling der seit dem 14. Jahrhundert in Korea herrschenden Dynastie sich von seiner traditionellen Erziehung gelöst, die methodistische Mittelschule von Seoul absolviert, sich mit 20 dem republikanischen »Unabhängigkeitsclub« angeschlossen, noch als Student eine eigene Zeitung gegründet und für seine Auftritte als Demonstrant und Versammlungsredner mit schwerer Kerkerhaft gebüßt hat.
Das Urteil lautet auf lebenslänglich; die Folterungen, denen er ausgesetzt wird, hinterlassen Narben, die ihm bis ans Ende seiner Tage erhalten bleiben werden. In der Zelle setzt er sein politisches Manifest auf und bereitet sich für den Übertritt zum christlichen Glauben vor; 1904 gelingt ihm, als vermeintlich Toter eingesargt, die Flucht aus dem Gefängnis. Der Neunundzwanzigjährige geht nach Amerika ins Exil, studiert an den Universitäten von Harvard und Princeton und organisiert gleichzeitig den Widerstand gegen die seine Heimat unterjochenden Japaner. Als die gewaltlose Rebellion seiner Landsleute im März 1919 in einem Blutbad endet, rufen er und seine Mitstreiter eine Exilregierung aus – mit Syngman Rhee an der Spitze. Aber weder bei der Pariser Friedenskonferenz noch beim Völkerbund noch in Washington dringt die Korea-Lobby mit ihren Intentionen durch. Erst nach 1945 – mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg – schlägt dem mittlerweile Siebzigjährigen die Stunde: Die südkoreanische Nationalversammlung wählt am 19. Juli 1948 Syngman Rhee zum 1. Präsidenten der frisch gegründeten Republik.
Franziska Rhee-Donner betritt zum erstenmal koreanischen Boden. Und wird fortan, bei offiziellen Auftritten stets die obligaten zwei Schritte hinter ihrem Mann schreitend, zu dessen engster Beraterin. Vorsichtig leitet sie auch die eine und andere eigene Reform ein, will die Frauen ihres Gastlandes von ihrem noch immer sklavenähnlichen Dasein befreien. Um den Hunger einzudämmen, stampft sie eine weltweit operierende Hilfsaktion aus dem Boden. Auch auf Propaganda versteht sie sich vorzüglich: Über die Zeitungen des Landes läßt sie eine angeblich uralte Weissagung verbreiten, eine weiße Frau werde ins Land kommen und ihnen ewiges Glück und Frieden bescheren. Aber nicht alle wissen ihr für ihre Aktivitäten Dank: Von den einen als der »Engel von Korea« gepriesen, sehen die anderen in der seltsamen Fremden einen bösen Dämon, und vor allem, als Syngman Rhee, für weitere drei Regierungsperioden wiedergewählt, mit den Jahren zu immer fragwürdigeren Mitteln greift, um seine Macht abzusichern – man spricht von Wahlschwindel, willkürlicher Verfassungsänderung und Unterschlagung öffentlicher Gelder –, gerät auch sie ins Schußfeld der Opposition.
Am 27. April 1960 wird Syngman Rhee zum Rücktritt gezwungen; wie schon in früheren Jahren ist es Hawaii, das dem entmachteten Paar Asyl anbietet. Den 90. Geburtstag verbringt der Ex-Präsident, nun schon teilweise gelähmt, in einem Sanatorium in Honolulu; am 19. Juli 1965 erliegt er einem Schlaganfall. Seinen letzten Willen, in heimatlicher Erde bestattet zu werden, kann ihm die Witwe erfüllen, nur an der Zeremonie in Seoul selber teilzunehmen, scheitert am Einspruch der Ärzte: Schon bei der Totenmesse auf Hawaii ist sie ohnmächtig zusammengebrochen. Franziska Rhee-Donner erholt sich jedoch wieder, kann ein letztes Mal ihre Verwandten und Freunde in Wien besuchen, und auch ihr größter Wunsch wird wahr: ihren Lebensabend in Korea zu verbringen. 1970 kehrt sie nach Seoul zurück und bezieht wieder die alte Villa auf dem »Hügel der Pflaumenblüte«, in deren Garten jener Pavillon steht, in dem die ersten Besprechungen der 1947 heimgekehrten Exilpolitiker stattgefunden haben und der seither nicht nur in ihren Augen als die Geburtsstätte des neuen Korea gilt.
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