Heimat bist du großer Namen. Dietmar Grieser
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Vor etwas über 100 Jahren ist Manila gegründet worden, die Hauptstadt der von den spanischen Kolonialisten ausgebeuteten Philippinen-Insel Luzon ist ein wichtiger Umschlagplatz für den Warenverkehr zwischen China und Europa. Und Sitz eines Jesuitenkollegs. Doch Frater Georgius Josephus hat weder mit der Eroberung neuer Territorien, der Erschließung verborgener Reichtümer und der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte noch mit der Christianisierung der Eingeborenen zu tun: Er soll sowohl seinen Ordensbrüdern wie den Einheimischen pharmazeutische Hilfe leisten.
Über Tirol, Mailand und Genua erreicht der Siebenundzwanzigjährige die Südküste Spaniens, in Cadiz besteigt er die Galeone »Santisima Trinidad«, die ihn und sechs weitere Gottesmänner nach dreimonatiger Überfahrt via Mexiko ans Ziel bringt.
Eine Menge Arbeit wartet im Jesuitenkolleg von Manila auf den Neuankömmling: Frater Georgius Josephus muß den Insulanern den Arzt ersetzen. Und da es der nach dem Muster seiner mährischen Heimat errichteten Apotheke an Nachschub fehlt, geht er daran, seine Bestände mit Heilkräutern anzureichern, die ihm die Eingeborenen ins Haus bringen. Mit aller gebotenen Sorgfalt erprobt er ihre Wirkung, setzt die Dosierung fest, räumt auch mancherlei Aberglauben aus und beginnt eines Tages, jene Pflanzen, die für ihn selber neu sind, systematisch zu erfassen: sammelt sie in Herbarien, schreibt Berichte über sie, fertigt mit Feder und Tinte Zeichnungen von Wurzeln, Blättern und Früchten an. Und da er sich nicht nur als Heilpraktiker, sondern auch als Wissenschaftler versteht, macht er von alledem Duplikate, die von Manila aus den Weg nach Europa antreten. Vor allem englische Botaniker, mit denen er in Verbindung steht, empfangen laufend Sendungen von ihm. Bei einem Postweg von bis zu anderthalb Jahren müssen sie sorgfältig, vor allem wetterfest verpackt sein. Doch zum Glück gelangt das Meiste wohlbehalten ans Ziel (und zählt heute zu den Schätzen des Jesuitenkollegs in der belgischen Universitätsstadt Löwen sowie des Britischen Museums in London).
Um für seine botanischen Wanderungen, seine Zuchtversuche und vor allem für die tägliche Heilpraxis gerüstet zu sein, lernt Georgius Josephus die Sprachen der Eingeborenen: Sie danken es ihm mit immer wieder neuen Funden, auf die sie sein Auge lenken, und mit der Weitergabe ihres eigenen Wissens. Jene halb mannshohe Pflanze mit den teils weißen, teils roten Blüten, den immergrünen Blättern, den holzigen Kapselfrüchten und dem in späterer Zeit für die Herstellung von Schmiermitteln und Seifen verwendeten Samenöl, die nach Kamels Tod dessen Namen erhalten wird, nennt er selber Thea japonica – die Kamelie ist eine nahe Verwandte des Teestrauchs.
Zu besonderer Kennerschaft bringt es Kamel als Orchideensammler, und bald geht er dazu über, seine Forschungen auch auf die Tierwelt der Philippinen zu erstrecken: Er beschreibt Schmetterlinge, Käfer und Spinnen, Schnecken, Vögel und Fische. Nur in einem Punkt versagt der gelehrte Mann aus fernen Landen: Er unterschätzt die Tücken des Tropenklimas, die Folgen der einseitigen Ernährung und die latente Infektionsgefahr. Mit nur 45 Jahren stirbt Georg Joseph Kamel in Manila an einer Darmerkrankung. Noch einmal die alte Heimat Mähren wiederzusehen, bleibt ihm verwehrt.
»Sie haben Unglaubliches durchgesetzt!«
Ida Pfeiffer
Zählt man die Kilometer zusammen, die sie auf ihren Reisen zurückgelegt hat, kommt man auf das Siebenfache des Erdumfangs. Um so verwunderlicher, daß sie sich eines der Nahziele ganz bis zum Schluß aufspart: Erst auf ihrer allerletzten Tour macht Ida Pfeiffer auch in Paris Station. Und was beeindruckt sie dort besonders? Die »Morgue«, das berühmte Leichenschauhaus, »in welchem die Totgefundenen zur Schau ausgestellt werden, damit die Verwandten oder Freunde sie erkennen können«. Und sie fährt fort: »Manche meiner Leser werden vielleicht darüber erstaunt sein, wie ich, eine Frau, einen ähnlichen Ort besuchen konnte; sie mögen aber bedenken, daß ich selber auf meinen Reisen nicht selten dem Tode sehr nahe war, daß daher sein Anblick für mich nicht so schrecklich ist wie für den größeren Teil der Menschen.«
Wie wahr! Nur tollkühner Gegenwehr mit ihrem Sonnenschirm hat die kleinwüchsige Endvierzigerin es zu verdanken, daß sie die Messerattacke eines Eingeborenen auf einem ihrer Streifzüge durch Brasilien überlebt. Den bei dem dramatischen Zweikampf abgebrochenen Griff ihrer Verteidigungswaffe wird sie, mit einem feinsäuberlich beschrifteten Etikett versehen, bis ans Ende ihrer Tage als stolze Trophäe aufbewahren.
Was ihr wirklich Schrecken einjagen kann, sind niemals Menschen, denen sie begegnet, sondern Naturgewalten, denen sie sich aussetzt – so etwa, als sie auf einer Island-Reise den berüchtigten Vulkan Hekla besteigt und beim Blick in den Krater von panischer Angst befallen wird, »vielleicht nimmer wieder aus diesem gräßlichen Labyrinthe hinauszufinden«.
Um mit Menschen, die ihr nach dem Leben trachten, fertigzuwerden, verfährt sie nach einem denkbar einfachen Rezept: Sie versucht sie zum Lachen zu bringen. Selbst bei den Kannibalen vom gefährlichen Stamme der Batak, bis in deren Domäne im tiefsten Inneren Sumatras sie sich vorwagt, hat Ida Pfeiffer mit ihrer Methode Glück: Als sie ihren Angreifern mit einer kuriosen Mischung aus Sprachkauderwelsch und Pantomime zu verstehen gibt, das Fleisch einer so alten Frau sei hart und zäh, verdirbt sie ihnen wahrhaftig den Appetit, und die schon zum Äußersten Entschlossenen lassen prompt von ihrem Opfer ab.
Eine Wiener Biedermeierdame, die sich ohne männliche Begleitung auf Weltreise begibt und vor keinem noch so kühnen Schritt zurückschreckt – wer ist dieses »Herzerl«?
Sie stammt aus gutem Hause, Vater Aloys Reyer hat sich mit Musselinhandel ein stattliches Vermögen erwirtschaftet, die Mutter ist eine »von«. Ida wächst mit fünf Brüdern auf – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Auch sie trägt Bubenkleider, spielt mit Trommel, Säbel und Gewehr; der Vater versteigt sich gar zu dem Scherz, sie mit vierzehn in die Militärschule zu stecken. Obwohl es den Reyers an nichts fehlt, werden die Kinder spartanisch streng erzogen – mag sein, daß hier die Wurzel für jene extreme Zähigkeit zu suchen ist, die in späteren Jahren unsere Globetrotterin alle ihre Abenteuer bravourös bestehen lassen wird.
Zunächst aber muß Ida noch mit einer Reihe schlimmer Wechselbäder fertigwerden, die ihr Zug um Zug das Elternhaus beschert. Als der Vater stirbt, dreht die Mutter das Erziehungsziel um, zwingt Ida nun in Mädchenkleider, ans Klavier und an den Stickrahmen, und als sie schließlich flügge wird und sich in ihren Hauslehrer verliebt, wird sie zur Buße auf eine Wallfahrt geschickt. Um weiteren Bevormundungen einen Riegel vorzuschieben, reißt sie mit 23 von daheim aus und geht im fernen Galizien eine Vernunftehe mit dem 24 Jahre älteren Advokaten Dr. Mark Anton Pfeiffer ein, aus der zwei Söhne hervorgehen. Da sich ihr Mann jedoch an seinem Wirkungsort Lemberg Feinde gemacht hat und daraufhin seine Kanzlei schließen muß, landet man notgedrungen wieder in der Heimat, und für Ida Pfeiffer und die Ihren beginnen entbehrungsreiche Jahre in Wien. Erst als 1833 Dr. Pfeiffer nach Galizien zurückkehrt und Frau und Kinder in Wien zurückläßt, kann die inzwischen Vierzigjährige darangehen, an ihre Selbstverwirklichung zu denken: Eine Badereise mit dem jüngeren Sohn Oscar nach Triest, wo man zum erstenmal das Meer sieht, weckt in Ida Pfeiffer eine – wie sie es später ausdrücken wird – »kaum zu bewältigende Reiselust«.
Sechs Jahre darauf ist es soweit: Unter dem Vorwand, eine in Konstantinopel ansässige Brieffreundin zu besuchen, besteigt sie, nicht ohne zuvor ihr Testament aufgesetzt zu haben, in Kaisermühlen den Donaudampfer und durchstreift neun Monate lang den Orient. Ihr Gewand besteht aus Kniehose, knöchellangem Rock und Umhang; das Haar trägt sie entgegen der herrschenden Mode kurz; reiten lernt sie erst unterwegs; der einzige Reisekomfort, den sie sich gönnt, ist das eigene Kopfkissen, und das wichtigste Stück im Handgepäck ist ihr Tagebuch.
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