Heimat bist du großer Namen. Dietmar Grieser
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Und weiter:
»Im ersten Moment standen wir alle gebannt und voll Unglauben da; dann brachen wir, hingerissen von der unver-scheuchbaren Wahrhaftigkeit unseres Glückes, in den stürmischen Jubelruf aus: ›Land, Land, endlich Land!‹ Jahrtausende waren dahingegangen, ohne Kunde von dem Dasein dieses Landes zu den Menschen zu bringen. Und jetzt fiel einer geringen Schar fast Aufgegebener seine Entdeckung in den Schoß als Preis ausdauernder Hoffnung und standhaft überwundener Leiden. Und diese geringe Schar, welche die Heimat bereits zu den Verschollenen zählte, war so glücklich, ihrem fernen Monarchen dadurch ein Zeichen ihrer Huldigung zu bringen, daß sie dem neuentdeckten Lande den Namen ›Kaiser-Franz-Joseph-Land‹ gab.«
Das heißt konkret, daß auf die erste Meldung hin zunächst einmal die nötigen Lotungen und Peilungen vorgenommen, sodann alle Mann auf Deck versammelt und schließlich – nach einer feierlichen »Anrede seitens des Commandanten« – drei kräftige Hurra-Rufe ausgestoßen werden. So verlangt es das Ritual.
Aber das Ritual ist die eine Sache, die Realität die andere. Und die Realität ist: Erst drei Monate später können die Leute von der »Tegetthoff« ihren Fuß auf das neuentdeckte Terrain setzen, nicht vor Ende Oktober geben Treibeis und Dauernebel den Weg aufs »Kaiser-Franz-Joseph-Land« frei. Ja, die eigentliche Erkundung des Inselgewirrs kann sogar erst im darauffolgenden Februar in Angriff genommen werden. Mit ausgesucht kleiner Mannschaft gehen Payer und Weyprecht daran, teils per Schlitten, teils zu Fuß das Gelände zu durchstreifen, zu vermessen und zu kartographieren. Bei Temperaturen unter 40 Grad minus (die sich im Nachtlager noch bis zu 50 Grad abkühlen), geschützt nur durch Sturmhaube und Bärenfell, also stets den Erfrierungstod vor Augen, besteigen sie ihre mit elastischen Segeln ausgerüsteten Skischlitten – am Schluß wird es eine Gesamtstrecke von 840 Kilometern sein, die sie, Proviant und Kocher im Gepäck, zurückgelegt haben. Und siehe da, alle – inklusive der Schlittenhunde – überleben!
Eine Polarexpedition ist keine Konquista, kein Kolonisierungsakt, sondern ein wissenschaftliches Vorhaben ohne alle völkerrechtlichen Ambitionen. Aber ein bißchen Patriotismus wird wohl doch erlaubt sein, und so erhalten die einzelnen Landfunde wenigstens österreichische Namen: vom Cap Grillparzer bis zum Todesco-Fjord, vom Austria-Sund bis zum Simony-Gletscher, vom Wilczek-Land bis zur Teplitz-Bay.
Zwar glückt den Männern um Payer und Weyprecht die Rückkehr zur im Eis festsitzenden »Tegetthoff«, doch das Schiff selber, soviel steht fest, muß aufgegeben, der Rückzug aufs Festland mit Schlitten und Booten versucht werden. Der Proviant geht zur Neige: Der mörderische Hunger ist nur noch zu stillen, indem man die Kadaver der vor Wochen erlegten Eisbären ausgräbt und für den Verzehr freigibt. Die Logbücher und Schiffspapiere, die Vermessungsberichte sowie die geographischen und zoologischen Handzeichnungen landen in einer blechgefütterten Kiste, die gegen alle Einwirkungen von außen dicht verlötet ist.
96 Tage dauert der Marsch gen Süden – zuerst über schier endloses Packeis, dann über leichtes Treibeis, bis endlich am 15. August 1874 das offene Meer erreicht ist und die Einbootung erfolgen kann. Am 18. August gehen die Männer um Julius Payer nördlich der AdmiralitätsHalbinsel an Land, und weitere sechs Tage später sind sie gerettet: Der russische Schoner »Nikolaj« nimmt die total Entkräfteten an Bord und bringt sie in rascher Fahrt in den Hafen von Vardö an der äußersten Nordspitze Norwegens, wo sogleich alles für die Weiterreise nach Hamburg und Wien Nötige in die Wege geleitet wird.
Die Heimkehr der längst verloren Geglaubten wird in Österreich wie ein Volksfest gefeiert. Und doch – auch falsche Töne mischen sich in den Jubel um die geretteten Polarfahrer. Bei der Sondersitzung der Wiener Geographischen Gesellschaft, die am 29. September 1874 im Beisein mehrerer Regierungsmitglieder sowie des noch jungen Kronprinzen Rudolf im Festsaal der Akademie der Wissenschaften stattfindet, glaubt eine der anwesenden Erzherzoginnen Payers Expeditionsbericht mit einem halblaut geäußerten »Wenn’s wahr wäre!« in Zweifel ziehen zu müssen. Der solcherart zutiefst Verletzte nimmt daraufhin, obwohl erst 33, seinen Abschied von der Armee und zieht sich, von Kaiser Franz Joseph in den erblichen Ritterstand erhoben, ins Privatleben zurück.
Aber auch dort erwartet ihn nichts als Enttäuschung: Die erhoffte Professur für Geographie bleibt Payer ebenso versagt wie eine Aufbesserung seiner kümmerlichen Pension – erst Jahre später wird das ihm gebührende Gnadengehalt bewilligt werden. Ein »Nationalheld« muß sich als Vortragsredner durchbringen, geht verbittert ins Ausland.
In Frankfurt heiratet er, gleichzeitig nimmt er am dortigen Städelschen Kunstinstitut Malunterricht: Der Forschungsreisende a.D. muß sich um einen neuen Beruf umsehen. Sein zeichnerisches Talent hat er bereits mit den Hunderten und Aberhunderten Landschaftsskizzen bewiesen, die er sowohl von seinen Bergtouren wie von seinen Polarreisen mitgebracht hat – nun geht es darum, auch mit Öl umgehen zu lernen. Schon an seiner nächsten Station, der Akademie der bildenden Künste in München, heimst er für seine Werke – allen voran der Bildzyklus über die legendäre Polarfahrt des Engländers John Franklin – die ersten Auszeichnungen ein.
Niemals aufgeben – das hat sich Julius Payer schon seinerzeit als Expeditionsleiter zur Maxime gemacht. Jetzt braucht er dieses Durchhaltevermögen ein weiteres Mal: Schon seit jungen Jahren unter Kurzsichtigkeit leidend, büßt er kurz nach seiner Übersiedlung nach Frankreich die Sehkraft des linken Auges ein. Ist es eine Spätfolge der Überanstrengung durch das Gletscherlicht, dem er während seiner Polarexpeditionen ausgesetzt war? Oder ist es bei einer schlampig ausgeführten Augenlidoperation zu einer unheilvollen Infektion gekommen? Wie auch immer: Selbst als Einäugiger malt Payer weiter, nur muß er nun zu noch größeren Bildformaten übergehen.
Als zu allem übrigen Unglück auch noch seine Ehe zerbricht – Gattin Fanny geb. Gumperz und die beiden Kinder bleiben in Paris, nehmen die französische Staatsbürgerschaft an und werden Julius Payer niemals wiedersehen –, kehrt der inzwischen knapp Fünfzigjährige nach Wien zurück. Im ehemaligen Makart-Atelier an der Gußhausstraße eröffnet er eine Malschule, die vor allem unter kunstbeflissenen jungen Damen beträchtlichen Zulauf hat; er selber setzt die Erinnerung an seine Polarreisen teils in Gemälde, teils in Fresken um, die bis heute so manche renommierte Sammlung schmücken (und nicht nur in Österreich, sondern auch in Amerika).
In der Öffentlichkeit läßt sich Julius Payer schon lange nicht mehr blicken, seine Ehrenmitgliedschaft in der Wiener Geographischen Gesellschaft hat er zurückgelegt, im persönlichen Umgang beschränkt er sich auf seinen engsten Freundeskreis, und das einzige Vergnügen, das er sich gönnt, sind die sommerlichen Fußwanderungen in den geliebten Alpen, begleitet von »Schnauzl«, einem späten Abkömmling seiner braven Polarschlittenhunde.
Während der Sommerferien 1912, die er wie alljährlich im Oberkrainer Kurbad Veldes (dem heute slowenischen Bled) verbringt, raubt ihm ein Schlaganfall das Sprechvermögen: Der Siebzigjährige kann sich von Stund an nur noch schriftlich verständigen. Die Gefährtin seiner letzten drei Lebensjahre – Julius Payer stirbt am 29. August 1915 und wird in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Zentralfriedhof beigesetzt – geht in der Sorge für ihren Pflegling so sehr auf, daß sie ihm kurz darauf freiwillig in den Tod folgt. Österreich-Ungarn steht seit einem Jahr im Krieg: Die Nekrologe auf einen seiner besten Männer fallen denkbar knapp aus, das Land hat momentan andere Sorgen …
Isto Maza
Patty Frank
Der Vater handelt mit Porzellan, der Großvater bemalt es – die Tobis stammen aus Böhmen, sind aus