Berufliche Belastungen bewältigen. Группа авторов

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Berufliche Belastungen bewältigen - Группа авторов

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Silvia Staub-Bernasconi entwickelt (vgl. Staub-Bernasconi 2018). Die Autorin setzt sich darin klar nicht nur für Werte körperlicher Unversehrtheit und psychischen Wohlbefindens ein. Sie sieht auch in diesen Zusammenhängen die Aufgabe für die Beteiligten darin, ihre Bedürfnisbefriedigung durch Kooperation und Gegenseitigkeit zu erlernen, ohne behindernde Macht- oder Gewaltstrukturen aufzubauen. Die helfende Beziehung zwischen Fachkraft und KlientIn als soziales System hat, so kann die Theorie Staub-Bernasconis ausgelegt werden, emergente, also heraustretende, aber auch alternativ nutzbare Eigenschaften, etwa Interaktionsregeln, die ihren Mitgliedern die Befriedigung dieser Bedürfnisse ermöglichen sollten. Unerfüllte Bedürfnisse werden zu sozialen Problemen. Diesen entgegenzuwirken bedeutet im Sinne Staub-Bernasconis, individuelle Bedürfniserfüllung durch die Erweiterung von Wissens- und Handlungsspektren zu ermöglichen und faire Umgangsformen mit gleichen Rechten und Pflichten sowie Regeln der Machtbegrenzung und -verteilung zu etablieren.

      Neben der systemischen Perspektive werden auch der tiefenpsychologische Ansatz, die Frustrations-Aggressions-Hypothese oder der lerntheoretische Ansatz zur Erklärung von Gewalt und Aggression herangezogen. Diesen wird im Folgenden nachgegangen.

      Wenn personale Gewalt sich in schädigenden Resultaten zwischen Fachkräften und ihren AdressatInnen vollzieht, kann die Aggression als das schädigende Verhalten gegen den Willen des anderen verstanden werden (vgl. Breakwell 1998, S. 19 ff.). Im Folgenden werden zunächst einige Aspekte des Phänomens Aggression beleuchtet.

      Dazu ist eine genauere Auseinandersetzung mit dem Aggressionsbegriff notwendig. Der umgangssprachliche Gebrauch und die fachliche Perspektive unterscheiden sich darin, dass ersterer häufig nur eine negative Betonung erhält, wenn die destruktiven Anteile im Vordergrund stehen, während wertfreie Interpretationen der Aggression auch deren positive Möglichkeit eines »In-Angriff-Nehmens« einschließen. So kann Aggression grundsätzlich als in spezifischen Situationen durch besondere Reize, etwa Frustrationsgefühle, ausgelöstes Verhalten beschrieben werden, welches das Ziel verfolgt, Ressourcen zu verteidigen und bedrohliche Situationen unbeschadet zu überstehen, indem Lebenskraft aktiviert wird. Dabei sind die Formen der Aggression natürlich von sozialen Normen abhängig. Gewalttätige, aktive Aggression ist »jedes psychische oder verbale Verhalten, mit dem die Absicht verfolgt wird, zu verletzen oder zu zerstören, egal ob es reaktiv aus Feindseligkeit entsteht oder aktiv als kalkuliertes Mittel zum Zweck fungiert.« (Myers 2008, S. 665) Die schädigende Absicht lässt destruktive statt konstruktiver Anteile erkennen: Denn während aggressives Verhalten einerseits einem Menschen zur Durchsetzung notwendig erscheint, mag es auf den anderen als Angriff oder Verteidigung bedrohlich oder gewalttätig wirken. Dennoch: Empfundene Schädigung muss nicht automatisch Schädigungsabsicht beinhalten. Pflegefachkräfte, die Spritzen setzen, führen diese Handlung nicht aus, weil ihr Hauptziel offenkundig die Schädigung der PatientInnen wäre. Hierbei handelt es sich um eine instrumentelle Aggression, es ist nicht die Intention, sondern die Wirkung, die als Gewalt empfunden wird.

      Frage: Kennen Sie weitere Beispiele instrumenteller Aggression?

      Feindliche Aggression beginnt mit der Absicht zur Verletzung.

      Aggression kann sich sowohl nach außen richten, wenn sie andere Menschen zum Ziel hat, als auch nach innen, wenn autoaggressiv selbstschädigendes Verhalten eine entgegengesetzte Form der Beziehungsgestaltung annimmt. Soziale Beziehungen entwickeln dadurch eine ganz andere Dynamik. Von einem aktiv aggressivem Verhalten kann ein passiv-aggressives Verhalten abgegrenzt werden. Dieses Angriffsmuster besteht in den gelernten Aggressionsstilen, sprachlos zu werden, zu weinen oder die Schuld auf andere zu schieben. Mit dem Begriff Autoaggression wird selbstschädigendes Verhalten bezeichnet, bei dem die betreffende Person die Aggression gegen sich selbst lenkt. Die individuellen »Aggressionsvorlieben« sind für Breakwell auch sozial gelernte und individuell entwickelte Formen, in bestimmten Situationen Aggressionen auszudrücken (vgl. Breakwell 1998, S. 60 ff.).

      Der professionelle Umgang mit Menschen in emotionalen und körperlichen Ausnahmesituationen in den vielen Situationen, in denen das Aggressionspotenzial der Beteiligten aktiviert ist, etwa durch Angst oder Bedrohung, ist schwierig, denn aktivierte Impulse von Kampf oder Flucht (fight or flight) betreffen auch die HelferInnen. Vielleicht liegt in einzelnen Einrichtungen sogar ein aggressionsförderndes Klima vor. Aber wo endet der Selbstschutz oder das Verständnis für die Handlungen anderer und wo beginnt tatsächlich eine schädigende Absicht? Mit der Vermittlung aufhellenden Hintergrundwissens und durch die Enttabuisierung des Themas lassen sich aggressiv-gewalttätiges Verhalten und dessen Folgen im beruflichen Alltag reduzieren und verhindern.

      Gerd Mietzel beschreibt unter der Überschrift »Aggression und ihre Erklärung« diese verschiedenen Aspekte fachlicher Zugänge zum Phänomen, die im Folgenden kurz dargestellt werden (vgl. Mietzel 2000, S. 205 ff.). LeserInnen werden in seinem Werk »Wege in die Psychologie« alsbald mit der Frage konfrontiert, ob sie die pessimistische Einstellung zur menschlichen Natur mit Wiliam Golding nach dem Ende der Dreharbeiten zu Herr der Fliegen oder mit Sigmund Freud nach seinen Beobachtungen des ersten Weltkrieges teilen:

      Sind Menschen von Natur aus gewalttätig?

      An diese Frage schließt Mietzel die Erläuterung Sigmund Freuds an, dass nämlich der Triebtheorie neben einem Lebenstrieb (Eros) auch ein Todestrieb (Thanatos) als Antagonist hinzuzufügen sei:

      »Wir nehmen an, daß die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen – wir heißen sie erotische […] – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb […] zusammen. […] Übrigens handelt es sich […] nicht darum, die menschliche Aggressionsneigung völlig zu beseitigen; man kann nur versuchen, sie so weit abzulenken, daß sie nicht ihren Ausdruck im Kriege finden muß.« (Freud, zit. in Mietzel 2000, S. 297 f.)

      Staut also ein Organismus aggressive Tendenzen auf, drängt es nach (selbst-)zerstörerischem Verhalten – so dieses triebtheoretische Verständnis. Die Aggressionsbereitschaft von Menschen bindet diese jedoch nicht zwangsläufig zu gewalttätigem Verhalten, denn in verschiedenen Situation differenzieren sich die Umgangsformen mit dem Phänomen. Ebenso reagieren Menschen individuell unterschiedlich stark auf ähnliche Bedingungen. Sie stellen sich die Frage, ob aggressives Verhalten vorteilhaft ist oder in bestimmten Situationen nicht angebracht erscheinen mag.

      Ein weiterer Aspekt sind die Formen der Abwehr, etwa wenn KlientInnen, durch Belastung und Krise ausgelöst, ein Schutzverhalten zeigen. So wird die Regression gegen Ängste und Überforderung genutzt. Doch wodurch unterstützen die HelferInnen das regressive Verhalten bewusst oder unbewusst? KlientInnen werden z. B. mehr gemocht, wenn sie sich kooperativ zeigen und machen, was vorgeschlagen wird, wenn sie akzeptieren, dass die HelferInnen wissen, was das Beste ist. Sich darauf einzulassen reduziert Stress auf Klientenseite. Doch was ist, wenn die Betroffenen durch die verstärkte Regression noch mehr verharren und Hilfeprozesse stagnieren? Hier wird das Erfordernis der Selbstständigkeitsförderung sichtbar: Wie können Fachkräfte professionell mit regressivem Verhalten umgehen und welche Wirkung zeigt ihr Handeln?

      Daneben können drei Formen von Aggression unterschieden werden: Offene Aggressionen, wie etwa brachiale oder verbale Gewalt, existieren neben verdeckten Aggressionen, etwa wenn ein/e KlientIn für sein/ihr Verhalten bestraft wird, und stellvertretenden Aggressionen, etwa gegen schwächere Beteiligte.

      Kennen Sie Beispiele zu den drei Formen? Überlegen Sie bitte für die drei Kategorien von Aggression Lösungen.

      Im weiteren Text fasst Mietzel die Frustrations-Aggressions-Hypothese nach Dollard und Miller (1939) zusammen mit der Erkenntnis:

      1. Aggression ist immer eine Folge einer Frustration.

      2. Frustration führt immer zu einer Form von Aggression.

      Frustriert fühlen sich etwa HelferInnen, wenn sie

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