Berufliche Belastungen bewältigen. Группа авторов

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Berufliche Belastungen bewältigen - Группа авторов

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Druck auf MitarbeiterInnen und ihre AdressatInnen etwa durch »Statusangst« oder »Statuswettkampf« (Sedmak 2013, S. 135) weitergeleitet wird.

      Was zur Verschärfung dieses Phänomens beiträgt: Fällt es z. B. BerufsanfängerInnen zu Beginn ihrer Arbeit noch schwer, sich des Vorhandenseins dieser Gewaltphänomene bewusst zu werden (ahnungsloser Zugang), so könnte das an stereotypen Bildern und Allmachtsfantasien über das sozialberufliche Handeln in Krankenhäusern, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Altenhilfeeinrichtungen oder Kinder- und Jugendeinrichtungen liegen. Wenn berufliche Erfahrungen nicht zu vorhandenen vereinfachten Vorstellungen passen, werden sie zunächst überlagert. Vorurteilsbildungen können zu kurzfristigen naiven Selbsttäuschungen führen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf (vgl. Sedmak 2013, S. 136). Dennoch wäre hier Sensibilisierung nötig, um Gefahren und Lösungen frühzeitig zu entdecken. Der Austausch zwischen den MitarbeiterInnen kann dort ertragreich werden, wo ergebnisoffen und kontrovers diskutiert werden darf. Die persönlichen Belastungen durch situationsinadäquate Führungsstile, durch Arbeitsverdichtungen, unzureichende Arbeitsplatzgestaltung, durch Grenzbelastungen usw. gehören ebenso in diesen Reflexionsprozess.

      Beispiele:

      • Viele Menschen geraten erst in späteren Lebensjahren mit schweren Krankheiten und dem Tod in Kontakt, jedoch wird z. B. eine Pflegefachkraftschülerin bereits zu Beginn ihrer Ausbildung mit schweren Diagnosen, Abschied, Tod und Trauer konfrontiert. Die praktischen Einsätze in einem Altenpflegeheim konfrontieren sie mit dem Dilemma, einerseits Sterbende würdevoll begleiten zu wollen (klientenzentrierte Sichtweise), aber andererseits dem Stationsablauf zu unterliegen (einrichtungszentrierte Sichtweise). Sie muss Gefühlsausbrüche Betroffener erleben, ihnen begegnen und deren Verhalten richtig deuten können. Doch zugleich ist eine unbedingt nötige Aufarbeitung ihrer eigenen Erlebnisse – etwa mit einer Praxisanleitung –, wenn diese aus Personalknappheit nicht sichergestellt ist, erschwert. Es kann zu unprofessionellen Einordnungen kommen. So erwächst die Gefahr, Frustrationsgefühle in neue Pflegebeziehungen (wenn vorhergehenden Erlebnissen nicht fachlich-reflexiv begegnet wird) zu übertragen.

      • SozialarbeiterInnen sind nicht nur während ihres beruflichen Starts der Gefahr ausgesetzt, etwa durch die Diskrepanzerfahrung zwischen dem eigenen Anspruch an ihr fachliches Handeln einerseits und den institutionellen Vorgaben – etwa hinsichtlich erreichbarer Fallzahlen – andererseits, sich in einen Pragmatismus zu flüchten. Es kommt zu Aussagen wie »Man kann eben nicht jedem helfen!« Einer Sozialarbeiterin wird vielleicht die Diskrepanz zwischen Ethik und Fachlichkeit einerseits und organisatorischen Rahmenbedingungen andererseits bewusst, aber aufgrund struktureller Bedingungen bleibt diese auf der persönlichen Ebene unlösbar (»Da kann man eben nichts machen.«). Der Konflikt und damit die Belastung bleiben bestehen.

      • Neben den physischen Belastungen sind Pflegefachkräfte in Krankenhäusern auch hohen fachlichen Anforderungen ausgesetzt. Unaufhörlich wiederkehrender Zeitdruck kommt hinzu. Jeder »noch so kleine Fehler« in der Kommunikation oder der Medikamentenapplikation kann enorme Folgen nach sich ziehen. Durch die daraus resultierende dauerhaft hohe Verantwortung wird es z. B. einer Pflegefachkraft erschwert, eine ausreichende Distanz zum beruflichen Alltag zu entwickeln, und möglich wird, dass sie diese Belastung auch noch in das Privatleben mit hineinnimmt.

      Durch ihre Tätigkeiten in den verschiedenen Einrichtungen erleben HelferInnen verschiedene dort herrschende Rahmenbedingungen als Gewalterfahrung. Dazu zählt Sedmak auch die durch den häufig knapp bemessenen Personalschlüssel hohen Fallzahlen und damit einhergehende hohe Kontaktfrequenzen zu einzelnen Menschen. Denn dann erleben sich Fachkräfte in ihren sozialen Settings gefangen (vgl. Sedmak 2013, S. 137). Auch die Abwechslung zwischen klientenfernen und -nahen Tätigkeiten, die eine Entlastung darstellen könnte, werde nicht als solche empfunden, wenn sie oktroyiert oder zu einseitig erlebt werde, so der Autor. Daraus resultierender anhaltender Stress führe zu Anpassungsreaktionen, deren Verlauf insbesondere durch das kaum mehr wahrgenommene körperliche wie seelische »Einpendeln« auf einem zu hohen Niveau begünstigt wird, mit dem Ergebnis, dass die Belastung als solche nicht mehr wahrgenommen werde (vgl. Sedmak 2013).

      Eine Fachkraft wird täglich mit Sorgen, Vorwürfen, Ängsten, Leiden und Trauer konfrontiert, auch mit herausforderndem Verhalten. Es wird von ihr erwartet, in jeder Situation empathisch auf individuelle Reaktionen wie Wut und Aggression, Verzweiflung und Verleugnung zu reagieren. In ihr werden eine Vertraute, eine Bezugsperson und eine Unterstützerin zur Bewältigung der aktuellen Situation gesehen. Sie soll professionell und angemessen auf die Menschen eingehen. Das sind hohe fachliche und ethische Standards. Die Folgen von als überfordernd empfundenen Anforderungen stellen sich nicht immer unverzüglich ein. Wenn die Fachkraft ihren KlientInnen in vielen Fällen nicht mehr gerecht werden kann, bleiben auch bei ihr Bedürfnisse unbefriedigt. Damit führt dieses Dilemma automatisch auf beiden Seiten der helfenden Beziehung zu Frustrationen. Zum einen vielleicht gewillt, ihre Arbeit bestmöglich auszuführen, wächst bei den Helfenden das »Gefühl des Versagens« mit jedem durch strukturell verursachte Hemmnisse unbefriedigt bleibenden Bedürfnis ihrer Klientel. Zudem: Die durch den daraus resultierenden Zeitdruck ebenso unbefriedigten eigenen Bedürfnisse werden u. U. zurückgestellt. Infolgedessen erleben MitarbeiterInnen einen Frühdienst ohne Frühstückspause oder unbezahlte Überstunden nicht als ungewöhnlich, sondern – gefangen in ihrer Realität – als unveränderbar.

      Auch stellt ein zu häufig wechselnder Kontakt zu verschiedenen AdressatInnen, verbunden mit der Notwendigkeit, sich ständig neu einstellen zu müssen, eine weitere Variation dieser Problematik dar. Es lässt sich ebenso vermuten, dass von der Fachkraft nicht geteilte Normen – von einer vorgeschriebenen Berufsbekleidung bis hin zum Piercingverbot – Gefahren strukturell bzw. kulturell erlebter Gewalt bergen. Wenn etwa von einer Pflegefachfrau erwartet wird, die Regeln des Krankenhauses einzuhalten, und diese Erwartungen den persönlichen Auffassungen widersprechen, wirkt bereits die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation belastend. Darüber hinaus: Der körperlichen und seelischen Regeneration wirkt die Schichtarbeit entgegen, die sich meist aus Früh-, Spät- und Nachtschichten sowie Wochenendarbeit zusammensetzt. Die Arbeit wider den circadianen Rhythmus – insbesondere die Nachtarbeit – begünstigt gesundheitliche Schäden. Auch ist der Tagschlaf nach der Nachtarbeit oft durch Lärm und Lichtverhältnisse gestört, es kommt zu unzureichenden REM-Phasen (Traumschlafphasen), die eigentlich die Wiederherstellung der geistigen Leistungsfähigkeit gewährleisten sollen. Zusätzlich schädigt der Schichtdienst mit wechselnden Arbeitszeiten oder ein kurzfristig erstellter (Wochenend-)Dienstplan auch das soziale Leben der Fachkräfte (vgl. Domnowski 2010, S. 35 ff.).

      Wenn strukturelle bzw. kulturelle Gewalt indirekt über Gesetze, Normen, wirtschaftliche Zwänge und Organisationsformen als die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse behindernd erlebt wird, übernehmen betroffene Helfende vielleicht keine persönliche Verantwortung für ihr Handeln, rechtfertigen sich, »durch die Umstände« zum Handeln gezwungen zu sein. Solche Ansichten sind dann änderungsresistent, sie fördern Abhängigkeits- und Fremdbestimmungsgefühle sämtlicher Beteiligten und manifestieren sich in den direkten Formen von Gewalt: aktive und passive Vernachlässigungen und körperliche und seelische Misshandlungen, gegen den Willen des Anderen in der Gewaltbeziehung. Mögliche Folge: Helfende entwickeln das Gefühl, sich in vorgegebene Organisations- und Teamstrukturen einfinden zu müssen, was u. U. durch die Ohnmachtserfahrung nachhaltig zur Reduktion eigener fachlicher Ansprüche verführen kann.

      Frustrationen im Team: Teams als soziale Gebilde formen sich aus Gruppenbildungsprozessen, denen Einzelinteressen der MitarbeiterInnen jedoch entgegenstehen können. Es kommt zu spontanen Anpassungen oder zu Abwehr mit Sanktionen. Ebenso sind aufgrund hohen Anpassungsdrucks Tendenzen der Annäherung der Mitglieder denkbar. Diese Prozesse selektieren das Handeln der Mitglieder. Die Qualität der Kooperation von Teammitgliedern hängt also grundsätzlich davon ab, inwieweit verschiedene Bedürfnisse im Einklang miteinander sind. Jedoch: Überfordernde Arbeitsbedingungen über einen längeren Zeitraum beeinträchtigen eine teamorientierte, verantwortungsvolle und konzentrierte Bewältigung sowie einen hohen fachlichen Standard. Festgefügte Rangordnungen sind das Ergebnis von Über-

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