Zwischen Gerechtigkeit und Gnade. Michael Blake
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Ein letzter Punkt: Oberman nennt als Grundlage seiner Zurückweisung eines Rechts auf Ausschluss bestimmte Interessen wie „[das] Treffen persönlicher Entscheidungen und politisches Engagement“. Selbst wenn ich dazu bereit wäre, die erstgenannte Art von Interessen zu akzeptieren, muss ich doch zugeben, dass mich die zweite Art etwas irritiert. Um es einfach auszudrücken: Politik ist kein spaßiger Zeitvertreib und existiert auch nicht allein für das eigene, private Selbstverständnis, sondern beinhaltet notwendig den Einsatz von Zwang gegenüber anderen. Um Cheshire Calhoun zu paraphrasieren: Meine politischen Überzeugungen sind von anderer Art als meine persönlichen Überzeugungen; sie sind Überzeugungen im Hinblick darauf, was wir sein sollten, und nicht im Hinblick darauf, was ich sein sollte.50 Diese unterschiedlichen Arten von Überzeugungen im Kontext der Migration als gleichwertig zu betrachten scheint in meinen Augen zu einer für das Problem ungeeigneten Lösung zu führen. Migration bedeutet, wie Kukathas schreibt, in einer neuen Gesellschaft „anzukommen, zu bleiben und teilzuhaben“. Warum sollten wir ein Recht auf all das haben, wenn der Zweck solchen Handelns in diesem Fall bloß darin besteht, herauszufinden, wie Politik betrieben wird? Migration bedeutet, an einen neuen Ort zu ziehen und ihn zu seinem eigenen zu machen. Es erscheint seltsam, zu glauben, dass wir dieses Recht aufgrund der Bedeutung politischen Handelns haben sollten. Wenn die Grundlage des von Oberman angeführten Interesses grundsätzlich informativer Natur sein sollte, dann halte ich es für ungeeignet, um ein Recht auf Migration zu verteidigen. Wir denken im Allgemeinen nicht, dass ein Recht darauf, in eine Beziehung mit anderen zu treten, mit dem Erlangen von Informationen begründet werden kann. Ich mag ein großes Interesse daran haben, wie Universitäten geleitet werden und aus diesem Grunde auch ein starkes Interesse daran, zu erfahren, wie die University of Miami den Fachbereich Philosophie führt.51 Allerdings scheint nichts davon ausreichend, um mir ein Recht auf eine Stelle an der University of Miami zuzusprechen. Aus der Tatsache, dass meine Anwesenheit in dieser Gemeinschaft mich mit für mich wertvollen Informationen versorgen würde, folgt nicht, dass die derzeitigen Mitglieder dieser Gemeinschaft eine Verpflichtung hätten, mich in ihrem Kreis willkommen zu heißen.
2.3 Kohärenz mit bestehenden Bewegungsrechten
Wir können die Diskussion dieses Argumentationsmusters mit Carens’ Analyse innerstaatlicher Migration beginnen. Ihm zufolge müssen die Gründe für den starken Schutz innerstaatlicher Migration, von welcher Art auch immer sie sein mögen, auch für die Frage internationaler Mobilität gelten; die der innerstaatlichen Bewegungsfreiheit zugrunde liegenden Interessen müssten demnach ebenso stark auch im internationalen Raum berücksichtigt werden. Carens führt keine bestimmte Vorstellung von der Beschaffenheit dieser Interessen an – tatsächlich macht er diesbezüglich bewusst keine Ausführungen –, sondern bemerkt bloß, dass jede beliebige Begründung, die für Bewegungsfreiheit angeführt werden könnte, sowohl innerstaatlich als auch international gelten müsste.52 Der zentrale Punkt besteht Carens zufolge darin, dass jedes Interesse, welches eine der beiden Formen der Bewegungsfreiheit rechtfertigt, ebenso auch für die andere Form gilt.
Die Antwort auf dieses Argument besteht jedoch in dem Hinweis darauf, dass das Interesse daran, mobil zu sein, bloß ein Teil der umfassenderen Rechtfertigung innerstaatlicher Bewegungsfreiheit ist. Der andere Teil besteht in der Frage, ob eine Person oder Institution, die uns dieses Recht verweigert, auch das moralische Recht dazu hat. Wir betrachten im Allgemeinen nicht nur die Interessen einer Seite, wenn wir moralische Rechte zu bestimmen versuchen. Ihr Interesse daran, ein öffentliches Gelände zu betreten, mag dem Interesse ziemlich ähnlich sein, aufgrund dessen Sie ein privates Gelände betreten möchten. Daraus folgt jedoch nicht, dass es keinen moralisch bedeutsamen Unterschied zwischen diesen Fällen gibt. Ebenso mag Ihr Interesse an Ihrem Abendessen von gleicher Art sein wie mein Interesse an Ihrem Abendessen. Allerdings denken wir nicht, dass wir beide aufgrund dieses Umstands einen gleichwertigen Anspruch auf dieses Abendessen hätten.
Wie aber können uns diese Ideen bei einer Antwort auf das „Kranarm“-Argument helfen? Um zu sehen, warum sich internationale von innerstaatlicher Bewegungsfreiheit unterscheidet, müssen wir uns bloß anschauen, was der Staat in beiden Fällen zu tun gedenkt, wenn er diese Freiheit einschränken will. Wie bereits erwähnt, scheinen sich die zwei Fälle in dieser Hinsicht zu unterscheiden. Im ersten Falle nutzt der Staat seine Zwangsgewalt, um Menschen am Eintritt in dasjenige Hoheitsgebiet zu hindern, in dem er der Souverän ist. Im zweiten Fall nutzt der Staat ebenfalls Zwang, allerdings um über einzelne Personen zu regieren und ihnen zugleich vorzuschreiben, dass sie kein Recht darauf besitzen, sich innerhalb seines Hoheitsgebiets frei zu bewegen. Aus Perspektive der Moral sind diese Szenarien nicht identisch. Selbst wenn wir in beiden Fällen ähnliche Gründe für unseren Wunsch, uns frei zu bewegen, anführen könnten – wir möchten vielleicht eine neue Arbeit antreten oder eine Liebesbeziehung führen – würden wir daraus nicht schließen, dass dem Staat in beiden Fällen die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit auf gleiche Weise untersagt ist. Wir gehen davon aus, dass es ein Bürgerrecht gegenüber dem Staat gibt, von solcherlei Einschränkungen frei zu sein, und dass es denjenigen zukommt, die der Staat zu regieren beansprucht. Kurzum: das Recht auf innerstaatliche Bewegungsfreiheit ist ein Bürgerrecht. Dieses Bürgerrecht mag wiederum auf einem Menschenrecht beruhen – vielleicht einem Menschenrecht darauf, von einem Staat regiert zu werden, der es unterlässt, die interne Bewegungsfreiheit mittels Zwang einzuschränken. Aber das ändert nichts daran, dass dieses Recht korrekterweise nur von denen in Anspruch genommen werden kann, die sich bereits in Reichweite der staatlichen Zwangsbefugnis befinden.
Wir können allerdings darüber hinaus auch die spezifischeren Argumente in Carens’ „Kranarm“-Argument untersuchen. Carens nennt fünf Arten, auf die innerstaatliche und internationale Bewegungsfreiheit unterschieden werden können, um dann zu zeigen, dass keine dieser Unterscheidungen funktioniert. Die von ihm genannte Differenz, die meiner soeben ausgeführten Erwiderung am nächsten kommt, ist die Idee, dass Bewegungsfreiheit ein auf Mitgliedschaft beruhendes Recht ist bzw. ein Recht darauf, in einem Staat zu leben, dessen Rechtsprechung frei von Diskriminierung ist. Carens weist diese Unterscheidung zurück und es lohnt sich, genauer zu betrachten, wie auf sein