Zwischen Gerechtigkeit und Gnade. Michael Blake
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Mit Blick auf einen ähnlichen Kontext ist es überdies erwähnenswert, dass wir womöglich auch ganz allgemein sensibler für die Unterscheidung von Bürger- und Menschenrechten sein sollten. Cristina Rodríguez merkt in ihrer Geschichte der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten an, dass die Aufhebung dieser Unterscheidung es schwieriger gestalten könnte, das Wesen der Ansprüche von Einwanderern akkurat zu beschreiben. Ihr zufolge sollte der Versuchung widerstanden werden, die Rechte von Migrantinnen schlicht als ihrem Wesen nach identisch mit den Rechten afrikanischstämmiger Amerikanerinnen zu betrachten:
„Das Migrationsrecht entwickelte sich in Auseinandersetzung mit den Bewegungen für Bürgerrechte und bürgerliche Freiheiten der 1960er und 1970er Jahre und es bestehen tatsächlich bedeutende Ähnlichkeiten zwischen der Situation vieler Migrantinnen heutzutage und der Situation marginalisierter Gruppen, deren Kämpfe den Ausgangspunkt der Bürgerrechtsbewegung darstellten. Viele arme, nicht-weiße Migrantinnen erledigen essenzielle, aber harte Arbeit, wobei sie zum einen den Abschiebegesetzen ausgeliefert sind und zum anderen kaum die Möglichkeit besitzen, ihre Interessen in den politischen Prozess einzubringen. Aber so wichtig diese Gemeinsamkeiten auch sein mögen, liegen der Aufnahme von Migrantinnen und der Bürgerrechtsbewegung doch zwei recht unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit zugrunde. Während die Protagonistinnen der Bürgerrechtsbewegung die Anerkennung der vollen Staatsbürgerschaft forderten, wie sie ihnen bei ihrer Geburt durch den vierzehnten Verfassungszusatz garantiert wurde, ersuchen die Migrantinnen um Einlass in ein neues Gemeinwesen, welches keine vorhergehende Verpflichtung zu einer solchen Aufnahme eingegangen ist.“42
Wie im politischen Aktivismus, so ist es auch in der Philosophie. Die Ansprüche marginalisierter Bürgerinnen, die von einem Staat regiert werden und Gleichheit vor eben jenem Staat einfordern, können nicht so einfach mit den Ansprüchen von Personen gleichgesetzt werden, die außerhalb dieses Staates stehen und nicht auf diese Weise regiert werden, sondern vielmehr darum ersuchen, auf eben diese Weise regiert zu werden. Eine angemessene Theorie der Gerechtigkeit im Bereich der Migration müsste diesen Unterschied anerkennen. Sie würde zudem ein Verständnis von Zufall und Willkürlichkeit explizieren, das diesem Unterschied Rechnung trägt, und die ungleiche Verteilung von Rechten nicht als moralisch verdächtig betrachten, wenn diese moralisch bedeutsame Unterschiede zwischen Personen widerspiegeln.
2.2 Verteilungsgerechtigkeit
Wir können mit diesen Gedanken nun im Hinblick auf das Argument der Verteilungsgerechtigkeit fortfahren. Zu Beginn möchte ich jedoch bemerken, dass ich selbst nicht über die Kompetenz verfüge, irgendwelche Aussagen bezüglich der empirischen Effekte treffen zu können, die der Ausschluss von Migrantinnen mit sich bringt; die Ökonomie der Migration ist, um es vorsichtig auszudrücken, ein kontrovers diskutiertes Feld und zudem sollte sich niemand an einen Philosophen wenden, wenn es um Fragen empirischer Zusammenhänge geht.43 Aus einer philosophischen Perspektive heraus kann ich jedoch so viel sagen: Selbst wenn wir unter Bezug auf die Idee der Verteilungsgerechtigkeit bestimmte Migrationsrechte rechtfertigen könnten, müssten wir immer noch dasjenige Bündel von Rechten identifizieren, das, moralisch betrachtet, die besten Resultate erzielt – und es ist unklar, ob aus einer Politik der offenen Grenzen eben solche Ergebnisse folgen würden. So hat zum einen Peter Higgins angeführt, dass offene Grenzen dazu neigen könnten, diejenigen zu benachteiligen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen, Alter oder sozialer Marginalisierung weniger mobil sind als andere.44 Eine auf der Idee der Verteilungsgerechtigkeit beruhende Theorie der Migration muss daher zwar auf eine radikale Veränderung des geltenden Migrationsrechts bestehen; allerdings ist nicht klar, ob diese Veränderung die Abschaffung eines Rechts auf Ausschluss umfassen muss.
An dieser Stelle können wir zwei grundsätzlichere Herausforderungen für das Argument der Verteilungsgerechtigkeit anführen. Die erste fragt recht simpel, warum wir uns überhaupt um internationale Ungleichheit kümmern sollten. Das bedeutet selbstredend nicht, dass ich der Meinung wäre, wir sollten uns überhaupt nicht um sie kümmern; ich habe hier keinen Grund angeführt, aus dem zu folgern wäre, dass internationale Ungleichheit für unsere Erwägungen keine Rolle spielen sollte – und ziemlich sicher scheint globale Armut relevant zu sein und zwar ganz unabhängig davon, ob der Kluft zwischen Arm und Reich eine besondere Bedeutung zukommt oder nicht. Die von mir angeführte Herausforderung besagt bloß, dass es einer Begründung bedarf, warum Ungleichheit von Bedeutung ist – und dass es in meinen Augen nicht selbstverständlich ist, dass die besten derzeit verfügbaren Antworten auf diese Frage schlicht vom innerstaatlichen auf den internationalen Raum übertragen werden können. Rawls stellte mit Nachdruck fest, dass sein strenges Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit – das Differenzprinzip – nur innerhalb des Staates anwendbar sei; es kann daher nicht legitimerweise zwischen Staaten oder über sie hinweg angewendet werden. Damit möchte ich, wie gesagt, nicht den Eindruck erwecken, die Idee der Verteilungsgerechtigkeit zwischen Staaten wäre bedeutungslos. Vielmehr will ich bloß zeigen, dass es einer Rechtfertigung dafür bedarf, warum sie eine Rolle spielen sollte. Wenn uns gesagt wird, dass das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit anhand eines Rechts auf einen Anteil am globalen wirtschaftlichen Wohlstand begründet werden kann, dann ist die Frage berechtigt, was diesem Argument seine moralische Kraft verleiht.
Die letzte grundlegende Herausforderung für die Argumente der Verteilungsgerechtigkeit besteht jedoch in einer etwas anderen Frage: Falls die Idee der Verteilungsgerechtigkeit von Bedeutung ist, wie würde sie sich dann zu anderen Normen politischer Gerechtigkeit verhalten, darunter der Idee der Selbstbestimmung? Verteilungsgerechtigkeit, um es klar zu sagen, ist nicht die einzig gültige politische Norm, sei es auf innerstaatlicher oder internationaler Ebene. Andere Rechte – wie beispielsweise das Recht, seine eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt regeln zu dürfen – sind ebenfalls von Bedeutung. Selbst wenn gezeigt werden könnte, dass offene Grenzen die globale Verteilung von Gütern gerechter gestalten würden, könnten wir daraus nicht folgern, dass offene Grenzen verpflichtend seien. Stellen Sie sich zur Veranschaulichung das folgende Szenario innerhalb eines Staates vor: Ein bestimmtes Land wird vernünftig und gerecht regiert, betreibt jedoch eine recht schlichte (wenngleich populäre) Finanzpolitik, durch die eine große Menge an Goldbarren in der Zentralbank des Landes gelagert wird. Stellen Sie sich nun vor, dass Robin Hood erscheint, das Gold aus der Zentralbank befreit und es den Armen des Landes gibt – im Ergebnis ist die Verteilung des Wohlstands nun derjenigen näher gekommen, die unserer besten Vorstellung liberaler politischer Gerechtigkeit entspricht. Ist das Land nun moralisch verpflichtet, den Armen das Gold zu überlassen? Ich vermute, dass die Meinungen hier auseinander gehen werden, aber für mich lautet die Antwort: Nein. Verteilungsgerechtigkeit ist eine wichtige Norm, aber so verhält es sich auch mit der Idee der Selbstbestimmung, und Robin Hood ist nicht dazu berechtigt zu entscheiden, wie die Finanzpolitik eines Landes gestaltet werden sollte. Staaten – oder zumindest demokratische Staaten – haben ein Recht auf Dummheit, so lange sie sich im Rahmen der Menschenrechte bewegen.
Daraus folgt jedoch, dass eine bestimmte Politik nicht bloß deshalb als zwingend gilt, weil sie zu einer gerechteren Verteilung von Gütern führen würde. Der Gedanke, dass offene Grenzen die Welt einer gerechten Verteilung näherbringen würden, stellt daher kein vollständiges Argument für offene Grenzen, sondern vielmehr erst dessen Ausgangspunkt dar.
Über all dies könnte sicherlich noch sehr viel mehr gesagt werden. Ich denke, die Befürworterinnen offener Grenzen