Zwischen Gerechtigkeit und Gnade. Michael Blake

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Zwischen Gerechtigkeit und Gnade - Michael  Blake

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das Recht auf Ausschluss es den Wohlhabenden effektiv erlaubt, ihren Wohlstand trotz legitimer Gerechtigkeitsansprüche des armen Teils der Weltbevölkerung zu bewahren.30 Darauf bezieht sich Kukathas’ Argument der Renten und Carens’ Argument des Feudalismus – wir meinen, dass die Wohlhabenden dieser Welt eine bessere Rechtfertigung für ihren Reichtum anführen können sollten als bloßes Glück. Mehr als die meisten anderen Philosophen fügt Philip Cole alldem den Gedanken hinzu, dass unsere gemeinsame Erfahrung globaler Ungleichheit auch eine gemeinsame Geschichte kolonialer Gewalt und kolonialen Grauens widerspiegelt. Es ist demnach nicht bloß so, dass wir die Armut derjenigen verstetigen, die das Pech hatten, in einem Entwicklungsland geboren worden zu sein. Vielmehr setzen wir bis zum heutigen Tag eben jene koloniale Ausbeutung fort, die ursprünglich bestimmt hat, welches Land sich entwickeln konnte und welches nicht.

      Der zweite Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit, den ich diskutieren möchte, ist das Prinzip der Chancengleichheit. Wir sind überzeugt davon, dass Chancengleichheit innerhalb von Staaten ein zentraler Wert ist – wie John Rawls in seinen eigenen Ausführungen zur Gerechtigkeit feststellt, wäre eine Gesellschaft ungerecht, in der es keine zuverlässige Gewährleistung der Chancengleichheit gibt. Allerdings schaffen Staatsgrenzen eine Welt radikal ungleicher Chancen, indem sie Menschen daran hindern, an den Ort ihrer Wahl zu gelangen. Diese Version des Arguments könnte unter der Überschrift „Gleiche Freiheit“ diskutiert werden, wie etwa bei Kieran Oberman, oder schlicht als ein weiterer Fall ungleicher Chancen. Laut Carens ist der springende Punkt in diesem Fall jedoch, dass wir jeden Tag Zwangsgewalt einsetzen, um Menschen davon abzuhalten, ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen. Oberman betont diesen Punkt besonders nachdrücklich: Ihm zufolge schulden wir Menschen nicht bloß einen adäquaten Umfang an Möglichkeiten zur Gestaltung des eigenen Lebens, sondern den größtmöglichen. Da es laut Oberman für Personen von essentiellem Interesse ist, am Ort ihrer Wahl ein Leben gemäß ihrer Wertvorstellungen aufzubauen, wäre es folglich allein globale Bewegungsfreiheit, die mit der von uns vorgeblich hochgeschätzten liberalen Vorstellung von Gerechtigkeit kompatibel ist.

      1.3 Kohärenz mit bestehenden Bewegungsrechten

      Das Argument gegen den staatlichen Ausschluss von Migrantinnen erfährt darüber hinaus auch dadurch Unterstützung, dass liberale Autorinnen bereits zu der Überzeugung tendieren, bestimmte Bewegungsrechte seien impliziter Bestandteil liberaler Gerechtigkeit. Es gibt mindestens zwei Arten von Bewegungsrechten, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, und aus beiden wird jeweils ein Recht auf das Überqueren von Staatsgrenzen abgeleitet. Wir können diese Überlegungen als Argument der innerstaatlichen Bewegungsfreiheit sowie als Emigrations-Argument bezeichnen.

      Das erste Argument beginnt bei der simplen Tatsache, dass das innerstaatliche Recht auf Bewegungsfreiheit allgemein als ein zentrales Menschenrecht anerkannt wird; so ist es unter anderem Bestandteil bedeutender Dokumente des internationalen Rechts, wie beispielsweise der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Das Argument der innerstaatlichen Bewegungsfreiheit besagt allerdings bloß, dass die Gründe für die Bedeutung der innerstaatlichen Art von Bewegungsfreiheit ebenso im Falle der Bewegungsfreiheit im allgemeineren Sinne gelten. Carens nennt diese Beweisform in Anlehnung an David Miller die „Kranarm“-Strategie (cantilever strategy): Wir beginnen bei etwas, das bereits erfolgreich verteidigt wurde, ob im internationalen Recht oder gemäß unseres besten Verständnisses der Gerechtigkeit, und zeigen, dass ähnliche Argumente auch für eine über den ursprünglichen Anwendungsbereich hinausgehende Auslegung dieses Rechts vorgebracht werden können:

      „Wenn es für Menschen so bedeutsam ist, sich frei innerhalb ihres Staates zu bewegen, ist es für sie dann nicht ebenso wichtig, ein Recht darauf zu haben, Staatsgrenzen frei zu überqueren? Jeder Grund dafür, warum eine Person sich innerhalb eines Staates bewegen will könnte genauso gut auch ein Grund für die Bewegung zwischen Staaten sein: Eine Person möchte eine bestimmte Arbeitsstelle; verliebt sich in eine Person aus einem anderen Land; gehört einer Religion an, die bloß wenige Anhängerinnen in ihrem Heimatland, jedoch viele in einem anderen Land hat; oder möchte einfach bestimmte kulturelle Möglichkeiten nutzen, die ihr bloß in einem anderen Staat zur Verfügung stehen. Diese radikale Trennung, die Bewegungsfreiheit innerhalb von Staaten als ein Menschenrecht ansieht und zugleich Staaten frei über die Kontrolle ihrer Grenzen verfügen lässt, macht moralisch keinen Sinn. Wir sollten das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit ausweiten. Wir sollten die Freiheit zu migrieren, zu reisen und zu leben wo immer eine Person will, als ein Menschenrecht anerkennen.“31

      Ähnliche Gedanken lassen sich in den Überlegungen von Oberman, Christopher Freiman und Javier Hidalgo finden.32 Jede uns verfügbare Rechtfertigung für die Gewährleistung eines Rechts auf innerstaatliche Bewegungsfreiheit, so das Argument, bietet uns zugleich auch Gründe dafür, sich zwischen Staaten frei bewegen zu dürfen. Wenn es also ungerecht ist, die interne Bewegungsfreiheit einzuschränken, so ist es ebenso ungerecht, ungebetene Migrantinnen abzuweisen.

      Ein anderes internationales Recht, das für die Verteidigung offener Grenzen herangezogen werden könnte, ist hingegen das Recht, das eigene Land verlassen zu dürfen. Die meisten liberalen Autorinnen – wenn auch nicht ausnahmslos – sehen dieses Recht als moralisch bedeutsam an.33 Diejenigen Länder, die es ihren Bürgerinnen schwer machen auszuwandern, geben uns einige empirische Gründe für die Annahme, dass Gerechtigkeit nicht mit Emigrationsbeschränkungen einhergehen kann. Die Frage ist allerdings, ob ein solches Recht auf Auswanderung ohne ein ähnliches Recht darauf, am Ort der Wahl einreisen zu dürfen, überhaupt sinnvoll gedacht werden kann. Der Gedanke ist also, dass das Recht auf Emigration, um überhaupt mehr als eine bloß formale Garantie zu sein, auch derjenigen Mittel bedarf, anhand derer es erst sinnvoll genutzt werden kann; und falls es keine andere, zur Aufnahme verpflichtete Gesellschaft gibt, verliert dieses Recht folglich seine Bedeutung. Lea Ypi beschreibt diese Überlegung treffend:

      „Die Asymmetrie zwischen Aus- und Einwanderung verweist auf einen ernsten moralischen Mangel innerhalb der Theorie und stimmt nicht mit dem allgemeinen Prinzip der Gerechtigkeit im Bereich der Migration überein. Entweder ist Bewegungsfreiheit von Bedeutung, oder sie ist es nicht.“34

      Ypi argumentiert, dass sich diese Spannung nur dadurch auflösen ließe, dass wir unsere Analyse der Migration grundlegend überdenken. Ich werde diese Gedanken hier allerdings nicht weiter vertiefen und mich stattdessen auf die Überlegung konzentrieren, dass es moralisch problematisch ist, ein Recht auf Auswanderung ohne ein komplementäres Recht auf Einwanderung zu verteidigen. Cole beschreibt ähnliche Ideen, indem er sich auf ein Ann Dummett zugeschriebenes Argument bezieht:

      „Die liberale Asymmetrie-Position behauptet, dass es ein Recht darauf gibt, einen Staat zu verlassen, aber kein Recht darauf, einen Staat zu betreten – und diese Position ist gleichbedeutend mit der Behauptung, dass das Recht, einen Staat zu verlassen, tatsächlich nicht das Recht beinhaltet, internationale Grenzen zu überqueren, denn das würde einem Recht gleichkommen, einen anderen Staat zu betreten. Wie kohärent aber ist ein Recht darauf, einen Staat verlassen zu dürfen, wenn es kein Recht darauf beinhaltet, Grenzen zu überqueren?“35

      Dieser Überlegung nach ist eine Vorstellung von Gerechtigkeit inkohärent, der zufolge Menschen zwar ein moralisches Recht darauf haben, einen Staat zu verlassen, ihnen zugleich aber kein Recht darauf gewährleistet wird, einen anderen Staat betreten zu können; und ein angebliches Recht auf Ausschluss wiederum steht in Spannung, wenn nicht gar in offenem Widerspruch, zu einem solchen Recht auf Eintritt.

      1.4 Zwangsgewalt

      Das letzte von mir betrachtete Argumentationsmuster ist das Argument der Zwangsgewalt. Viele liberale Theoretikerinnen vertreten die Position, dass Personen bestimmte Rechte gegenüber Institutionen haben, die dazu befugt sind, Zwang über sie auszuüben. Insbesondere neigen wir zu der Annahme, dass die durch eine Institution Gezwungenen besonders starke Rechte auf eine Rechtfertigung der Politik und der Praktiken jener

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