Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola Maybach
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Читать онлайн книгу Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman - Viola Maybach страница 12
Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Wieso bist du denn noch hier?«, fragte Gitta Heidinger erstaunt. »Ich wollte gerade gehen, und da sehe ich dich da noch sitzen.«
Corinna blinzelte die Tränen weg, bevor sie sich halb umdrehte und ihrer älteren Kollegin mühsam zulächelte. »Ich gehe auch gleich, Gitta«, sagte sie. »Ich wollte nur noch einen Text fertig schreiben.«
Aber so leicht ließ Gitta sich nicht täuschen, natürlich hatte sie die Tränen gesehen. Sie kam näher. »Hast du gerade an deinen Bruder gedacht?«, fragte sie ruhig.
Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber Corinna war froh, dass sie nicken konnte. Alles andere ging Gitta nichts an. Sie war die Einzige im Sender, die wusste, dass Corinnas älterer Bruder bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Über die näheren Umstände aber hatte Corinna auch ihr nichts erzählt. Sie wollte mit Fremden nicht über Oliver reden. Das tat sie mit Maren zur Genüge.
»Es geht schon wieder«, sagte sie und stand auf. »Aber manchmal überkommt es mich einfach.«
»Wenn du reden willst …«
»Danke, Gitta, aber ich komme schon klar.«
»Gut, dann bis morgen. Oder gehst du jetzt auch?«
»Ja, wenn du einen Moment wartest.« Corinna packte ihre Sachen zusammen und folgte ihrer Kollegin zum Aufzug. Sie mochte Gitta gern, trotz ihrer manchmal herben Art. Sie hatte wohl nicht nur mit Felix von Bernau ›Pech gehabt‹, sondern auch mit anderen Männern, und das ließ sie manchmal ein wenig verbittert wirken. Aber Corinna hatte sie nie anders als warmherzig und mitfühlend erlebt.
Sie war ihrer älteren Kollegin dankbar dafür, dass sie ihr keine weiteren Fragen stellte, sondern sie in Ruhe ließ. Auf dem Parkplatz trennten sich ihre Wege.
»Fahr vorsichtig«, sagte Gitta zum Abschied. »Du weißt schon: Wenn man traurig ist, macht man leichter Fehler.«
Oliver war nicht traurig gewesen, er hatte auch keinen Fehler gemacht. Trotzdem war er tödlich verunglückt. Und sie, seine kleine Schwester, die ihm so viel verdankte, wurde ihm, in gewisser Weise, jetzt schon untreu. Sie dachte kaum noch an ihn, dafür um so mehr an einen Mann, der in Bezug auf Frauen einen schlechten Ruf hatte und ohnehin viel zu alt für sie war.
Im Auto kamen ihr wieder die Tränen.
*
»Das ist Annika!«, sagte Miriam und strahlte Moritz an. »Sie ist wieder gesund und kann nächste Woche endlich ihr Praktikum antreten. Ich dachte, es wäre vielleicht gut, wenn ihr euch vorher schon einmal seht.«
Moritz sah verwirrt von Miriam zu dem blassen Mädchen, das verschüchtert neben ihr stand und offenbar ebenso verlegen war wie er selbst. Sollte er diesen Abend etwa mit Miriam UND Annika verbringen? So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt.
»Hallo, Annika«, sagte er und reichte dem Mädchen die Hand. »Ich bin Moritz von Ohldorf, wir können uns duzen. Bei uns in der Abteilung ist das so üblich.«
»Hallo«, erwiderte Annika. »Ich wollte überhaupt nicht mitkommen, aber gegen Tante Miriam bin ich einfach nicht angekommen. Sie setzt sich immer durch.«
Miriam grinste vergnügt bei diesen Worten, sagte jedoch nichts.
»Jedenfalls gehe ich jetzt«, fuhr Annika fort. »Nicht, dass du denkst, ich will euch den Abend verderben. Wir sehen uns dann am Montag. Tschüss, Tante Miriam.« Sie gab ihrer Tante einen Kuss und marschierte davon.
So viel zum Thema Schüchternheit, dachte Moritz. Sie scheint ziemlich pfiffig zu sein, und Angst hat sie auch nicht.
Da hatte er mit seiner Einschätzung ja ganz schön falsch gelegen.
»Ist sie nicht süß?«, fragte Miriam stolz. »Und lass dich bloß nicht täuschen: Sie weiß genau, was sie will. Und sie kann sich auch durchsetzen, wenn es darauf ankommt.«
»Nur nicht gegen dich, wie mir scheint«, lächelte er.
Sie hängte sich bei ihm ein. »Ich schätze mal, beim nächsten Mal schafft sie auch das. Ich hatte dieses Mal schon Mühe.«
Sie duzten sich seit dem vorherigen Treffen, aber sonst waren sie sich noch nicht nähergekommen, was daran lag, dass Moritz sich einfach nicht traute. Er hatte Angst, alles zu zerstören, wenn er zu schnell vorpreschte. Und er wurde auch nicht richtig klug aus Miriam. Dass er selbst in sie verliebt war, wusste sie ja längst, aber wie stand sie zu ihm?
»Was ist los?«, fragte sie. »Hast du Sorgen?«
»Sehe ich so aus?«
»Ja, gerade eben schon. Nachdenklicher Blick, Stirn in Falten.«
Er holte tief Luft. Worauf wartete er eigentlich? »Ich habe mich in dich verliebt«, sagte er.
Sie blieb stehen und sah ihn an. Ihre Augen glänzten, ihr Mund verzog sich zu einem wunderschönen Lächeln. »Ich weiß«, erwiderte sie, »und ich habe mich schon letztes Mal gefragt, wie lange du brauchen wirst, um es mir ganz direkt zu sagen. In Andeutungen hast du das ja bereits gemacht.«
»Du hättest selbst die Initiative ergreifen können. Ich meine, du, als emanzipierte Frau …«
»Ach, manchmal ist es schon schön, wenn Männer den ersten Schritt tun.« Miriam schloss die Augen.
Diese Aufforderung war so unmissverständlich, dass jeder Zweifel ausgeschlossen war. Moritz zog sie in seine Arme und küsste sie. Die Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, war ebenso eindeutig. Je länger er sie küsste, desto leichter fühlte er sich. Sie liebte ihn auch, das musste sie ihm gar nicht mehr sagen, ihre Küsse sprachen für sich.
Wie gut, dass ihre Nichte genau zum richtigen Zeitpunkt krank geworden war.
*
»Warum ist Tante Corinna heute nicht gekommen?«, wollte Paul wissen. »Sie hat versprochen, uns eine Geschichte vorzulesen, und jetzt ist sie nicht da, Mama!«
»Sie musste noch arbeiten, Paul«, erklärte Maren, aber nun fing auch Lili an zu quengeln.
»Tante Corinna soll uns aber jetzt eine Geschichte vorlesen, Mama, sie hat es versprochen.«
»Sie kommt morgen wieder«, sagte Maren, dabei war sie gar nicht sicher, ob das stimmte.
Seit einiger Zeit war Corinna verändert. Etwas schien sie zu quälen, aber offenbar wollte sie sich ihr nicht anvertrauen. Maren gestand sich nun ein, dass sie zutiefst beunruhigt war. Corinna war ihr in diesem schweren zurückliegenden Jahr die größte Stütze gewesen, auf sie hatte sie sich immer verlassen können. Corinnas und Olivers Eltern wohnten weit entfernt im Norden des Landes, und sie hatten natürlich mit sich selbst genug zu tun. Es war nicht einfach, den Sohn zu verlieren, der, wie es damals öfter geheißen hatte, mitten aus einem erfüllten Leben gerissen worden war.
Von ihrer eigenen Familie war Unterstützung von Anfang an nicht zu erwarten gewesen: Wenn einen ein Unglück traf, so musste das nach Ansicht ihrer Eltern ertragen werden, ohne dass man großes Aufhebens darum machte. Im Gegenteil, je weniger man sich anmerken ließ, wie es in einem aussah, desto besser. Marens Vater war Berufssoldat, für ihn war Haltung in jeder Lebenslage selbstverständlich. Maren