Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wolf unter Wölfen - Ханс Фаллада страница 38
Das Mädchen sagt: Sie werden doch Liesbeth nicht enttäuschen. Und nach einer Pause: Die gnädige Frau ist einverstanden.
Sie deckt, klimpert ein wenig mit den Bestecken – sehr wenig, es geht ihr alles rasch und leise von der Hand. Wolfgang sitzt regungslos, es muß eine Art Lähmung sein, das macht natürlich die Hitze. Also eine Art Bettler, von der Straße hereingekommen, hat Hunger, mit Bewilligung der Herrschaft wird eine Mittagsmahlzeit gereicht. Seine Mutter ließ durch Minna ein paar Stullen schmieren, der Bettler durfte nicht in die Küche. Im höchsten Fall wurde ein Teller Suppe durch die Tür gereicht, der auf dem Treppenabsatz ausgelöffelt werden mußte.
Nun, hier in Dahlem war man feiner, aber für den Bettler machte es wenig aus, Bettler war Bettler, vor der Tür wie in der Küche, von nun an bis in alle Ewigkeit. Amen!
Er haßte sich, daß er nicht ging. Er wollte kein Essen, was lag ihm am Essen? Er konnte bei seiner Mutter essen, Minna hatte erzählt, immer lag ein Gedeck für ihn auf. Nicht daß er sich geschämt hätte, aber sie sollten nicht zu ihm reden, als sei er ein Kranker, den man schonen muß – er war nicht krank! Nur dieses verfluchte Geld! Warum hatte er ihr vorhin diese jämmerlichen Lappen nicht aus der Hand genommen?! Er säße jetzt schon in der Untergrundbahn …
In seiner Nervosität hat er eine Zigarette vorgezogen, er ist schon im Begriff, sie anzubrennen, als das Mädchen sagt: Bitte, wenn Sie es irgend aushalten, jetzt nicht. Sofort, wenn ich das Essen raufgeschickt habe. Der Herr schmeckt so empfindlich …
Die Tür geht auf und herein kommt ein kleines Mädchen, Tochter des Hauses, zehn Jahre oder zwölf, hell, fröhlich, leicht. Die weiß von der bösen grauen, riechenden Stadt draußen bestimmt nichts! Will sich den Bettler mal anschauen, Bettler scheinen in Dahlem wirklich ein rarer Artikel!
Papa ist schon unterwegs, Trudchen, sagt das Kind zu dem Mädchen am Herd. In einer Viertelstunde können wir essen. – Was gibt es, Trudchen?
Topfriecher! lacht das Mädchen und hebt einen Deckel. Dampf steigt auf, das Kind schnuppert eifrig. Dann sagt es: Och, bloß olle Schoten! Nein, sag wirklich, Trudchen.
Suppe, Fleisch und Schoten, sagt Trudchen scheinheilig.
Und –? fragt das Kind drängend.
Und, sagte Herr Rund – da biß ihn der Hund! lacht das Mädchen halb singend.
›Das gibt es noch‹, denkt Wolfgang halb lächelnd, halb verzweifelt. ›All das gibt es also noch. Ich habe es bloß nicht mehr zu sehen bekommen, in meiner Höhle Georgenkirchstraße, habe es darum vergessen. Aber richtige Kinder, Unschuld, unverdorbene, unwissende Unschuld gibt es auch noch. Die Frage nach der süßen Speise eine Wichtigkeit, da hunderttausend die Frage nach dem täglichen Brot überhaupt nicht mehr stellen mögen! Plünderungen in Gleiwitz und Breslau, Lebensmittelkrawalle in Frankfurt am Main und Neuruppin, Eisleben und Dramburg …‹
Er betrachtet das Kind ablehnend. ›Es ist ja Schwindel‹, denkt er weiter, ›eine künstliche Unschuld, eine ängstlich geschützte Unschuld – genau wie sie Gitter vor ihren Fenstern haben. Das Leben kommt doch – was wird in zwei, drei Jahren von dieser Unschuld noch da sein?‹
Guten Tag! sagt das Kind zu ihm. Es hat ihn erst jetzt bemerkt, vielleicht weil er mit dem Stuhl rückte, um aufzustehen und fortzugehen. Er nimmt die Hand, die das Kind ihm hinhält. Es hat dunkle Augen unter einer klaren, schönen Stirn, es sieht ihn ernst an. Sie sind der Herr, der mit unserer Liesbeth gekommen ist? fragt es eindringlich.
Ja, sagt er und versucht, gegen soviel Ernst anzulächeln. Wie alt bist du denn?
Elf Jahre, sagt sie höflich. Und Ihre Frau hat nichts als einen Paletot?
Richtig, sagt er und versucht noch immer zu lächeln und leicht zu tun. Aber es ist eine verfluchte Sache, seinen Taten im Munde anderer, und nun gar schon von Kindern, zu begegnen. Und gegessen hat sie auch nichts – und wird wohl kaum etwas kriegen, nicht einmal Speise mit Makronen.
Aber sie merkt gar nicht, daß er ihr weh tun wollte. Mama hat so viele Sachen, sagt sie nachdenklich. Das meiste zieht sie gar nicht an.
Richtig, vollkommen in Ordnung, sagt er wiederum, und kommt sich doch so schäbig vor mit seiner billigen Schnoddrigkeit. So ist eben das Leben. Das hast du noch nicht in der Schule gehabt? Wie?!
Immer jämmerlicher, immer kläglicher, vor allem vor diesen ernsten Augen, die ihn ansehen – fast traurig.
Ich gehe nicht in die Schule, sagt das Kind mit einem kleinen, ein wenig wichtigtuerischen Ernst. Ich bin nämlich blind. Wieder der Blick, dann: Papa ist auch blind. Aber Papa hat früher noch sehen können. Ich habe nie sehen können.
Sie steht vor ihm – und der für seinen billigen Spott so rasch Gestrafte hat immer stärker das Gefühl, als sähe sie ihn an. Nein, nicht mit den Augen, aber vielleicht mit der klaren Stirn, dem kühn geschwungenen, ein wenig blassen Mund. Als sähe dies blinde Kind mehr von ihm als seine sehende Petra.
Da erzählt sie: Mama kann sehen. Aber sie sagt, sie möchte lieber auch nicht sehen, sie weiß nie, wie Papa und mir zumute ist. Aber wir erlauben es ihr nicht.
Nein, stimmt Wolfgang zu. Das wollt ihr wohl nicht.
Fräulein und Liesbeth und Trudchen und Herr Hoffmann können uns auch erzählen, was sie sehen. Aber wenn Mama es erzählt, ist es doch anders.
Weil es eben die Mama ist, nicht wahr? fragt Wolfgang vorsichtig.
Ja, sagte das Kind. Papa und ich, wir sind beide Mamas Kinder. Papa auch.
Er schweigt, aber das Kind erwartet keine Antwort, diese Dinge, von denen es spricht, sind ihm wohl selbstverständlich, es ist auch nichts dazu zu sagen. Nun meint es: Hat Ihre Frau auch noch eine Mama – oder hat sie niemanden?
Wolfgang steht da, ein sehr dünnes Lächeln um seinen Mund. Nein, niemanden, sagt er entschlossen. Und denkt: ›Fort! Nur fort!‹ Knockout geschlagen in seiner Lieblosigkeit, in seiner Halbheit von einem Kind.
Papa gibt Ihnen bestimmt Geld, meint das Kind. Und Mama will heute nachmittag zu Ihrer Frau fahren. Wo ist es denn?
Georgenkirchstraße 17, sagt er. Zweiter Hof, sagt er. Bei Frau Thumann, sagt er.
Etwas wallt in ihm auf: wenn nur ihr geholfen wird! Ihr soll geholfen werden! Sie ist jeder Hilfe wert!
Entgleitende Welt, in der du triebest, Armer, verstrickt und verstrickend. Plötzlich, da du fühlst, wie sie sich von dir löst, merkst du, wie wert sie dir war. Ausgetrieben ins Dunkel, in der Ferne noch das klare Licht – und nun erlischt es. Du bist allein – und ob du zurückkehren kannst und wirst – du weißt es nicht! Wir hatten gute Stunden, aber sie sind in den Sand geronnen. Manchmal noch ein Geschmack auf der Lippe, flüchtig, süß – und vorbei! Und dahin! Arme Petra …! Bettler wahrhaftig, da jetzt die Wendung kommt, vielleicht Hilfe, da spürt er, daß Hilfe ihm nichts helfen kann, weil er hohl, ausgebrannt, leer ist. Vorbei! Vorbei!
Ich gehe jetzt, sagte er durch die Küche. Er gab dem Kind die Hand, nickte, fragte: Die Adresse weißt du? und ging. Ging hinein in die Schwüle, hinein in die enge, tobende, jagende Stadt, wieder einmal den Streit um Geld und Brot zu bestehen, für was, für wen –?
Er wußte es nicht, noch immer nicht, noch lange nicht.