Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper - James Fenimore Cooper страница 39
»Sie kennen die Eigentümlichkeiten dieses Volkes nur wenig, Miss Grant«, sagte er, »sonst würden Sie wissen, daß Rache dem Indianer als eine Tugend gilt. Man hat sie von Kindheit auf gelehrt, es für eine Pflicht zu halten, jede Unbill zu vergelten, und nichts als die höheren Ansprüche der Gastfreundlichkeit kann gegen ihre Rache schützen, wenn die Macht dazu in ihre Hand gegeben ist.«
»Aber Sie sind doch nicht zu so unheiligen Grundsätzen erzogen worden?« entgegnete Miss Grant, indem sie unwillkürlich ihren Arm aus dem seinigen zog.
»Für Ihren vortrefflichen Vater bedürfte es keiner andern Antwort, als daß ich in dem Schoß der Kirche erzogen wurde, aber gegen Sie will ich hinzufügen, daß mir die Lehre von der Vergebung tief und nachdrücklich durch das Leben selbst eingeschärft wurde. Ich glaube, daß mir in dieser Hinsicht nur wenig vorgeworfen werden kann, und ich will mir Mühe geben, auch dieses wenige noch zu vermindern.«
Er hatte bei diesen Worten haltgemacht und ihr aufs neue seinen Arm angeboten, den sie auch, sobald er geendet, ruhig hinnahm und weiterging. Herr Grant und Mohegan hatten inzwischen die Tür der Pfarrwohnung erreicht und harrten nun an der Schwelle ihrer nachkommenden Begleiter. Der erstere war eifrig bemüht, durch seine Gründe die üblen Neigungen zu vertilgen, die er eben bei dem Indianer entdeckt hatte, während der letztere in tiefer Aufmerksamkeit zuhörte. Sobald die Dame und der junge Jäger anlangten, traten sie in das Gebäude.
Das Haus lag vom Dorfe ab in der Mitte eines Feldes, aus dessen weißer Fläche Baumstümpfe mit fast zwei Fuß hohen Schneekappen hervorragten. Kein Baum, kein Gesträuch war in der Nähe, und das Haus gewährte äußerlich jenen reizlosen Anblick, den man gewöhnlich bei den hastig errichteten Häusern eines neu angebauten Landes wahrnimmt. Für den wenig einladenden Eindruck der Außenseite boten jedoch zum Glück die ausgesuchte Nettigkeit und die behagliche Wärme im Innern einen hinreichenden Ersatz.
Sie traten in ein Gemach, das sich ganz zu einem Wohnzimmer eignete, obgleich der große Kamin nebst dem dabei befindlichen Küchengerät verriet, daß es hin und wieder auch zu wirtschaftlichen Zwecken dienen mußte. Die lodernde Flamme des Herdes machte das Licht, welches Luise aufsteckte, unnötig, da sie hinreichte, die sparsame Möblierung des Zimmers sichtbar werden zu lassen. Der Boden war in der Mitte mit einem aneinandergestückten Teppich belegt – ein Artikel, der damals im Innern des Landes häufig verwendet wurde und auch noch heutzutage nicht selten zu finden ist –, so daß nur in den Ecken des Zimmers die ungemein reinlich gehaltenen Dielen sichtbar waren. Der Tee-und Arbeitstisch nebst einem altmodischen Mahagonibücherschrank bekundeten, daß die Insassen den besseren Ständen angehörten, obgleich die Stühle, der Speisetisch und das übrige Möbelwerk von der einfachsten und wohlfeilsten Art waren. An den Wänden hingen ein paar Handzeichnungen und Stickereien, von denen die letzteren mit großer Zierlichkeit, obgleich nicht nach den besten Mustern, ausgeführt waren, während erstere nach Anlage und Vollendung viel zu wünschen übrigließen. Eine der Stickereien zeigte auf einem Hintergrund, in welchem sich eine gotische Kirche blicken ließ, ein über einem Grabmal weinendes Frauenzimmer. An dem Grabmal befanden sich neben den Geburts-und Todestagen die Namen mehrerer Individuen, welche alle Grant hießen. Ein flüchtiger Blick darauf reichte hin, den jungen Jäger über die Familienverhältnisse des Geistlichen zu belehren; denn er entnahm daraus, daß Herr Grant Witwer war, und daß das unschuldige schüchterne Mädchen, welches er herbegleitet, ihre fünf Geschwister überlebt hatte. Das Bewußtsein, wie sehr das Glück dieser beiden demütigen Christen auf ihrer gegenseitigen Liebe und Anhänglichkeit beruhe, erhöhte den Zauber der zarten und innigen Aufmerksamkeit, welche die Tochter dem Vater weihte.
Der junge Jäger stellte diese Beobachtungen an, während die Gesellschaft vor dem lustigen Feuer Platz nahm, was eine Unterbrechung des Gesprächs zur Folge hatte. Sobald aber alle sich’s bequem gemacht und Luise das dünne verblichene Seidenkleid und den Strohhut, der allerdings mehr zu ihrem bescheidenen edlen Antlitz als für die rauhe Jahreszeit paßte, abgelegt und gleichfalls einen Stuhl zwischen ihrem Vater und dem Jüngling genommen hatte, begann der erstere aufs neue:
»Ich hoffe, mein junger Freund, daß die Erziehung, welche Sie erhielten, die meisten jener rachsüchtigen Grundsätze ausgerottet hat, welche Sie wohl Ihrer Abkunft verdanken mögen; denn wenn ich Johns Ausdrücke recht verstehe, so strömt einiges von dem Blut des Delawarenstammes in Ihren Adern. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen; denn weder die Farbe noch die Abkunft gibt ein Verdienst, und ich weiß nicht, ob nicht diejenigen, die dem Blute nach den ursprünglichen Eigentümern dieses Bodens entsproßten, das beste Recht haben, diese Berge mit leichtem Gewissen zu betreten.«
Mohegan wandte sich feierlich und mit den ausdrucksvollen Gebärden eines Indianers zu dem Sprecher und entgegnete:
»Vater, du hast den Sommer deines Lebens noch nicht zurückgelegt; deine Glieder sind jung. Geh auf den höchsten Berg und blick um dich. Alles, was du siehst, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, von den Hauptwassern der großen Quelle bis dahin, wo sich der gekrümmte Fluß in den Bergen verbirgt, ist sein. Er stammt aus dem Blut der Delawaren, und sein Recht ist stark. Aber der Bruder von Miquon ist gerecht. Er wird das Land in zwei Teile schneiden, wie es der Fluß in den Niederungen tut, und wird zu dem Jungen Adler sagen: ›Kind der Delawaren, nimm es – behalte es und sei ein Häuptling in dem Lande deiner Väter‹.«
»Niemals«, rief der junge Jäger mit einer Heftigkeit, welche die gespannte Aufmerksamkeit plötzlich vernichtete, womit der Geistliche und seine Tochter dem Indianer zuhörten. »Der Wolf des Waldes ist nicht gieriger auf seine Beute als dieser Mann nach Gold, und doch ist sein Schleichen nach dem Besitz so leise wie die Bewegung der Schlange.«
»Gott bewahre dich, Gott bewahre dich, mein Sohn«, unterbrach ihn Herr Grant. »Solche ungestüme Leidenschaftlichkeit darf man nicht aufkommen lassen. Die zufällige Beschädigung, die dir von dem Richter Temple zugefügt wurde, hat das Gefühl der Kränkung wegen Beeinträchtigung deines Erbes gesteigert. Aber vergiß nicht, daß die eine unabsichtlich war und die andere eine Wirkung des politischen Wechsels ist, welcher in seinem Lauf den Stolz von Königen demütigte und mächtigen Nationen den Untergang gebracht hat. Wo sind nun die Philister, die so oft die Kinder Israels ihr Joch fühlen ließen? Wo ist die Stadt Babylon, die in Üppigkeit und Lastern schwelgte und sich in ihrem Stolz die Königin der Völker nannte? Erinnere dich der Bitte in unserer heiligen Litanei, in der wir die Allmacht anflehen – ›daß es ihr gefallen möge, unsern Feinden, Verleumdern und Verfolgern zu vergeben und ihre Herzen umzuwenden‹. Das Unrecht, das den Eingeborenen zugefügt wurde, hat Richter Temple mit einem ganzen Volk gemein, und was deinen Arm anbelangt, so wird er bald wieder die frühere Kraft besitzen.«
»Dieser Arm?« wiederholte der Jüngling, indem er mit heftiger Aufregung im Zimmer auf und ab schritt. »Glauben Sie, Sir, ich halte den Mann für einen Mörder? – O nein, er ist zu schlau und zu feige zu solch einem Verbrechen. Aber mögen immerhin er und seine Tochter in seinem Reichtum schwelgen – der Tag der Vergeltung bleibt nicht aus. – Nein, nein, nein«, fuhr er ruhiger auftretend fort – »nur Mohegan konnte auf die Vermutung kommen, daß die Verletzung absichtlich geschah; doch diese Kleinigkeit ist nicht wert, daß ich weiter daran denke.«
Er setzte sich, stemmte die Arme auf seine Knie und verbarg sein Gesicht mit den Händen.
»Es ist das erbliche Ungestüm der Leidenschaft eines Eingeborenen, mein Kind«, sagte Herr Grant leise zu seiner Tochter, welche sich entsetzt an seinen Arm geklammert hatte. »Er hat, wie du hörtest, indianisches Blut in den Adern, und weder die Macht der Erziehung noch die Vorteile unserer ausgezeichneten Liturgie sind imstande gewesen, das Übel mit der Wurzel auszurotten. Doch können Sorgfalt und Zeit