Hund-Nase-Mensch. Alexandra Horowitz
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Die Riechschleimhaut ist von einer dicken Matte aus Zilien bedeckt, das sind kleine, haarähnliche Ästchen, die aus den Sinneszellen herausragen. Aus jedem Nerv sprießen ein paar Dutzend Zilien, und jede ist von Dutzenden von Proteinen umhüllt, die man olfaktorische Rezeptorzellen nennt. Rezeptoren tun das, wonach sich ihr Name anhört: sie nehmen Gerüche in Empfang. Um das zu tun, stehen sie sorglos und ungestört mitten in der schleimigen Umgebung der Nase herum und sind perfekt dafür gemacht, auf einem Schnüffler vorbeikommende Geruchsmoleküle aus der Luft zu fangen.
Hunde können in jeglicher Hinsicht mehr Riechbares in ihre Nasen packen: sie haben viele Zilien auf jeder Nervenzelle und auf jeder Zilie mehr Rezeptoren als Menschen. Tatsächlich hat sogar jeder Hund Hunderte von Millionen mehr Zellen, die zum Entschlüsseln von Gerüchen gemacht sind, als wir Menschen. Hunde haben je nach Rasse zwischen zweihundert Millionen bis eine Milliarde Rezeptorzellen in ihren Nasen, wir dagegen zum Vergleich rund sechs Millionen. Im Fall des Hundes ermöglicht mehr Nasenmasse aber auch mehr verschiedene Rezeptoren, nämlich über achthundert, die einfach mehr Informationen über die Gerüche entschlüsseln können.
Diese Zahl – achthundert und irgendwas – lässt die Wissenschaftler einen Moment verstummen. Das Auge, Beförderungsmittel beispielsweise des brillanten Bildes eines dramatischen Sonnenuntergangs hinter Gewitterwolken, benutzt gerade einmal drei Rezeptoren, um diese farbenprächtige Szene in unseren Köpfen zu erschaffen. Mit achthundert Rezeptoren mehr sind die Möglichkeiten für Geruchslandschaften schlicht atemberaubend. Die Zahl der Gerüche, die Hunde entschlüsseln können, könnte theoretisch „Milliarden“ betragen, schreibt Dr. Stuart Firestein, Gerüche untersuchender Neurowissenschaftler an der Universität von Columbia. Aber „im Grunde ist diese Frage vermutlich nicht relevant, genauso wie es kaum sinnvoll ist, zu fragen, wie viele Farben oder Farbschattierungen wir sehen können.“
Auch wenn Gerüche auf ihren Rezeptoren landen, sind sie immer noch undercover. Die Nase weiß nicht, wer sie sind. Es gibt nicht etwa so etwas wie einen „Käserezeptor“, der von Antje aus Holland aktiviert wird und die Nase meines Hundes in Richtung Küchenarbeitsplatte steuert. Und es gibt auch keinen „Eichhörnchenkadaver-Rezeptor“, trotz des großen Eifers, den Hunde an den Tag legen, um die Überreste eines glücklosen Eichhörnchens im Park zu finden. Jeder Geruch aktiviert einfach viele Rezeptoren; es gibt nicht einen Rezeptor für jeden Geruch.
Auch wenn man die Mittel und Wege der Geruchsrezeption noch nicht abschließend erforscht hat, so benutzt doch die am meisten verbreitete Theorie dazu, wie das vonstattengeht, das Sinnbild von Schlüssel und Schlüsselloch. Nach diesem Modell sind die Rezeptoren die Schlüssellöcher beziehungsweise Schlösser verschiedener Formen und Größen, während die verschiedenen Moleküle, aus denen Gerüche bestehen, die Schlüssel sind. Eine verwandte Theorie besagt, dass die Rezeption von Gerüchen weniger spezifisch ist als ein Schlüssel im Schloss, sondern eher an einen Schlüssel in einer Tasche erinnert, in der mehrere verschieden geformte Schlüssel sich an einen Rezeptor binden und ihn zum Losfeuern von Signalen bringen können. Wie passend für Hunde, diese alten Taschenschnüffler.
Als die Biologen Dr. Linda Buck und Dr. Richard Axel den Nobelpreis für ihre Arbeit zum Geruchssinn erhielten, wurde damit ihre Arbeit zur Entdeckung der Gene ausgezeichnet, die diese Rezeptoren codieren. Erstaunlicherweise sind olfaktorische Gene im Säugetier-Genom stark überrepräsentiert. Hunde haben etwa elfhundert olfaktorische Rezeptorgene, von denen rund achthundert aktiv tätig sind.*
Merken Sie sich einmal die Zahl 19.000 – aus so vielen Genen besteht das Genom Ihres Hundes, also quasi sein Entwurf, der für die Schaffung seines gesamten Körpers von der charmant geringelten Rute bis zu den ausdrucksvollen dunklen Augen verantwortlich ist. Fast fünf Prozent des Genoms dienen zu nichts anderem als nur zur Schaffung von Geruchsrezeptoren – das macht jede Menge Schlösser, um die Schlüssel dieser Welt zu riechen.
Hunderassen unterscheiden sich in ihrer Riechfähigkeit, was daran liegen könnte, dass sie unterschiedlich viele operative olfaktorische Gene haben: Boxer (mit kurzen Nasen, in denen die Nasenmuscheln komprimiert werden) haben etwas weniger funktionale Gene als Pudel (lange Nasen und respektable Schnüffler). Auch wenn man mit der Forschung zu diesem Thema gerade erst begonnen hat, gibt es doch einige Hinweise darauf, dass bestimmte Gene sogar mit der Entschlüsselung bestimmter Gerüche zu tun haben könnten. In einer Studie fand man eine kleine Abweichung an einem bestimmten Gen von Hunden, die im Aufspüren von Sprengstoff weniger gut abschnitten.
Wenn genetische Unterschiede zu Unterschieden in der Geruchserkennung führen, könnte man fragen, ob bestimmte Rasse genetisch gesehen bessere Schnüffler sind als andere. Insofern, als dass irgendeine unbestimmte Unterkategorie von Genen dazu führen könnte, dass ein Hund einen Geruch wahrnehmen kann, den ein anderer Hund nicht riecht, ja. Ob der genetische Unterschied in der Riechleistung Teil der genetischen Unterschiede zwischen den Rassen ist, ist eine andere Frage – und eine vorerst unbeantwortete.
Geruch trifft Ventilator
All diese Arbeit, um zur Rezeptorzelle zu kommen – und der Geruch hat es immer noch nicht geschafft. Der Duft des toten Eichhörnchens oder irgendeiner beliebigen anderen Substanz wird nur dann entdeckt, wenn Bestandteile des Geruchs, nachdem sie sich an Rezeptoren angekuschelt haben, die Nervenzellen auch zum Feuern bringen. Diese verändern dann ihre elektrische Spannung und schicken ein Aktionspotenzial über ihre ganze Länge hinweg, das nun die Nase verlässt und ins „Nasengehirn“ gelangt: in den Riechkolben. Zehntausende Millionen Nervenzellen finden sich zu ein paar Tausend Bündeln zusammen und schlüpfen durch kleine Öffnungen im Knochen ins Gehirn.
Ganz früher dachte man, dass das Riechen im Gehirn stattfindet und die Nase nur die Zuleitung ist. Selbst im zwanzigsten Jahrhundert und mit dem Aufkommen der Gehirn/Computer-Vergleiche hörte man nicht selten, dass die Nase quasi das Gebläse oder die Lüftung des Supercomputers namens Gehirn sei. Heute wissen wir, dass das Ganze sich etwas elektrischer verhält. Santiago Ramón y Cajal, ein früher und einflussreicher Anatom, kartierte Ende des neunzehnten Jahrhunderts den Weg von der Nase zum Gehirn und beobachtete dabei, dass Nerven (die die Information aufgenommener Gerüche tragen) ins Gehirn eindringen, nicht die Gerüche selbst.
Der Riechkolben sitzt direkt hinter dem Nasenhintergrund, eingezwängt unter dem Frontallappen des Gehirns. Die Nase ist der schnellste Weg ins Gehirn: Ein Neuron gelangt aus der warmen, nach Abendessen und leicht nach umherschwebenden Hundehaaren duftenden Luft Ihres Wohnzimmers in die hochklimatisierte Umgebung des Gehirns. Vor dem Riechkolben „weiß“ eine Nervenzelle nur, dass sie sendet; im Riechkolben finden sich die Axone Tausender Nervenzellen der gleichen Rezeptorenart alle an einem einzigen Zielort zusammen und überschütten ihn mit Aktivität. Dies alles zusammengenommen scheint die Empfindung der Geruchswahrnehmung zu schaffen. So, wie ein Geruchsmolekül von den Rezeptoren gepackt und auseinandergenommen wird und damit viele Nervenzellen zum Feuern bringt, so wird es in den topographischen Schichten des Riechkolbens auch wieder rekonstruiert. Kleine Hinweisspuren von vielen Zellen werden in die Wahrnehmung des stinkenden Verwesungsgeruchs übersetzt, der die Entdeckung Ihres Hundes kennzeichnet.
Man würde vielleicht erwarten, dass der Riechkolben des Hundes gigantisch groß ist. Ist er nicht. Aber er macht zwei Prozent seines gesamten Gehirns aus, zwei Cent eines Eurostücks. (Bei Menschen ist er verschwindend klein: weniger als ein Dreißigstel eines Cents.) Und das macht einen Unterschied: Der Riechkolben übersetzt die Signale der Nervenzellen in so etwas wie die Wahrnehmung eines