Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder
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Wie konnte ich Halef da noch enthüllen, dass er verleumderisch als Verbrecher gesucht wurde, gewissermaßen einer Blutrache unterworfen war? Es wäre besser, wenn er dies nicht wüsste.
Aber eine weitere Sache hatte ich noch im Hinterkopf, die mir an den Worten des Ältlichen aufgefallen war. Diese wollte ich mit Haschim besprechen, doch das würde warten müssen bis zur geeigneten Zeit. Denn mich selbst machte der Gedanke schaudern, dass es hier nicht allein um Kämpfe unter Beduinenstämmen oder um Rache von Sklavenhändlern gehen mochte, sondern dass sich auch erneut die finstere Seite des magischen Orients offenbaren könnte.
Zweites Kapitel
Der Schmerz der Haddedihn
Die Rückkehr in die Dschesireh, in die Gefilde und Weidegründe der Haddedihn, ist mir stets eine Freude gewesen. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch, damals allerdings noch ohne die tieferen Verbindungen zu diesem Stamm, welche mir aus dem gemeinsam ausgefochtenen Befreiungskampf und schließlich auch der engen Freundschaft zu Halef und dessen Aufnahme in jene Gemeinschaft erwuchsen. Ich war damals, vor fünf Jahren, mit Sir David durch diese Gegend geritten, den ich erst kurz zuvor durch eigentümliche und glückhafte Fügungen in Maskat am Golf von Oman getroffen und der mir auf seinem Dampfboot eine Passage den Golf hinauf, bis zum Tigris durch den Schatt-el-Arab, gewährt hatte, mit Landgang in Basra. Von Basra aus waren wir dann zu Pferd in unser erstes gemeinsames Abenteuer aufgebrochen, so wie ein weiteres vor einem Jahr ebenfalls in Basra seinen Anfang genommen hatte, an dessen Ende wiederum die Reise zu den Haddedihn stand, mit der jungen Djamila, auf dem Weg in die Arme ihrer verlorenen und wiedergefundenen Familie.
Was waren diese Reisen doch heiter gewesen, nicht allein vom Zustand des Gemüts her betrachtet, sondern auch von jenem der Umgebung. Damals hatte die Steppe geblüht, jeder Hufschlag der Pferde hatte den Wohlgeruch der Blumen aufgewirbelt, die als buntfarbiger Teppich den Grund bedeckten. Dies war jenes Gefilde, das der Araber als Merdsch kennt, so wie der Afrikaner seine Savanne und der Amerikaner seine Prärie. Und doch wirken diese Wiesen der Dschesireh um so vieles prächtiger, wenn sie den Reisenden empfangen – nach den vom Sandsturm durchtosten, von tödlichem Licht versengten Wüsten – und sich die zerklüfteten und verschmachteten toten Flussläufe der Wadis ebenso zurückgezogen haben wie die tückischen wandernden Dünen aus stechend heißem Sand.
Gewiss herrscht ein ähnlicher Gegensatz zwischen den Wüsten Amerikas und Afrikas und den jeweiligen Graslanden, und in Asien ist es kaum anders bestellt. Doch man bedenke, dass die Düfte und Wohlgerüche Arabiens sprichwörtlich sind, und nicht von ungefähr auch die kleinste Blüte einen besonderen Zauber verströmt, zudem wenn man über sie hinweg zu lieben, vertrauten Menschen reitet.
Doch hier und heute war die Merdsch verblüht. Ein trübes Licht ergoss sich über die faden Gräser, aus denen sich nurmehr die farblosen Überreste der einst so herrlichen Blüten matt erhoben. Dumpf klangen unsere Hufe, nur Staub wölkte empor, kein Duft nach Leben, sondern allein der Dunst von Verderbnis und Tod. Mich hätte es kaum verwundert, wenn sich in dieser trostlosen Steppe auch noch eine wüstenhafte Fata Morgana gezeigt hätte, um uns mit einem Trugbild zu narren und zu verhöhnen.
Wir wussten nicht genau, was uns im Duar, im Lager der Haddedihn, erwartete, auch wenn der Spiegelstein uns einen Anschein gezeigt hatte.
Endlich kamen wir heran und sahen die ersten Zelte der Haddedihn in der Ferne. Ich war froh, dass keine Rauchschwaden von ihnen gen Himmel stiegen, wenngleich der Gedanke töricht war. Denn jeglichen Brand, der durch den Überfall entstanden war, hatte man doch längst erstickt und gelöscht.
Auch sahen wir die Herden der Schafe und Kamele als Gruppen niederer heller und aufragender dunkler Flecke, die sich grasend bewegten. Warum nur hatte ich mir in unruhigen Träumen den blutbedeckten Grund mit Kadavern jener Tiere übersät vorgestellt, wie das Schlachtfeld eines Menschenkrieges am Tag nach dem scheußlichen Morden? Die Tiere wären doch bei einem Angriff – ob durch feindliche Beduinen oder rächende Sklavenhändler – wohl eher gestohlen oder vertrieben worden oder eben vor dem Aufruhr geflohen!
Dennoch erkannte ich, dass die Herden ausgedünnt waren, und auch wenn mich meine Erinnerung täuschen mochte, so sagte mir ein rascher Blick zu Halef, dass ich Recht hatte.
Als wir uns näherten, zerstob ein weiterer Angsttraum und mit ihm das furchtbare Bild des Spiegelsteins. Denn die Zelte waren nicht länger umgestoßen, in sich zusammengefallen oder gar verbrannt. Sie standen wieder so stolz und aufrecht wie ihre Bewohner – denn alle Zerstörung war von jenen eifrig getilgt worden. In der Zeit zwischen dem Überfall und unserer Ankunft hatten die Haddedihn die Zelte wiedererrichtet, die verbrannten durch neue ersetzt – denn wer wollte schon in Trümmern leben, wo die Erinnerung schmerzlich genug war. Gewiss sah man hier und da eine angesengte Zeltstange, eine Stoffbahn, die geflickt war – denn was noch zu gebrauchen war, wurde niemals fortgeworfen, und so wie ein Krieger seine Narben trägt, so behält auch ein Duar die Spuren dessen, was er erlebt hat.
Jetzt aber kamen die Menschen, die Haddedihn, heran.
Ich hatte bei unserer Annäherung bereits in der Ferne die Späher und Wachen zu den Seiten unseres Weges bemerkt, die Reiter mit den Gewehren und den Lanzen, mit denen sie sich in einem eigentümlichen Mixtum von Moderne und Altertum bewaffneten. Die Haddedihn waren nach dem Überfall noch wachsamer geworden, als es ohnehin angeraten war. Doch hatte man uns nicht angehalten und überprüft, denn die Wächter hatten Halef und mich wohl erkannt und waren stattdessen in den Duar geritten, um Meldung über unser Herannahen zu machen.
Und nun kamen uns die Haddedihn entgegen. Rasch ließ ich meine Blicke über sie gleiten, indem ich bekannte, vertraute Gesichter suchte, um mein rasendes Herz zu beruhigen.
Doch musste ich bedenken, dass die stolzen Beduinen auch in Not und Schmerz noch ihre Regeln befolgen und die Würde der Begrüßung bei den Oberhäuptern liegt. Niemals hätte ich erwarten dürfen, dass Halefs gesamte Familie herangestürmt wäre, damit sie einander erleichtert und lachend in die Arme fallen konnten – oder auch mit gesenktem Kopf und Tränenblick, weil einige von ihnen …
Der Scheik der Haddedihn, Amad el Ghandur, trat vor und hob die Hände. Sein Gesicht zeigte nur strenge Ernsthaftigkeit, keine Spur von Leid über das Geschehene oder Freude über unsere Ankunft – beide Gemütsregungen konnte er sich nicht erlauben. Doch ich ahnte, dass unter seinem schwarzen Bart, der ihm lang bis über die Brust fiel, das Herz schwer war.
„Willkommen euch, in dieser schweren Stunde, die uns erleichtert wird durch euer Eintreffen, das rascher geschah, als wir je hätten hoffen mögen! Allah hat euch in seiner Güte rasch auf den Weg gesandt und gut behütet, während er uns zuvor schwer geprüft hat.“
Wir entboten einander die angemessenen Grußformeln, die ich nicht wiedergeben will, da sie mir zwar tief empfunden, aber doch ein wenig automatenhaft über die Lippen kamen. Ich spürte, wie meine Aufregung und Sorge zum Teil einer Taubheit wichen, die aber umso heftiger biss und stach, weil das Wichtigste noch immer im Ungewissen blieb.
Nun trat Scheik Malek vor, der Vater von Amscha und Großvater von Hanneh und Djamila. Er war bei unserer ersten Begegnung bereits nahe am Alter eines ehrwürdigen Greises gewesen, und dem entsprach auch seine