Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder
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Einem Scharmützel mit Banditen hätten wir uns wahrscheinlich kaum freiwillig gestellt, wir hatten keine Augen, keine Sinne für jene, auch nicht für alles andere.
Heller, heißer Tag und finstere, kalte Nacht wechselten in natürlich vorgegebenem Takt, mir schien es jedoch wie ein scheußliches Wechselbad, wie es den Leibern der bedauernswerten Seelenerkrankten in gewissen Instituten zugemutet wird, zu zweifelhaftem Nutzen. Der gütige und weise Pfarrer Kneipp, der solcherlei Wassergüsse als heilsame Anwendung der unteren Extremitäten ersann, mochte sich darob bitter empört zeigen.
Wer nun glaubte, ich hätte mich bei jenem harten Wüstenritt, voller Staub und Hitze, nach einem erfrischenden Wassertreten gesehnt, verkennt leider meine Lage: An solcherlei Erquickung dachte ich nicht, was kümmerte mich mein körperliches Wohlergehen in jener quälenden Aufwühlung des Gemüts, angesichts des Leids meines Freundes!
Und wer nun eine farbenfrohe und eindringliche Beschreibung der Äußerlichkeiten jener so schmerzvoll erlebten Reise erwartet, den werde ich ebenfalls enttäuschen müssen: Ich scherte mich kaum um die Oasen und Siedlungen und Städte, die wir passierten. Gewiss schienen mir die Erinnerungen an frühere Reisen in diesen Gegenden auf, doch weniger im geografischen oder kulturellen Sinne, sondern wegen der Begegnungen und Erlebnisse, die ich dort gehabt hatte.
Als wir durch den Hedschas nach Norden ritten, konnte ich nicht umhin, an die beiden Städte zu denken, die linker Hand von uns im Westen lagen, nahe der Küsten des Roten Meeres, namentlich Dschidda und Mekka. In Dschidda war ich vor fünf Jahren an Land gegangen, kaum dass ich glücklich aus den Fängen des Piraten Abu Seif hatte fliehen können. Meinen Freund Halef, an dessen Seite ich nun in jenen schweren Stunden ritt, hatte ich damals noch nicht lange gekannt, ja, ihn noch nicht ganz einen Freund nennen können. Doch in jener Zeit wurde die Saat für unsere Verbundenheit gesät – und für die Verbindungen, die sich später ergaben. Denn Abu Seif hatte einst Amscha entführt und ihr jene beiden Kinder Hanneh und Djamila – nein, nicht geschenkt, sondern mit Gewalt gezeugt. Und doch wurden die beiden Mädchen zu Geschenken für Amscha, später auch für Halef, als er Hanneh ehelichte, und für uns alle, als wir Djamila in Basra begegneten. Und diese beiden jungen Frauen hatten nun ein uns unbekanntes Schicksal erlitten – es musste so sein, denn nur so war erklärlich, dass der Spiegelstein sie uns nicht gezeigt hatte! Nur Amscha, die auf ihrem Lager lag, verwundet, verletzt – in unbekanntem Zustand der Gesundheit.
Auch Amscha hatte ich damals kennengelernt – als mutige, resolute Tochter des Scheiks Malek, die es sich nicht hatte nehmen lassen, mich auf meiner gefährlichen Mission nach Mekka zu begleiten, oder doch zumindest bis kurz vor den Eintritt in die heilige Stadt, die mir als Ungläubigem verboten war. Ich entsinne mich noch ihres klugen Ratschlags, meine prächtigen westlichen Waffen, Henrystutzen und Bärentöter, in ihre Obhut zu geben und stattdessen ihre alte Araberflinte zu führen – denn die modernen Gewehre hätten mich schlicht verraten. Halef hatte zu jener Zeit eine eigene Tarnung für seinen Aufenthalt in Mekka gewählt, nämlich die eines Ehemanns, und seine vorgebliche Braut war Hanneh gewesen, die Enkelin des Scheiks und Tochter von Amscha. Die beiden Frauen hatten uns also jede auf ihre Weise geholfen, dass wir Abu Seif hatten stellen können und dass ihn schließlich sein Schicksal ereilte. Er starb für das, was er uns allen angetan hatte – auch wenn in einer seltsamen Fügung daraus Freundschaft unter uns erwuchs und gar eine wirkliche Ehe zwischen Halef und Hanneh.
Halef dachte in diesen Stunden wohl an die gleichen Dinge wie ich. Zumindest an jene, die in der Vergangenheit lagen. Was er sich für die Zukunft ausmalte, wollte ich mir besser nicht vorstellen – weder, was das Schicksal seiner Familie betraf, noch das Schicksal jener, die wohl die Haddedihn überfallen hatten. Halef zürnte still, und ich muss gestehen, dass ich nicht in der Lage war, zu ermessen, welche Qual und welche Wut in ihm tobten, denn ich habe nun einmal keine Gattin und keine Kinder oder Anverwandte. Ob dies in diesen Stunden meinem Seelenzustand zuträglich oder abträglich war, vermochte ich nicht zu sagen.
Ich ahnte aber, wie sehr ein weiterer Schmerz in ihm aufzusteigen begann, denn mein Halef ist klug – aus sich selbst heraus und weil er von seinem Sidhi das klare Denken gelernt hat, selbst wenn Zorn und Sorge das Gemüt verdüstern. In kühlen Gedanken, so mir die Hitze der Wüste und die Anstrengung des Ritts und die brennende Sorge und Ungewissheit diese zuließen, überlegte ich, was wohl geschehen sein mochte. Wer konnte die Haddedihn überfallen haben? Gewiss, es gab stets Zwist unter den Beduinenstämmen der arabischen Länder, doch seit dem Frieden zwischen den Ateibeh und Haddedihn – und ihrer herzlichen Allianz – wagten es andere kaum, sich jenen außergewöhnlich stolzen und mutigen Kämpfern entgegenzustellen. Es mussten besonders ruchlose Menschen gewesen sein, die die Weidegründe und den Duar, die Heimstatt, genauer das Zeltdorf, welches man auch Madrib heißt, heimgesucht und verheert hatten, um Herden und Habseligkeiten zu rauben.
Mich beschlich ein Gefühl, dass es hier nicht um Vieh oder Güter ging, wie etwa die herrliche Kamelwolle, mit welchen die Haddedihn handelten, indem sie diese mit Kellek-Flößen zu den Städten verbrachten. Eine Ahnung kam in mir auf, und meine Ahnungen hatten mich selten getäuscht. Bei diesem Schlag des Schicksals gegen den Stamm und die Familie meines Freundes, so war ich sicher, musste die schreckliche Vorsehung ihr Ziel ganz bewusst gewählt haben. Nicht allein, weil die gütige Vorbestimmung uns mit Haschims Spiegelstein versehen hatte, auf dass wir rascher – wenngleich auch harscher – von den niederschmetternden Ereignissen weit im Norden, im Zweistromland, erfuhren, als wenn diese Kunde durch Boten zu uns gekommen wäre, wann und wenn überhaupt! So konnten wir nun zur Hilfe und Rache eilen.
Aber ich bin auch davon überzeugt, dass alles seinen Grund und seine Zwangsläufigkeit besitzt. Warum also traf der Überfall die Haddedihn – und warum zu dieser Zeit?
Was war jüngst geschehen? Wir hatten ein gutes Werk getan und in Dauha einige Sklavinnen befreit und somit einer Gruppe schurkischer Sklavenhändler empfindlich geschadet, ihnen gar den Tod als Strafe für ihre schändlichen Taten gebracht. Doch das Schicksal und die Vorsehung wägen nicht ab und balancieren nicht die Waagschalen nach menschlichem Ermessen und kaufmännischer Aufrechnung. Nur weil wir Gutes getan hatten, waren wir nicht von Bösem verschont. Stattdessen gebiert jede Tat eine Gegentat. Waren wir nicht auch gerade auf Rache aus? Wer wollte sich vielleicht an uns rächen? Und in schrecklicher Weise statt an uns – an den Unsrigen?
Ich will meine Gedankengänge nicht weiter beschreiben. Das Ergebnis, zu dem ich kam, wurde ja bald durch die Ereignisse bestätigt.
Es war in einem kleinen Ort, an dem wir Rast machten – widerwillig, aber notwendig. Selbst wenn wir es vorgeblich nur der edlen Meharis wegen taten, so wussten wir doch, dass wir auch unsere eigenen Leiber und Gemüte nicht zu sehr schinden durften, der kommenden Taten wegen, für die wir kräftig und frisch sein mussten.
Der Name des Orts, seine Lage und Besonderheiten sind mir nicht mehr gewahr. Man verzeihe es mir, dem sonst so akkuraten Reiseschriftsteller, dass mir auf diesem langen, eiligen Weg die Details verschwammen, weil sie mir doch recht gleichgültig waren.
Wir kamen also aus Hitze und Sand zu den staubigen Hütten aus bleichem Lehm, schwach beschattet von dürren Palmen. In den ferneren Gassen blökte ein Esel, ein Hund schien kläffend zu antworten, ein wenig menschlicher Streit war zu hören, aber auch Kinderlachen, welches Halef nicht wie sonst versonnen lächeln, sondern ihn die Lippen fest zusammen pressen ließ, ebenso wie die Augenlider. Der Staub der Reise sog gierig das feuchte Schimmern auf. Wir saßen ab und gaben in stumpfer Gewohnheit die Meharis in Obhut, welche wir dennoch mit scharfem Blick gewählt hatten. Das wohlwollende Misstrauen, welches jeder Reisende mit wertvollen Reittieren an den Tag legen sollte, war bei uns mehr denn je ausgeprägt. Wir durften die schnellen Dromedare nicht verlieren, konnten uns keine Verzögerung durch eine Diebesjagd leisten – und selbst die prallgefüllte Börse Sir Davids würde uns in diesen Gegenden keinen Ersatz erkaufen können. Doch immerhin bot sie den Knechten der Karawansereien reichliches und leicht