Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

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Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder Karl Mays Magischer Orient

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aber nicht darin eingreifen. Es ist unserem Einfluss entzogen. Wenn wir jetzt etwas anderes als das Erhoffte gesehen hätten, hätten wir es nicht ändern können. Denn wir sind zu weit weg von der Szene, um bei einer beobachteten Gefahr helfen zu können.“

      „Also wenn wir just gesehen hätten, dass eine der Ladys vor unseren Augen in die See gefallen wäre, und niemand auf dem Schiff hätte das beobachtet …?“ Lindsay beschrieb ein schreckliches Beispiel. Unwillkürlich nahm er dabei die Hand wieder von der Wand weg und das Bild verschwand schlagartig.

      Haschim zuckte nur stumm mit den Schultern.

      Das Gespräch stockte nun, weil jeder für eine Weile seinen Gedanken nachhing.

      Es war Halef, der die Stille mit einem unerwarteten Wunsch unterbrach. Offenbar hatte er daran gedacht, was in diesem Augenblick wohl an einer Stelle auf unserem Erdball geschah – an einer Stelle, die ihm besonders am Herzen lag. „Kann der Felsen uns wirklich jeden Ort zeigen, an den wir denken?“

      Haschim nickte.

      „Könnte ich vielleicht einen Blick auf mein eigenes Zelt werfen, verehrter Scheik? Das Heim, in dem ich wohne, wenn ich bei den Haddedihn bin und in dem jetzt meine Hanneh, die Blume meines Herzens, die Seele meines Lebens, sich aufhalten müsste. Und mein Sohn Kara, der nach meinem Sihdi benannt wurde und der dereinst ebenso tapfer sein wird wie der große Effendi aus Dschermanistan. Und auf Djamila, die kleine Schwester meines die ganze Familie umsorgenden Eheweibs, die wir heim in den Schoß dieser Familie geholt haben. Und auch auf Amscha, die tapfere Mutter, die kämpfen kann wie ein Mann und die ich auch als Schwiegermutter so lieb gewonnen habe, als wäre es meine eigene Mutter.“ Wenn Halef aufgeregt war, neigte er dazu, zu reden und zu reden und zu reden …

      Haschims bislang ernstes Gesicht zeigte nun ein feines und verständnisvolles Lächeln. „Nur zu, Halef“, erlaubte er.

      Halef trat also an den Felsen heran und legte seine offene Hand auf die schwarze Wand. Er konzentrierte sich, ließ dabei aber die Augen mit Blick auf den Felsen offen. Und wieder begannen den dunklen Stein aufhellende Linien sich zu Wirbeln zu formen, die zuerst wechselnde geometrische Formen bildeten und sich dabei immer wieder wandelten. Sie strahlten von der Berührungsfläche von Halefs Hand aus und überzogen den gesamten Felsen, ohne dass man jedoch zunächst irgendein Muster erkennen konnte. Doch dann war es wieder, als risse plötzlich eine Nebelwand auf, und wir blickten auf eine Wüstenlandschaft, in deren Mitte ein Zeltdorf stand.

      Halef atmete hörbar tief ein und gleichzeitig schien das Bild auf uns zuzuspringen, wie wenn man bei einem Fernrohr mit raschem Griff die Entfernungseinstellung veränderte. Nun sahen wir ein uns sehr vertrautes Zelt, dessen weiße Leinwand einige Ornamente zeigte, die Hanneh angebracht hatte, um es zu kennzeichnen, um ihm einen besonderen Charakter zu geben. Bescheidene Ornamente natürlich, denn Halef war nicht der Scheik, dem ein besonderer Schmuck zustand, sondern ein ganz normales, wenn auch mittlerweile sehr geachtetes Stammesmitglied der Haddedihn.

       Doch das Zelt schien irgendwie schief zu stehen …

      Und jetzt erkannten wir auch, dass um den Eingangsbereich herum die Leinwand grob eingerissen war, es waren Einschusslöcher zu sehen und auch ein großer dunkelgrauer – Brandfleck.

      Plötzlich zeigte das Bild das Innere des Zelts – Halef hatte sich offenbar vorgestellt, das Zelt gedanklich zu betreten. Der Teppich, der den Zeltboden bildete, war aufgeworfen, zeigte ebenfalls Brandflecken und weitere kleinere dunkelbraune Flecken, die aussahen wie – Blut! Im Hintergrund auf einem Lager war Amscha zu sehen, regungslos daliegend, ihre helle Oberbekleidung zeigte ebenfalls dunkelbraune Flecken. Neben ihr saß eine uns unbekannte Frau, die sich offenbar um Amscha kümmerte, die schlief, bewusstlos war, krank …? Oder gar … Ich wollte nicht daran denken.

      Halef stöhnte.

      Warum war an Amschas Lager eine Fremde? Warum saß dort nicht Hanneh oder Djamila, um sich um die Mutter zu kümmern? Das Zeltinnere sah außerdem grob unordentlich aus, zwei kleine Tische waren zerschlagen, die anderen Lager zerwühlt, die Kissen aufgerissen und in einer Ecke achtlos aufgetürmt. Und: Warum war Amscha in Halefs Zelt und nicht in ihrem eigenen?

      Der Blickwinkel auf dem Felsen veränderte sich erneut. Wir schienen wieder vor Halefs Zelt zu stehen, doch jetzt in einigen Schritten Entfernung. Nun wurde sichtbar, dass Amschas Zelt, das sonst neben Halefs stand, komplett niedergerissen war, und auch einige Nachbarzelte waren zerstört. Der trockene Grasboden vor Halefs Zelt war derart aufgewühlt, dass wir den Eindruck bekamen, dort müsse ein Kampf stattgefunden haben.

      Jetzt stöhnte Halef nicht mehr, jetzt schrie er gequält auf!

      Wieder veränderte sich die Szene und das Bild blieb in Bewegung. Wir bekamen weitere Einblicke in das Lager: Die meisten Zelte waren niedergebrannt oder umgestoßen, offenbar hatte nicht bloß ein Kampf, sondern ein richtiger Überfall stattgefunden. Und bis auf ein paar wenige Frauen und zwei Kinder war niemand zu sehen. Vor allem Hanneh, Djamila und Kara waren nirgends zu erblicken, so sehr Halef auch seine Gedanken darauf konzentrierte, alle Winkel des Zeltdorfs abzusuchen.

      Halef nahm mit einem Ruck seine Hand von der Wand weg und das Schreckensbild erlosch sofort.

      „Sihdi“, sagte er nun mit kalter Stimme, und er sah mich mit den dunkelsten Augen an, die ich jemals gesehen hatte. „Wir müssen aufbrechen. Wir müssen erfahren, was mit meiner Familie geschehen ist.“ Und dann sank seine Stimme mehrere Tonlagen tiefer. „Und wir müssen die töten, die ihnen das angetan haben.“

       Alexander Röder

       Erstes Kapitel

       Durch die Wüste

      Die Meharis liefen schnell, sie flogen förmlich über den Sand. Wer je von Dromedaren oder allgemein von Kamelen als den Schiffen der Wüste gesprochen und sich nickend das sanfte Schaukeln auf Wellen oder Dünen vorgestellt hat – der hätte sich nun verwundert über jenen Anblick gezeigt, den unsere eilige Gruppe bot: Dies war keine Karawane von Reisenden, es war eine Kavalkade von Rächern. Selbst wenn wir den Tieren in regelmäßigen Abständen einen gemächlicheren Schritt vergönnten, so war auch dies kein erbaulicher Anblick, trotz der Schönheit der edlen Geschöpfe. Denn ihre Reiter hatten von Grimm und Sorge gefurchte Gesichter, und ihre Haltung war aufs Äußerste angespannt, Nacken und Schultern von der Bürde der Ungewissheit beladen.

      Wir sprachen kaum. Auch wagten wir es nur selten, einen Blick untereinander zu wechseln, aus Furcht vor dem, was wir im Antlitz des Freundes würden lesen können – oder davor, dass wir uns in ihm wiedererkannten.

      Ich habe in meinen Tagen nun oft genug den raschen Ritt nach Vergeltung vollführt, auf der Jagd nach Schurken, in Verfolgung von Bösewichten – doch damals wusste ich zumeist, wem ich da auf der Spur war und was dieser aus welchem Grund getan hatte. Hier strebte ich mit meinen Freunden dem Ungewissen entgegen, getrieben von einer vagen Vorausschau, die uns Haschims magischer Spiegelstein geschenkt hatte. Ein vergiftetes Geschenk, dessen Bitterkeit uns an den Seelen fraß.

      Unser Anblick musste furchteinflößend sein für die wenigen Menschen, die uns begegneten. Wir schlugen wenig bekannte Routen ein, um rasch und ungestört voranzukommen, aber die eine oder andere friedliche Karawane kreuzte doch unseren Weg, und denen mussten wir wie die vier Reiter der Apokalypse erscheinen – wenn denn die braven orientalischen Kaufleute je von diesen gehört hatten. Die weniger braven Reiter, die uns erblickten, weil jene abseitigen Wege auch von Verbrechern

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