Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

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Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder Karl Mays Magischer Orient

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gewesen wäre! Ein Ruf oder auch nur eine Bewegung des Wassers, damit ich hätte sicherer sein können. Es half nichts, ich musste in den Sumpf hinein, um Genaueres zu erkennen. Gedankenschnell wog ich die Möglichkeiten ab – sollte ich zum Lager zurück, um ein Seil zu greifen? Als Sicherheitsleine und Wegweiser? Doch wo hätte ich es befestigen sollen? Ringsum war alles baumlos, und es gab auch keine großen Felsen in der Nähe. Ich hätte meine Gefährten wecken können, doch ihnen die Situation zu schildern, wäre allzu langwierig und auch heikel gewesen. Halef würde mir zwar sogleich glauben, er wusste schließlich schon, was ich durch den Musaddas sehen konnte. Und Sir David hatte so einiges mit einem magischen Wegstein erlebt, der ihm und uns auf dem Balkan die geheimen Pfade sichtbar gemacht und somit geöffnet hatte. Doch Amscha würde mich und uns wohl für irrsinnig und wahnhaft halten. Ich konnte kaum erwarten, dass sie mir vertraute, wie meine langjährigen Freunde es taten.

      Und zudem zweifelte ich an dem Nutzen einer solchen Seilschaft, eben weil ich an dem zweifelte, was hier vor mir lag. War es ein Trugbild oder einer jener Übergänge in eine andere Welt, wie ich sie in den Bergen zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer erlebt hatte? Konnte ein schlichtes Seil mich bewahren vor Gefahr und Irrweg?

      Aber selbst wenn vor mir tatsächlich ein Teich aus Treibsand lauerte, würde ich diesem durchaus entrinnen können, denn die Gefahren, die solcherlei geologische Besonderheit bergen, werden oftmals übertrieben. In Treibsand, jenem Gemisch aus feinsten Steinkörnchen und Wasser, versinkt man niemals tiefer als bis zur Hüfte, was von einer physikalischen Gesetzmäßigkeit herrührt, die ich nicht weiter erläutern will. In einem Sumpf hingegen kann einem das trübe Wasser wahrhaftig bis zum Hals stehen – und gar über dem Scheitel zusammenschlagen. Meiner Kenntnis nach, die sich eben aus Erfahrung und nicht aus Hörensagen oder Lektüre speist, würde ich dieses Areal ohne größere Gefahr betreten können. Ringsum gab es zu wenig Wasser, als dass sich hier wirklich Sumpf oder Treibsand hätten bilden können. Obgleich, wenn es hier nicht mit irdischen Dingen zuging …

      Ich entschied rasch, denn Zeit war hier wichtig. Wollte ich Haschim retten, musste ich nun handeln, auch ohne Seil und Sicherungsmannschaft.

      Ich trat in den verborgenen Sumpf – doch zuvor rief ich laut nach meinen Gefährten, die wohl gerade mit der Tagesdämmerung erwachten, je nach Bedürfnis und Anliegen, seien es Breakfast Tea oder Morgengebet.

      „Halef!“, rief ich laut. „Sir David! Amscha! Rasch! Ein Seil!“

      Das sollte genügen.

      Bis dahin war ich auf mich allein gestellt. Ich musste meinem Können und meiner Erfahrung vertrauen. Vor allem aber trieb mich die Sorge um Haschim an. Und ich fühlte, dass er sich an diesem Ort befand, meine Hilfe brauchte, und dass in diesen Augenblicken nur ich es war, der ihm helfen konnte.

      Ich setzte meinen Fuß auf eine der salzschimmernden Grassoden. Sachte gaben die Halme nach, ich fühlte das Knistern der silbrigen Kruste mehr, als dass ich sie hörte. Dann spürte ich Widerstand unter der Sohle – der Erdbuckel war fest genug, um mir Halt zu geben. Ich balancierte und vollzog den nächsten Schritt, der mich wiederum zu sicherem Stand führte. Einige dicht verflochtene Wurzeln waren ebenso als Tritt geeignet, wie ich rasch feststellte, und so kam ich gut voran, tiefer in den Salzsumpf, der vielleicht gar keiner war oder aber sich nicht an diesem Ort befand.

      Meinen nächsten Schritt musste ich ausgreifender setzen, mit ein wenig Schwung. Um das Gleichgewicht zu halten, streckte ich beide Arme aus, dann schwang ich sie herum und griff nach einem hoch aufragenden Ast.

      Wie konnte ich diesen Mangrovenauswuchs denn sehen, fragen sich nun meine Leser, die sich erinnern, dass ich mit einer Hand den Musaddas vor das Auge halten musste?

      Nun, ich hatte Vorsorge getroffen, dass ich bei meinem Weg in den Sumpf beide Hände zur freien Verfügung hatte. Vor meinem ersten Schritt in das Brackwassergelände hatte ich eine Lederschnur aus meiner Kleidung gezogen und mit dieser den Musaddas vor meinem Auge befestigt. Ich war froh, diesen vor langer Zeit von der Kette befreit zu haben, an der sein erster Besitzer, Abu Zanad, einer der Banditen Al-Kadirs, den Sechseckring um den Hals getragen hatte. Seitdem ruhte der Ring in meiner Westentasche, jedoch ohne störendes Anhängsel. Bei Bedarf, wie in diesem Moment, war es mir ja rasch möglich, für alles Nötige zu sorgen. Ich bin nun wahrlich nicht eitel, aber man verzeihe mir, dass ich nicht zuvor mit großen Worten meine Idee und deren Ausführung geschildert habe, wie ich das Problem der magischen Sicht auf den verzauberten Sumpf löste – denn ich fand, dass ich mit jener Vorrichtung vor dem Auge doch gar zu seltsam ausschaute, wie die karikierte Schimäre aus einem karibischen Freibeuter und einem preußischen Kommerzienrat. Beides liegt mir gleichermaßen fern.

      Doch es nutzte mir wohl, durch den Musaddas schauen und dennoch beide Hände verwenden zu können, denn ich kam gut voran, unter aller gebotenen Vorsicht, und war bald an dem Punkt angelangt, den ich vom Ufer aus, wie ich es einmal nennen mag, erkannt hatte. Hier saßen die Mangroven etwas dichter, die Flecken aus Gras waren spärlicher gesät, und so musste ich kurz über einen Verhau aus Wurzeln steigen, bis ich mein Ziel erreichte. Meine Kleidung war mittlerweile vom Dunst durchfeuchtet und helle Spuren von Salz zogen sich darüber. Meine Hände brannten ein wenig, doch erkannte ich den Nutzen, weil die Salzkristalle mir tatsächlich einen guten Griff an den glitschigen Mangroven ermöglichten.

      Dann trat ich auf eine winzige Grasinsel zwischen den Wurzeln und sah vor mir eine Wasserfläche von der Größe eines kleinen Weihers, eher eines Tümpels. Ich hätte diese mit einem Dutzend Schritten durchmessen können, wäre es fester Grund gewesen. Doch ich erkannte, dass sich keine Wurzeln und kein Erdreich unter der Oberfläche befanden, die still und unbewegt den grauen Himmel darüber widerspiegelte. Wenn es denn der Himmel war.

      Wasser, Brackwasser war es jedoch allemal, denn dessen schwachen Geruch konnte ich wohl wahrnehmen. Dumpf und still war es noch immer. Ich konnte somit auch nicht vernehmen, ob meine Gefährten sich bereits hinter mir versammelt hatten. Ihre Rufe wären wohl auch verwundert gewesen, weil ich nicht auf sie reagierte und stattdessen unbeirrt über staubigen Grund schwankte – ohne einen für sie erkennbaren Grund.

      Für einen Herzschlag kam mir der Gedanke, dass ich für sie unsichtbar wäre, so wie der Sumpf und auch Haschim. Hätte ich ihn nicht am Boden liegen sehen müssen?

      Nein, diese Überlegung ging fehl, weil sie zu logisch war. Ich hatte gespürt, dass Haschim in der Nähe sein musste. Ob tatsächlich oder auf einer anderen Ebene der Welt oder des Bewusstseins. Ich musste kein Magier oder Metaphysiker sein, um dies zu erkennen, denn dafür hatte ich in jenen Bereichen über die vergangenen beiden Jahre genug erlebt.

      Ein Dunstschleier wehte über den Tümpel, obgleich ich keinen Wind verspürte.

      Und dann zerfaserte dieser Nebelvorhang und enthüllte mir – das Schreckliche!

      Ich sah Haschim auf dem Wasserspiegel knien, den Rücken mir zugewandt und den Blick erhoben. Er schaute zu einem kopfgroßen Gebilde, das vor ihm schwebte, etwa auf der Höhe des Scheitels eines großgewachsenen Mannes. Nein, das Gebilde schwebte nicht, es steckte auf der Spitze eines dürren, verästelten Mangrovenstamms, der schwarz glänzte und nackt war, wie ein junger, noch schwacher Baum im späten Herbst, furchtsam den harten Winter erwartend, einsam an verlassener Landstraße, umgeben von brachen Feldern.

      Das Gebilde aber war tatsächlich ein Kopf, und es war der eines gewaltigen Vogels, von Menschengröße wohl, und doch fehlte ihm alles markant vogelhafte, denn dort, wo ein Schnabel hätte sein müssen, klaffte nur ein rötliches Mundloch. Ringsum lagen die blässlich grauen Federn an, feucht und glatt, und darüber glänzten die schwarzen Augen, faustgroß und von entsetzlich leerem Blick. Aus dem Schlund bleckte eine spitze Zunge – und dieses scheußliche Etwas begann schnarrend in einer Sprache zu reden, die ich nie zuvor gehört hatte – und die nicht von dieser Welt sein durfte, so misstönend und grauenerregend

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