Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

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Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder Karl Mays Magischer Orient

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schon längere Zeit zu Haschim gesprochen hatte oder ich jetzt erst, da ich in den Bannkreis des Weihers getreten war, die furchtbaren Laute vernehmen konnte.

      Doch ich durfte mich nicht bannen lassen von diesem schrecklichen Anblick und dem, was mir gleichermaßen Ohren und Seele marterte. Ich musste Haschim helfen, gleich, in welcher Gefahr er dort schweben mochte. Und dieser Gedanke war auch sogleich mein erstes Bedenken: Konnte ich meinen Augen trauen, bei dem, was ich da sah? Damit meine ich nicht den grotesken belebten Schädel auf dem Mangrovenstamm, sondern Haschim selbst. Dieser schien tatsächlich auf der blanken Oberfläche des Wassers zu knien, ohne um das Geringste einzusinken, wie es doch zwingend gewesen wäre, wenn sich unter der Oberfläche kein Grasflecken oder Wurzelgeflecht befunden hätte. Immerhin konnte ich erkennen, dass der Saum von Haschims Gewändern nass war – es sich also um keine Täuschung zu handeln schien, was die Beschaffenheit des Untergrunds betraf.

      Oder doch? Einerlei! Ich musste Haschim aus dieser Lage retten, es konnte nicht anders sein, als dass er befreit werden musste. An einem solchen Ort, in solcher Gegenwart konnte er sich nicht freiwillig befinden!

      Was sollte ich tun? Trotz meiner Einschätzung waren mir Gelände und Gegner unbekannt – ich sollte wohl besser nicht einfach heranstürmen und Haschim mit mir reißen.

      Ich bemerkte ein wenig verwundert, dass ich, noch vor meinem eigentlichen Entschluss, bereits instinktiv etliche Schritte seitwärts gemacht hatte, über das Wurzeldickicht, welches den Weiher umringte. Doch das war genau die richtige Handlungsweise. Rasch, aber mit Bedacht umrundete ich den Weiher. Ich fand sicheren Tritt und Halt, und die Tonlosigkeit dieses Ortes mochte mir helfen, unbemerkt bis hinter das seltsame belebte Totem mit dem Schädel zu gelangen. Dass ich den blanken schwarzen Augen entgangen war, wollte ich glauben, eine Erklärung dafür hatte ich nicht. Das schnabellose Vogelhaupt war wohl zu sehr davon eingenommen, auf Haschim einzusprechen – oder ihn oder etwas zu beschwören – was wusste ich schon über dergleichen Dinge. Sie bekümmerten mich auch nicht, ich war froh, in diesen Momenten wieder auf meine bekannten Erfahrungen zurückgreifen zu können: das Anschleichen an den Feind und die Rettung eines Gefährten.

      Ich stand nun hinter dem Pfahlstamm, sah nur den Federschädel, ohne das schrecklich missgestaltete Antlitz. Dafür konnte ich Haschim ins Gesicht blicken, der den Kopf erhoben und seine Augen auf das gerichtet hatte, was da zu ihm sprach.

      Haschims Augen waren furchterregend – nicht leer und starr wie die eines Mannes unter Drogen oder in Trance, sondern unstet und irr, mit flatternden Lidern und blank und weiß, weil die Pupillen samt der Iris wechselnd nach oben, unten oder zu den Seiten verschwanden. Erschreckenderweise war sein Gesicht jedoch unbewegt, kein Muskel war verzerrt, der Mund weder verzogen noch geöffnet, wenngleich ich fast erwartet hätte, die Zähne gebleckt und die Lippen schaumbedeckt zu sehen wie bei einem Tollwütigen.

      Was auch immer mit Haschim geschah, ich musste ihn aus diesem Bann befreien!

      Mir blieb wohl nur eine Möglichkeit: ein direkter Angriff auf den unbekannten Gegner. Und dies mit bloßen Händen, denn ich hatte keine Waffen bei mir.

      Ich sprang vor, stieß mich von den glitschigen Mangrovenwurzeln ab, so gut ich es vermochte, und setzte mit Macht über die Wasserfläche hinweg, die mich von Haschim und dem Vogeltotem trennte. Für einen Herzschlag dachte ich, dass mir dieser Sprung kaum gelungen wäre, wenn ich den Revolver und das schwere Messer am Gürtel getragen oder gar in den Händen gehalten hätte. So aber flog ich gleichsam voran, als würde ich neben der Kraft meiner Beine auch von meinem Willen getragen – die Zeit schien sich zu dehnen, und ich glaubte fast, mich nicht im Sprung, sondern tatsächlich im Flug zu befinden – als ich auch schon den Aufprall spürte, genau wie geplant!

      Mit der einen Schulter stieß ich hart gegen den Mangrovenstamm mit dem Schädel darauf. Ich spürte die Erschütterung und wie sich die Wurzeln aus dem Grund lösten. Der Stamm schwankte, dass die Zweige durch die Luft peitschten und nach mir zu greifen schienen. Doch dann war ich bereits vorüber, hatte den Stamm passiert, was mir mit einer leichten Drehung des Körpers gelang – um mein zweites Ziel zu erreichen: Haschim aus dem Bann zu reißen, nachdem ich bereits den schnabellosen Kopf beiseitegestoßen hatte. Doppelt hält besser, schoss es mir durch den Sinn, und mein eigenes Lachen hallte stumm nach.

      Als ich Haschim bei den Schultern ergriff, war mein Schwung aufgebraucht, doch in meinem Sturz konnte ich ihn zur Seite reißen. Wir prallten auf die Oberfläche des Weihers, und ich hätte schwören mögen, dass das Wasser mir für einen Wimpernschlag einen ungekannten Widerstand entgegenbrachte – bis wir eintauchten und die brackige Nässe aufspritzte.

      Schon wollte ich mit heftigen Bewegungen der Arme und Beine ein Absinken verhindern – und zudem nach Haschim greifen, falls er denn besinnungslos wäre und zu ertrinken drohte –, doch das Wasser war seicht. Unter mir spürte ich abgesunkene Grassoden und Wurzelgeflecht, die sicher mein Gewicht und das Haschims hielten – jetzt begriff ich, dass ich dies bereits vorher unbewusst erkannt hatte und dass diese Zuversicht mich den gefährlichen Sprung ins Ungewisse hatte wagen lassen.

      Ich griff dennoch nach Haschim und hob seinen Kopf an, damit er kein Wasser einatmete, als ich sah, wie er mich anblickte – mit jenen klaren Augen, die ich kannte. Er schien nicht wie aus einem Traum oder einer Trance erwacht, sondern blickte hellwach, wenngleich fragend. Wusste er nicht, was geschehen war?

      Neben mir schlug der Mangrovenstamm ins Wasser und zwang mich, den Blick von Haschim zu wenden und mich gleichzeitig halb aufzurichten. Ich wollte nicht, dass der scheußliche Schädel uns nach seinem Sturz ins Wasser zu nahe kam. Ich sah mich um, erblickte das Gebilde aber nicht – es mochte versunken sein. Einerlei, es galt, diesen unheilvollen Ort zu verlassen. Ich erhob mich weiter, reichte dem noch immer verwirrt erscheinenden Haschim die Hand, als ich bemerkte, wie sich sein Blick abwandte und er an mir vorüber zum Himmel schaute. Ich wandte den Kopf und sah mit Entsetzen, warum ich den schnabellosen Schädel nirgends im Wasser gesehen hatte: Er schwebte ohne jeden Halt des Mangrovenstamms in der leeren Luft und starrte uns an – starrte mich an!

      Der schnabellose Mund öffnete sich, das widerlich schimmernde rote Loch im Federschädel gab die spitze Zunge des Schlunds frei, und die ersten fremden Worte rollten schnarrend aus der Kehle, die nicht vorhanden war!

      Und zu meinem nie gekannten Grauen konnte ich die Worte verstehen.

      Der Schädel sprach zu mir und …

      Eine Hand packte meine Schulter in hartem Griff und der Schmerz ließ die Stimme verstummen. Feste Finger zerrten mein Kinn zur Seite, zogen meinen Blick aus dem Bann der Vogelaugen. Stattdessen sah ich Haschim, aus dessen Augen Furcht sprach, aber auch Verstehen. Er war wieder ganz bei Sinnen und ich spürte ebenfalls, wie der Bann von mir abfiel und in meinem gesamten Leib ein stechendes Frösteln hinterließ.

      Doch es war nicht allein ein inneres Gefühl. Mit einem Mal wurde auch die Luft um mich herum kühler, ebenso wie das Wasser um meine Stiefel. Die durchnässte Kleidung klebte klamm an mir. Es wehte kein Wind, die Mangrovenzweige bewegten sich nicht, und auch am grauen Himmel war keine Bewegung zu erkennen. Dennoch veränderte sich etwas.

      Ein Wetterleuchten zuckte über den Himmel und der Widerschein glänzte weiß auf den schwarznassen Mangroven. Auf dem Wasser gleißte es grell und ich war dankbar und erleichtert, dass ich den scheußlichen Schädel in diesem Licht nicht schauen musste. Ich hatte meinen Blick auf Haschim gerichtet – in nahezu verzweifelter Frage.

      Bevor Haschim antworten konnte – wenn er denn überhaupt eine Antwort wusste –, geschahen zwei unerwartete Dinge unmittelbar hintereinander. Ich hörte ein Surren über mir und dann einen dumpfen Aufprall. In meinem Kopf war ein schriller Laut, der hinter meiner Stirn entsprang und nicht zuvor durch meine Ohren gedrungen war. Am Zusammenzucken Haschims neben mir spürte ich, dass er wohl dasselbe vernommen hatte.

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