Das Geheimnis der Madame Yin. Nathan Winters

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Das Geheimnis der Madame Yin - Nathan Winters

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tot“, murmelte Dyers.

      „Ich denke ich weiß, warum die Mutter Ihnen die Fotografie gegeben hat.“

      „Tatsächlich, Sir?“

      „Sie hat Ihren Blick gesehen. Ihr Mitgefühl gespürt. Kippwell hat das nicht, hat er nie gehabt. Die arme Frau gab Ihnen das Kostbarste, was sie noch von ihrer Tochter hatte. Eine Erinnerung.“

      „Wenn Sie das so sehen, Sir.“

      „Ich muss jetzt gehen“, sagte Edwards abrupt. „Sie hören von mir, Sergeant.“

      Eine Viertelstunde später hatte Edwards eine Droschke gefunden und befand sich auf dem Rückweg nach Scotland Yard. Sein abwesender Blick ruhte auf der träge dahinfließenden Themse, als die Kutsche Vauxhall Bridge überquerte. Vereinzelte Dampfboote stampften durch die Fluten. Der Nieselregen war in Regen übergegangen und die Fassaden der Häuser spiegelten sich in den Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster.

      Während der Fahrt hatte er Estelle Wiggins' Bild in die Hand genommen und betrachtete es. „Ich finde diesen Wahnsinnigen“, sagte er leise zu sich selbst.

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       London Paddington Station Acht Uhr abends

      Celeste glaubte, nur kurz die Augen geschlossen zu haben, als sie jemand an der Schulter berührte und sanft weckte. Sie blinzelte verschlafen und konnte spüren, wie der Zug seine Fahrt verlangsamte. Bremsen quietschten, begleitet vom Pfeifen der Lokomotive. Schwarzer Kohlenrauch wirbelte am Fenster vorbei und Dampf umwallte die Wartenden am Bahnsteig.

      Auf den Bahnsteigen brannten Laternen. Die Uhr über einem der Wartesäle schlug acht Mal zur Abendstunde.

      „Habe … habe ich lange geschlafen?“, fragte Celeste verwirrt.

      „Ja, die gesamte Fahrt über.“ Dorothea beugte sich vor.

      „Sechs Stunden? Es kommt mir wie sechs Minuten vor.“

      Dorothea versuchte zu lächeln. „In nicht einmal einer halben Stunde bin ich zu Hause.“

      Kurz darauf verließ sie in einer Kutsche Paddington Station. Sie fuhren am Hyde Park entlang in Richtung Park Lane.

      Die Luft war mild und roch auch ein wenig fruchtig dank der Obsthändler, die mit ihren Karren und Bauchläden voller Äpfel und Birnen durch die Straßen zogen. Elegante Stadthäuser mit säulengeschmückten Fassaden und hohen Fenstern reihten sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite dicht an dicht aneinander. In den Vorgärten wuchsen sorgsam gestutzte Hecken und Büsche, der Rasen war so grün und gepflegt, dass es darin für Unkraut keinen Platz geben konnte. Celeste erschien das alles so sauber und geordnet, dass sie sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, auf eine übergroße Theaterbühne zu schauen.

      Sie bogen in die Park Lane ein. Dorothea holte tief Luft und Celeste nahm ihre Hand. Sie war eiskalt. „Es gibt keinen Grund aufgeregt zu sein. Du wirst schon sehen.“

      Dorothea nickte, auch wenn sie vielleicht lieber den Kopf geschüttelt hätte.

      „Ich habe Angst“, flüsterte das Mädchen mit gesenktem Blick.

      „Vor deinen Eltern?“

      „Nein, nicht vor ihnen.“

      Celeste wollte fragen: Vor wem dann, aber dazu kam sie nicht, denn die Kutsche hielt vor einem dreistöckigen Haus mit weißer Fassade. Zwei Statuen mit finsteren Gesichtern trugen einen halbrunden Balkon auf ihren Schultern. Die Haustür öffnete sich. Zwei Hausdiener mit Laternen traten ins Freie und beleuchteten die Treppe hinauf zum Eingang.

      Ihnen folgte ein Mann im schwarzen Anzug. Wie die bedrohliche Gestalt aus einer Gruselgeschichte tauchte er aus dem Dunkel des Hauses auf und trat ins Licht der Laternen.

      Seine Hände hielt er hinter dem Rücken verschränkt. In seinem Mienenspiel war es unmöglich, ein Gefühl der Freude oder überhaupt eine Regung zu erkennen. Celeste brauchte keine Hellseherin zu sein, um zu wissen, dass sie Lord Ellingsford vor sich hatte.

      Sein unterkühltes Verhalten war ganz anders als das der Frau, die in einem Rollstuhl sitzend neben ihn geschoben wurde. Ihr Gesicht wirkte verhärmt und ausgezehrt. Die Augen lagen tief in den Höhlen, doch trotz ihrer offensichtlich schlechten körperlichen Verfassung, lachte sie vor Freude und weinte vor Rührung. „Dorothea!“, rief sie herzlich und streckte ihr die Arme entgegen. Dorothea lief die Treppe hinauf, auch sie weinte und lachte. Vor ihrem Vater, Lord Ellingsford, hielt sie kurz inne und knickste vor ihm. „Willkommen zu Hause, mein Kind“, sagte er und tätschelte ihr den Kopf, als würde er einen Hund loben.

      Dann umarmten sich Mutter und Tochter. Lord Ellingsford wandte sich derweil Celeste zu und warf ihr einen Blick zu, der ihr deutlich machte, dass sie hier nicht willkommen war. Celeste konnte seine Ablehnung fast körperlich spüren.

      „Miss Summersteen, nehme ich an?“

      „Ja, die bin ich“, sagte sie höflich.

      „Sie sind Amerikanerin?“

      „Ja, aus New York.“

      „Nun denn.“ Ellingsford vermied es, ein abfälliges Wort über ihre Herkunft zu verlieren, doch die Abneigung, die er gegen die Bewohner der ehemals englischen Kolonie hegte, war ihm deutlich anzusehen. Er blickte Frau und Tochter nach, die in einem der Salons verschwanden. „Sie werden sich einiges zu erzählen haben. Ich denke, das gibt uns Gelegenheit uns zu unterhalten. Wenn Sie mir folgen wollen.“

      Ellingsford ging voran und geleitete Celeste durch die große Eingangshalle in ein Zimmer, das in einen Wintergarten überging. Allerlei tropische Pflanzen wuchsen dort. Zwei Petroleumlampen, die von goldenen Nixen gehalten wurden, spendeten ein wenig Licht. In einer Ecke plätscherte leise ein kleiner Brunnen.

      Mit einer Handbewegung deutete Ellingsford auf einen der Korbstühle, die um einen Marmortisch herum gruppiert waren. „Bitte. Nehmen Sie Platz.“ Er selber setzte sich ihr mit übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen gegenüber.

      Celeste öffnete ihre Handtasche und nahm die zwei Briefe heraus, die sie von Mrs. Roover erhalten hatte. „Ihre Schwester bat mich, Ihnen die hier zu geben.“

      Er nahm sie mit starrer Miene entgegen, warf einen kurzen Blick darauf und steckte sie dann ein. „Ich werde sie später lesen“, sagte er und presste einen Schwall Luft durch die Lippen. „Wie kann sich meine Schwester anmaßen, eine Detektei einzuschalten, ohne mich vorher um Erlaubnis zu bitten?“

      Celeste überhörte den angriffslustigen Ton und blieb freundlich. „Ihre Schwester ist nur um Dorotheas Wohl besorgt. Sie war der Meinung, eine Freundin würde ihr die Heimreise erleichtern.“

      „Meine Tochter ist erwachsen. Sie braucht kein Kindermädchen mehr.“

      „Vielleicht doch. Ich weiß, weswegen sie in Chicago war.“

      Ellingsford erbleichte, dann zuckte ein Muskel an seinem Kiefer. „Das ist ungeheuerlich. Meine Schwester ist eine Klatschbase. Ich hatte ihr ausdrücklich verboten über dieses … dieses heikle Thema zu sprechen.“

      „Sie

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