Das Geheimnis der Madame Yin. Nathan Winters
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„Schon gut, schon gut“, schlichtete Edwards. „Was passierte dann?“
„Die Schiffsschraube hing fest. Da ham wa 'se dann geseh'n. Tot wie meine alte Mutta. Wir ham 'se dann rausgefischt.“
„Und das Bein?“
„Hat sich wohl der Fluss geholt. Der Fluss holt sich imma sein' Anteil.“
„Wo haben sie die Tote gefunden?“
Dorsey drehte sich, um den Fluss hinauf zu zeigen. „War'n nich' weit weg, vom Parle … Perliamee …“
„House of Parliament?“, fragte DeFries.
„Ja, genau. Da schwamm sie einfach so rum. Fast inner Midde. Da zerrt die Strömung an dir, wie ne Nutte im Salt'n'Fish.“
Edwards verkniff sich ein Grinsen, während DeFries den Waterman mit strengem Blick maßregelte.
„Du bis' doch verheiratet, Dors“, flüsterte Potts.
„Halt die Schnauze“, raunzte Dorsey seinem Partner zu.
„Ich werde Ihrer Frau nichts sagen“, versprach Edwards. „Hatte sie etwas bei sich?“
„Ja, hab' ich doch schon erzählt. Das hier.“ Dorsey gab ihm das gelbe Stück Stoff mit der Haarlocke. DeFries nickte. „Wie bei Estelle Wiggins.“
„Das hat 'se zwisch'n den Zähnen gehabt“, erklärte Dorsey.
„Noch was?“
„Nein, nix.“ Die Antwort kam Edwards zu schnell. „Gentlemen, Sie wollen doch keinen Ärger mit uns, oder?“
Widerwillig griff Dorsey ein weiteres Mal in seine vor Schmutz starrende Jacke und hielt einen Haarkamm aus Schildpatt in der schwieligen Hand, der in der Mitte durchgebrochen war.
„Wo ist die andere Hälfte?“
„War nich' da.“
Edwards hob eine Augenbraue.
„Nein, ehrlich. Die hadde nich' mal Schmuck. Das da war alles. Hätt's fast überseh'n.“
„Na schön.“
Edwards betrachtete den Kamm. Er hatte die Form eines Schmetterlings, der in den Farben des Regenbogens schimmerte. Ein paar chinesische Schriftzeichen aus irgendeinem weißen Material waren in den Kamm eingelegt. Dem Schmetterling war ein Flügel abgebrochen. Ein paar Zacken fehlten. Er steckte ihn ein und widmete sich dann der Haarlocke und dem Stück Stoff. „Die Haarsträhne ist ordentlich verknotet. Sehr weicher Stoff. Rosenmuster.“
War das vielleicht Seide? Er konnte nur raten. Er hatte noch nie Seide in der Hand gehalten. Dann hielt er es sich an die Nase und atmete tief ein. Es stank fürchterlich nach Themsewasser, der Kloake Londons, und er roch den fauligen Gestank des Todes, der jeder Leiche anhaftete. Hinzu kamen die Ausdünstungen eines ungewaschenen Körpers und einer noch seltener gewaschenen Hose. Aber da war noch etwas anders? Ein Hauch Jasmin.
„So wie das hier verschnürt ist, hat sich der Mörder große Mühe gegeben. Die Schleife um die Haarlocke ist perfekt gebunden. Das hat er geplant. Sicher hat er seine Opfer vorher beobachtet.“
Edwards offen ausgesprochener Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als Aeglewood von einem heftigen Niesanfall heimgesucht wurde.
„Entschuldigung. Jedes Jahr das Gleiche“, schniefte er, „dieser verdammte Herbst bringt mich eines Tages noch um.“
Edwards grinste. „Du klingst furchtbar, Noah. Vielleicht solltest du mal zu einem richtigen Arzt gehen.“
„Ich bin ein richtiger Arzt“, erwiderte Aeglewood verschnupft. „Ich kann auch den Coroner kommen lassen, wenn dir der lieber ist.“
„Nein, nein“, beschwichtigte Edwards. „Der sagt uns nur, dass sie tot ist, und das kann ich selbst sehen.“
Aeglewood schnäuzte sich ein weiteres Mal und zupfte am Revers seines Jacketts, ehe er sich neben dem Kopf der Toten niederkniete.
„Gentlemen. Sie ist erwürgt worden. Hier, diese Male auf dem Kehlkopf sind eindeutig. Dafür kommt nur ein dünner Strick in Frage. Er hat vermutlich ein dünnes Holz benutzt, das er in ihrem Nacken in eine Schlaufe gesteckt hat, um den Strick dann langsam enger zu drehen. Durch den Hebel braucht man nicht viel Kraft. Irgendwann hat es ihr den Kehlkopf zerquetscht.
„Starb sie schnell?“, wollte Edwards wissen.
„Das lässt sich schwer sagen. Ich weiß nur, dass sie sich sehr gewehrt hat. Sehen Sie hier. Die Quetschungen am Handgelenk, die Schnitte und Blutergüsse. Das kommt von eisernen Handschellen. Offensichtlich sehr scharfkantig. Außerdem wurde ihr die Nase gebrochen. Vermutlich durch einen einzigen Schlag ins Gesicht. Ich werde sie mir aber noch genauer ansehen. Vielleicht finde ich noch etwas anderes, was für Sie von Interesse sein könnte.“
DeFries blieb sachlich. „Wir wären schon einen Schritt weiter, wenn wir wüssten, wer die Frau ist.“
„Das ist Madame Yin“, erklärte Edwards, ohne den Blick von der Toten zu nehmen.
„Als ich bei der H-Division anfing, arbeitete sie noch als einfache Straßendirne. Es gab damals ziemlich oft Ärger mit Freiern, die handgreiflich wurden, dabei sind wir uns ein paar Mal begegnet. Dann hat sie sich hochgearbeitet. Ein paar Jahre später führte sie bereits ein Bordell in Lambeth. Als ich dann zu Kippwell kam, habe ich sie aus den Augen verloren … aber ich habe noch gelegentlich von ihr gehört. Es schien gut für sie zu laufen.“
„Eine junge Frau aus gutem Hause und eine Bordellbesitzerin. Beide auf die gleiche Weise getötet. Wie passt das zusammen?“, hörte er DeFries fragen.
„Um das zu beantworten, müsste ich mehr über das erste Opfer wissen.“ Edwards hatte vom ersten Mord nur am Rande erfahren.
„Ich habe Kippwell befohlen, Ihnen alles zu diesem Fall zukommen zu lassen.“
„Hmm“, machte Edwards bloß, während er noch einmal zur Leiche sah, die inzwischen von zwei Helfern von Deck getragen wurde. Ein weißes Leinentuch lag über ihr.
Doktor Aeglewood tippte sich an den Rand seines Hutes. „Gentlemen. Wenn es Neuigkeiten gibt, lasse ich es Sie wissen.“
„Ich denke, wir sind hier fertig“, sagte DeFries. „Wir kommen mit Ihnen.“
Einer der Watermen räusperte sich und klang dabei wie eine Katze, die ein Fellknäuel hochwürgte.
„T'schuldig'n Sie die Störung, Sörs, aber ich hätt' da mal 'ne Frage.“
„Ja, guter Mann?“, sagte DeFries.
„Sör, ahem. Wir hab'n jetzt ziemlich lang gewartet und konnten nich' arbeiten. Gibt's vielleicht so was wie 'n … Finderlohn? Versteh'n Se? Wir woll'n nich' gierig sein, aber wir kommen sons' nich' rum.“
„Ich verstehe schon. Aber nein, wir zahlen Zeugen nichts, wenn sie uns zu einem Tatort rufen. Tut mir leid.“
„Und