Das Geheimnis der Madame Yin. Nathan Winters
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„Aber ich könnte den Falschen erwischen.“
„Das werden Sie nicht. Ich weiß von Ihrer Vergangenheit, Celeste. Sie werden es richtig machen. Ich vertraue Ihnen.“
„Aber der Krieg ist längst vorbei. Das waren andere Zeiten. Ich bin keine Mörderin“
„Ich weiß, ich verlange viel von Ihnen und ich möchte, dass Sie mich verstehen. Es geht mir alleine um Dorotheas Wohl. Sie wird Albträume bekommen, sobald sie vom Tod ihrer Freundin erfährt, sie wird trauern und Angst haben. Und ich will nicht, dass sie Angst hat.“
„Aber … was ist mit der Londoner Polizei, die ermittelt doch, oder?“
„Sicher tut sie das. Und wenn sie den Mörder finden sollte, wäre ich beruhigt. Aber ich glaube nicht daran. Ein Monat ist schon vergangen und sie haben den Kerl noch immer nicht fassen können. Ich fürchte, die würden nicht einmal eine Fliege fangen, selbst wenn sie ihnen auf der Nase säße.“
Das Nebelhorn ertönte ein zweites Mal.
Mrs. Roover drängte auf eine Antwort. „Nun?“
„Sie verlangen sehr viel von mir.“
„Das ist mir bewusst.“
„Bitte alle an Bord! Letzter Aufruf! M. S. Cumberland! New York – Southampton“, dröhnte es aus einer Flüstertüte vom Schiff herüber.
Celeste sah ihre Auftraggeberin streng an. „Ich werde den Mann finden und bestrafen, das verspreche ich Ihnen, aber ich werde nicht sein Henker sein.“
Mrs. Roovers Miene blieb unbewegt. „Sie haben Moral, Celeste. Das ist selten in dieser Welt. Ich verstehe Ihre Entscheidung und akzeptiere sie. Ich weiß, Sie werden das Richtige tun.“
Sie deutete auf den Umschlag mit den Informationen. „Darin finden Sie eine Vollmacht für die Bank von England. Ich habe Ihnen dort ein Konto einrichten lassen, über das Sie frei verfügen können. Nutzen Sie das Geld, um dieses Schwein zu finden.“
„Ja, Madam, das werde ich.“
„Sie werden mich selbstverständlich auf dem Laufenden halten.“
„Natürlich. Auf Wiedersehen.“
Celeste gehörte zu den letzten Passagieren, die an Bord gingen. Kurz darauf wurden die Taue gelöst und die Cumberland machte sich auf ihren langen Weg über den Atlantik.
Eine Stunde später war alles, was von New York blieb, nur noch ein blasser Streifen am Horizont.
Celeste und Dorothea bewohnten zwei nebeneinanderliegende Kabinen in der ersten Klasse, die durch eine Schiebetür getrennt waren. Sie war nicht verschlossen, sodass Celeste immer nach dem Rechten sehen konnte.
Inzwischen war es Abend geworden. Beide hatten das Abendessen ausfallen lassen und Dorothea hatte sich schon bald darauf zur Nacht zurückgezogen.
Es dauerte nicht lange und Celeste konnte hören, wie das Mädchen leise im Schlaf stöhnte. Besorgt betrat sie auf nackten Füßen die Kabine. Das Licht einer kleinen Gaslampe warf zuckende Schatten durch den Raum.
Dorothea lag ausgestreckt in ihrem Bett, das Kissen mit beiden Armen fest umschlungen. Ihre goldenen Locken schimmerten auf den blütenreinen Laken und ihre sanft geschwungenen Lippen zuckten, als spräche sie im Schlaf. Sie träumte. So lebhaft, dass sie die Bettdecke ans Fußende gestrampelt hatte.
Celeste deckte sie wieder zu, strich ihr beruhigend über die kühle Stirn und kehrte dann wieder in ihre Kabine zurück.
Der Umschlag mit Mrs. Roovers Informationen wartete auf sie. Er lag auf dem Sekretär, vor dem sie Platz nahm. Ihre Augen brannten, sie war müde, aber noch nicht müde genug, um sich schlafen zu legen. Also öffnete sie den Umschlag und begann zu lesen, was Mrs. Roover gesammelt hatte.
Estelle Wiggins. Sechzehn Jahre alt.
Es gab keine Fotografie, nur eine grobe Beschreibung.
Blondes Haar, blaugraue Augen. Ein Meter siebenundfünfzig. Erwürgt. Seil oder Tuch. Gefunden am 29. Juli. Themse. Battersea Park.
Aus einem Zeitungsartikel erfuhr Celeste, dass ihre Eltern sie in ihrem Zimmer gewähnt hatten. Aber irgendwann in der Nacht musste sie sich hinausgeschlichen haben. Es gab keine Spuren eines Einbruchs, nichts, was auf eine Entführung hingedeutet hätte.
Wohin Estelle gegangen war oder ob sie jemanden hatte treffen wollen, verriet der Text nicht.
Die Notizen füllten nicht einmal eine Seite und Celeste fragte sich, wo sie ansetzen sollte. Mit Dorothea konnte sie nicht sprechen, wenn nicht einmal ihre Tante den Mut aufgebracht hatte, ihr von Estelles Tod zu erzählen. Hinter ihr hörte sie ein Geräusch, das sie zwang, sich hastig umzudrehen.
Fast hatte sie das Mädchen erwartet, wie es ihr über die Schulter sah. Aber sie war allein. Vielleicht war nur jemand an ihrer Kabinentür vorbei gegangen. Dennoch, sie wollte kein Risiko eingehen. Sie schob die Papiere hastig in den Umschlag zurück und versteckte ihn zusammen mit den anderen beiden Kuverts im doppelten Boden ihrer Reisetruhe.
Sie stand auf und ging zum Waschtisch. Um ihre Müdigkeit zu bekämpfen, gab sie Wasser in eine Waschschüssel, tauchte die Hände hinein und wusch sich das Gesicht. Als sie wieder aufsah, blickte sie in den goldumrahmten Spiegel an der Wand. Kleine Tropfen rannen ihre Nase entlang und glänzten auf der feinen Zeichnung ihrer Wangenknochen. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, ging sie zum Bett und setzte sich auf den Rand. Ihr Blick fiel auf eine kleine Fotografie, die auf einer Konsole an der Wand stand. Das Bild steckte in einem Rahmen aus dunklem Holz. Das Papier war rissig und an den Rändern schon etwas verblichen. Eine Erinnerung an zu Hause. Celeste nahm es in den Schoss und betrachtete es.
Da war ihr Vater, in seinem Lieblingssessel sitzend. Das Haar sauber gescheitelt, der Anzug wie eine Uniform und die künstliche Hand auf seinem Knie. Ihre Mutter stand hinter ihm. Ihr teures Kleid und die noch kostspieligeren Perlen um ihren Hals und an den Ohren konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass sie unglücklich war. Ihr Lächeln war ebenso künstlich wie die Hand ihres Mannes.
Nur ihr Bruder, der auf seinem Schaukelpferd saß, lachte herzlich und ehrlich. Celeste selbst stand neben ihm, ein pausbackiges Kind im Rüschenkleid, das ihrem erwachsenen Ich nun aus großen Augen entgegensah. Ob Mom und Dad manchmal an mich denken? Ob sie sich Sorgen machen, fragte sie sich im Stillen. Doch die stummen Gesichter gaben ihr keine Antwort.
Mit einem Seufzer stellte sie die Fotografie zurück und legte sich ins Bett.
Durch die angelehnte Tür konnte sie Dorothea im Schlaf weinen hören. Wieso hatte das Mädchen nur solch panische Angst, nach Hause zurückzukehren?
4. September 1877 London Kurz nach Mitternacht
Die Straßen in Lambeth lagen still und verlassen da. Der Regen, der seit den Abendstunden über London niederging, hatte die Menschen in die Häuser getrieben.