Revolutionen auf dem Rasen. Jonathan Wilson
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1912 wechselte Chapman zu Leeds City und führte den Verein in den beiden Spielzeiten vor dem Ersten Weltkrieg vom vorletzten Platz der zweiten Liga auf den vierten Rang. In dieser Zeit kam ihm auch die Idee zu einer seiner denkwürdigsten Neuerungen. Nachdem er die leidenschaftlichen Diskussionen einiger Spieler bei einer Runde Karten beobachtet hatte, führte er Mannschaftsgespräche ein. Der Krieg stoppte jedoch die weitere Entwicklung. Die Vorwürfe illegaler Zahlungen seitens des Vereins an Spieler erwiesen sich allerdings als mindestens genauso schädlich für Chapman und den Klub. Nachdem sich Leeds City geweigert hatte, seine Bücher offenzulegen, schloss man den Verein aus der Liga aus und sperrte Chapman im Oktober 1919 auf Lebenszeit für den Fußball.
Chapman trat daraufhin im Städtchen Selby eine Tätigkeit bei der Fabrik von Olympia Oil and Cake an. Zwei Jahre später erhielt er jedoch von Huddersfield Town ein Angebot für den Posten des Assistenten von Trainer Ambrose Langley, der vor dem Krieg an der Seite seines inzwischen verstorbenen Bruders Harry gespielt hatte. Chapman war begeistert und legte Berufung bei der FA ein. Er verwies darauf, dass er zum Zeitpunkt der angeblichen illegalen Zahlungen gar nicht für den Klub, sondern für die Barnbow-Waffenfabrik in der Nähe von Leeds gearbeitet hatte. Die FA zeigte sich gnädig, und Chapman trat sein Amt an.
Als Langley einen Monat darauf entschied, lieber Wirt eines Pubs zu werden, wurde Chapman selbst zum Trainer befördert. Er unterrichtete die Führungsetage sogleich darüber, dass man zwar eine talentierte junge Truppe beisammen habe, diese aber einen „General zur Führung“ brauche. Clem Stephenson von Aston Villa war seiner Meinung nach genau der richtige Mann dafür. Der 33-Jährige ließ sich im Spiel gern in die eigene Hälfte zurückfallen, um dann vorzustoßen und so die Abseitsfalle zu sprengen. Diese Spielweise kam Chapman sehr entgegen, maß er dem Kontern doch großen Wert bei.
Leistung und Zuschauerzahlen stiegen rasch an, während Chapman, der sich immer für das große Ganze interessierte, den Rasen und die Pressekabinen erneuern ließ. 1922 gewann Huddersfield den FA-Pokal, obwohl das Vereinsmaskottchen – ein ausgestopfter Affe – bei den Feierlichkeiten nach dem Halbfinalsieg über Notts County in Flammen aufgegangen war. Im Stadion an der Stamford Bridge zu London verwandelte Billy Smith im Finale in der letzten Minute einen Strafstoß zum Sieg über Preston North End.
Seitens der Funktionäre war man jedoch alles andere als beeindruckt. Das Spiel war schlecht und von Nickligkeiten geprägt gewesen, was die FA dazu bewog, ihr „tiefes Bedauern“ anlässlich des beobachteten Verhaltens auszudrücken, und sie zugleich die Hoffnung auf „kein vergleichbares Betragen in irgendeinem zukünftigen Finalspiel“ aussprechen ließ. Huddersfield erkundigte sich, was damit gemeint sei. Die FA entgegnete, dass der Verein Anstößigkeiten beanstanden solle, wenn sie auffielen. Die unklare Formulierung führte dazu, dass viele Leute dies als einen Tadel für Chapman verstanden. Schließlich hatte er seinen Mittelläufer Tom Wilson tiefer als gewöhnlich spielen lassen und dieser nach Meinung des Huddersfield Examiner als „großer Spielverderber“ agiert.
Aus heutiger Sicht lässt sich natürlich nicht mehr feststellen, ob die FA etwas derart Konkretes im Sinn hatte. Deutlich wird hier aber wieder die Vorstellung von einer „richtigen Spielweise“, von der Chapman nach Meinung des Verbandes abgewichen war. Die taktische Aufstellung Wilsons legt nahe, dass dieser die Anweisung zum Stören des gegnerischen Mittelstürmers Billy Roberts, wenn nicht sogar zur Manndeckung bekommen hatte – ein Indiz dafür, dass der Innenverteidiger bzw. mittlere Vorstopper bereits in der Entstehung begriffen war und möglicherweise auch ohne die Änderung der Abseitsregel gekommen wäre.
Rückblickend betrachtet scheint der Mittelläufer mit Vorstopperfunktion in der Schottischen Furche bereits implizit angelegt gewesen zu sein, auch wenn es einige Zeit dauerte, bis sich dieser Gedanke durchsetzte. Trafen zwei 2-3-5-Formationen aufeinander, standen sich ja quasi fünf Angreifer und fünf Verteidiger gegenüber. Dabei war der Mittelläufer ausnahmslos für den Mittelstürmer zuständig, wohingegen einige Mannschaften ihre nominellen Verteidiger statt der Halbstürmer bevorzugt die gegnerischen Flügelstürmer abdecken ließen. In dem Fall übernahmen dann die Außenläufer die Halbstürmer. Andere Mannschaften gingen umgekehrt vor. Sheffield Uniteds rechter Läufer W.H. Brelsford hielt fest, dass es „eine Tendenz zum Auseinanderdriften der Verteidigung“ gebe, wenn der nominelle Verteidiger sich um den Flügelstürmer kümmerte. Gleichzeitig bestätigte er aber, dass die Außenläufer schneller in der Lage seien, die gegnerischen Halbstürmer zu blocken. Mit anderen Worten: Wie so oft hatten beide Systeme ihre Vor- und Nachteile, und welchem man den Vorzug geben sollte, hing ganz von den Umständen ab.
In beiden Systemen hatte der Mittelläufer schon frühzeitig zumindest ein paar Defensivaufgaben, und an der Notwendigkeit einer ausgewogen besetzten Läuferreihe bestand so gut wie kein Zweifel mehr. „Mitunter bin ich mir gar nicht sicher, ob es sich tatsächlich lohnt, drei Läufer in einer Mannschaft zu haben, die bis zur Perfektion ihre Stürmer einsetzen können“, schrieb Brelsford im Januar 1914. „Sie alle schwelgen so sehr in diesem Part des Spieles, dass der defensive Teil darunter zu leiden neigt. Am besten wäre meiner Meinung nach eine gute Mischung aus Kraft und Technik, ohne dass alle drei Männer exakt dieselbe Art von Spiel spielen. Hat man ein Paar von leichtfüßigen Verteilern, dann möchte man in ihrer Begleitung einen entschlossenen Zerstörer sehen; hat man zwei starke Spielverderber – nun, dann ist es unerlässlich, einen dritten Mann zu haben, der erstklassig verteilen kann.“
Manche Mittelläufer spezialisierten sich bereits in den Vorkriegsjahren auf die Verteidigung. 1909 verpflichtete beispielsweise Newcastle United, bekannt für seine offensiv ausgerichtete Läuferreihe, Mittelläufer Wilf Low vom FC Aberdeen. Offenbar sollte er die kreativeren Spieler neben sich absichern. In einem rückblickenden Beitrag im Sheffield Telegraph and Star Sports Special hieß es, dass Low „über die gesamte Saison [1910/11] den guten Ruf beinahe jeden Mittelstürmers vernichtete, auf den er traf“.
Tendenziell agierte der Mittelläufer auf jeden Fall defensiver als die Außenläufer, also die beiden Mittelfeldspieler, die ihn flankierten. Sheffield Uniteds Verteidiger Bernie Wilkinson schrieb, dass „der Mittelläufer der Defensive die größere Aufmerksamkeit widmen sollte und die Außenläufer der Offensive“. Zugleich verwies Bristol Citys Mittelläufer Billy Wedlock darauf, dass „der Mittelläufer auf den gegnerischen Mittelstürmer aufpassen muss. Tut er das und erledigt seine Arbeit gut, kann auch der beste Mittelstürmer der Welt nicht glänzen, solange ihm der attackierende Terrier im Nacken sitzt.“
Schon 1897 hatte C. B. Fry eine Taktik erwähnt, bei der der Mittelläufer rein defensiv eingesetzt wurde. In der Encyclopedia of Sports and Games schrieb er: „Mitunter, wenn die eine Seite mit einem oder zwei Toren führt und man ein rein defensives Spiel für ratsam hält, wird ein dritter Verteidiger hinzugenommen, indem man die Anzahl der Stürmer reduziert. … In puncto eines Tauschs mittels Abzug eines Stürmers und Einsatz eines weiteren Verteidigers lässt sich eine Menge anmerken: dass man an drei Verteidigern nur mit größter Mühe vorbeikommt. … Solange allerdings die solchermaßen verschobenen Spieler nicht vielseitig begabt und in der Lage sind, die Pflichten ihrer veränderten Position zu erfüllen …, ist es gewiss nicht ratsam, einen dritten Verteidiger einzusetzen, sofern der zusätzliche Mann nicht ein tüchtiger Mann auf dieser Position ist.“
Einen Stürmer zurückzuziehen ist zweifellos etwas anderes, als den Mittelläufer tiefer spielen zu lassen. Dass sogar jemand mit so traditionalistischen Denkansätzen wie Fry zur Duldung eines zusätzlichen Verteidigers bereit war, deutet jedoch darauf hin, dass das 2-3-5 nicht so heilig war, wie es manchmal aussieht. Seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war es offenbar nicht mehr außergewöhnlich, dass Mannschaften ihren Mittelläufer in schwierigen Auswärtsspielen weiter nach hinten verschoben. Chelseas ehemaliger Trainer David Calderhead beispielsweise sagte in einem Interview mit Thomson’s Weekly im Jahr 1933: „Ich kann mich erinnern, dass der