Flucht nach Mattingley Hall. Nicola Vollkommer

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Flucht nach Mattingley Hall - Nicola Vollkommer

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wo unsere Liebsten sind, Jasmin. Gute Nacht!«

      Ellen drückte die Tür zu, strich eine verirrte Haarsträhne aus ihrer Stirn und steckte sie in ihre Haube. Sie lief auf Zehenspitzen zum Fenster am Ende des langen Ganges, zog den Vorhang zur Seite und runzelte die Stirn. Der Regen prasselte mit unveränderter Kraft gegen die Fensterscheibe, und Windböen schleuderten die Äste der Linden hin und her, die die Straße draußen säumten.

      »Armes, mutterloses Kind«, sagte sie zu sich selber. »Ich wünsche, hoffe, bete, dass du glücklich wirst. Saudummes Wetter für die Reise. Die Räder werden im Schlamm stecken, noch bevor wir die Stadt verlassen haben.«

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      Das zusammengekrümmte Wesen zuckte ein letztes Mal. Danach lag es still auf dem Rücken. Ein Arm hing quer über dem Gesicht, ein Bein war über das andere gekreuzt, der Fuß des unteren Beins hing über die Kante des Bürgersteigs. Eine schattige Gestalt kroch an der Hecke entlang, danach folgten hektische Schritte, die immer leiser wurden und schließlich vom lauten Prasseln des Regens auf dem Pflasterstein übertönt wurden. Nachdem keine Schritte mehr zu hören waren, schlich ein Mann aus seinem Versteck in der Hecke. Er trug einen langen Regenmantel und eine Melone auf dem Kopf und sah aus, als ob er den Tag am Zahlschalter in der Bank verbracht und nicht eine Stunde lang im triefenden Eisregen in einer Hecke gehockt hätte. Er schaute nach rechts und nach links, huschte schnell über die Straße, beugte sich über das leblose Wesen und kritzelte etwas in ein Notizheft, das er unter seinem Regenmantel gehalten hatte. Immer wieder blickte er auf den stillen Körper, schrieb etwas nieder, blickte wieder auf, schrieb weiter. Schließlich steckte er das Heft in seinen Mantel, schaute sich noch einmal um und verschwand in die Nacht. Erst Stunden später schlenderte ein einzelner Wachtmeister die Straße entlang und richtete den Schein seiner Lampe auf den Haufen patschnasser Lumpen, der auf dem Gehweg lag. Er trat näher, nicht ohne mehrmals die Umgebung mit nervösen Augen durchschweift zu haben, stocherte mit seinem Stock in den Lumpen herum, erschrak kurz und stieß einen schrillen Pfiff mit der Pfeife aus, die er aus seiner Tasche geholt hatte. Schritte waren zu hören. Ein weiterer Wachtmeister eilte herbei.

      »Was gibt es, Parsons?«

      »Leiche, schon kalt, Herr Oberwachtmeister. Täter geflüchtet. Junger Mann, um die zwanzig. Messerwunde schräg übers Gesicht, Augen zertrümmert. Brustkorb wie immer. Todesursache vermutlich der Stich durchs Herz. Fellhams Handwerk, eindeutig.«

      Er versetzte der Leiche einen leichten Stoß mit seinem Fuß und warf einen Blick auf den blutdurchtränkten Rücken.

      »Stichausgang mitten im Kreuz. Klare Sache«, sagte der Oberwachtmeister. »Wir erledigen es sofort. Dieses Mal war Fellham offensichtlich nicht nach Abweichungen zumute, Kopf abschlagen, Füße abhacken oder so.«

      Der Wachtmeister schüttelte mit dem Kopf.

      »Erledigen ist gut. Besser wäre es, wenn wir dieses Scheusal endlich am Galgen verrotten sehen könnten, anstatt immer einen Schritt hinter ihm her zu sein. Aber bis die Themse-Wache endlich aufhört, Bier zu trinken, anstatt für Zucht und Ordnung zu sorgen …«

      »Wir bringen den armen Hund weg und benachrichtigen die für den Mord zuständigen Beamten«, antwortete der Oberwachtmeister. »Selber nichts gesehen, Parsons?«

      Parsons schüttelte den Kopf.

      »Nein, muss vor Stunden gewesen sein. Weit und breit keine Spuren. Erst recht nicht bei diesem Sauwetter. Lohnt sich kaum, den Mord zu untersuchen. Das Ergebnis wird das übliche sein.«

      Die zwei Männer berieten noch eine Weile miteinander, verschwanden kurz und kehrten mit einem Schubkarren und einem Sack zurück. Dann wickelten sie die Leiche in den Sack, hievten sie in den Karren, und Parsons schob ihn davon.

      Der Oberwachtmeister nahm seinen Helm ab, schüttelte ihn und gähnte, bevor er ihn wieder auf den Kopf setzte. Ein Mord. Immerhin eine Abwechslung. Das Aufregendste, was eine Streife in einem Vorort von London bei Nacht sonst zu sehen bekam, war eine Schlägerei von ein paar Besoffenen. Zu einer großen Fahndung würde es nicht kommen. Der tote Mann war ein Niemand, das war an seiner abgetragenen Kleidung ersichtlich. Ein paar Tageblätter informieren, am nächsten Tag Fragen beantworten, mit einem Kopfschütteln betroffene Sprüche von sich geben, nüchtern, seriös wirken und die Bevölkerung beruhigen, damit war es getan. Es würde nicht lange dauern, bis neue Schlagzeilen diese verdrängten und das arme Opfer nichts mehr als eine kleine Notiz in einer Polizeiakte wäre.

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      »Gute Laune, was, Mr Argyle? Federleicht in den neuen Tag trotz der Feuerwerke gestern? Liegt wohl nicht nur daran, dass die Sonne nach dem Schneeregen ihr Gesicht wieder zeigt! Und wann dürfen wir Sie als Lord Devreux begrüßen?«

      Ein junger, hochgewachsener Mann in Gehrock und Zylinder war gerade frohen Mutes die lange Steintreppe herabgesprungen, die den Haupteingang eines hohen Gebäudes mit der Straße verband. Er wirbelte seinen Spazierstock durch die Luft, summte vor sich hin und tippte an seinen Zylinder vor dem Passanten, der ihn gerade begrüßt hatte.

      »Nicht zu voreilig mit dem Lord Devreux, Mr Barnsby«, sagte er. »Ich habe mich gerade erst verlobt. Aber Grund zur Freude habe ich allemal. Sonne draußen und Sonne drinnen. Sie haben Ihre Zeitung schon geholt, wie ich sehe. Argyle & Johnson weiß eben immer als Erstes Bescheid!«

      »Unglaublich, Sir! Sie machen Ihrem Leitspruch alle Ehre! Und füllen die Seiten mit pikanten Nachrichten, obwohl die Franzosen uns keine Metzeleien mehr liefern, über die Sie berichten können.«

      Mr Barnsby stieß mit einem Finger auf das vordere Blatt der Zeitung, die er in die Höhe hielt.

      »Marvin Fellham schlägt wieder zu«, las er vor. »Es geschieht ein Mord, und zack, Sie bringen alle Einzelheiten, noch bevor die Leiche kalt ist. Mit Kupferstich. Wenn ein Bild dabei ist, schauen wir einfacheren Leute gleich schneller hin. Alle Zeitungen sind unten am Markt schon weggekauft. Ich hatte Glück, noch eine zu bekommen!«

      Mr Argyles Augen leuchteten kurz auf, dann blickte er zu Boden und schüttelte den Kopf.

      »Wenn die Berichterstattung eines Mords Erfolg bringt, dann bleibt die Freude gedämpft, Mr Barnsby. Trotzdem beklagen wir uns nicht, wenn wir die Auflagen schon wieder aufstocken müssen. Aber nun darf ich mich erfreulicheren Themen zuwenden und wünsche Ihnen einen guten Tag.«

      Er tippte noch mal an seinen Zylinder. Der Hauptsitz von Argyle & Johnson, den er gerade verlassen hatte, verbarg sich hinter einer unscheinbaren Fassade, die eher einer Fabrikhalle glich als der Zentrale einer jener führenden Zeitungen, die in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts aus dem Boden Londons gesprossen waren. Unter dem Schatten der eindrucksvollen gewölbten Kuppel der Kathedrale von Sankt Paul wetteiferten namhafte Blätter wie die Times, der London Star, die Mayfair Gazette und der Courier um die Gunst der Leser. Sie alle warfen neidische Seitenblicke auf die üppigen Umsätze von Argyle & Johnson, eine Zeitung, die sich auf dem besten Weg befand, jedes andere Blatt in den Schatten zu stellen.

      Mr Argyles Summen ging in ein fröhliches Pfeifen über. Er hätte eine Kutsche herwinken können, zog es aber heute vor zu laufen.

      »Zu viel aufgestaute Freude«, hatte er lachend zu seinem Sekretär gesagt, bevor er das Haus verlassen hatte. »Ich brauche Bewegung!«

      Als er die Kirche von St. Bride’s passierte, murmelte er ein »zu klein für uns« vor sich hin. »Mindestens die St.-Pauls-Kathedrale. Für eine so bekannte

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