Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов
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Mit seinem zu Ende des Jahres 2010 gemachen Blogeintrag „Goodbye my EstonianEstland/EstoniaEstnisch/Estonian“ löste KaplinskiKaplinski, Jaan seine bisherige Schaffenssprache ab und erklärte zugleich, warum er nicht mehr auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian schreiben könne. Kaplinski entschloss sich, seine MutterspracheMuttersprache/mother tongue gewissermaßen aufzugeben, denn seinem Eindruck nach seien es heute bestimmte Gruppen von Fachleuten, mit dem damaligen Präsidenten (Toomas Hendrik Ilves) an der Spitze, die den SprecherInnen des EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian Worte, Normen und Ausdrucksweisen aufzwingen. Kaplinski wettert gegen die estnischeEstland/Estoniaestnisch IT-Terminologie, die er nicht für erlernenswert hält, denn sie sei nur scheinbar EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, und er schließt: „Niemand hat das Recht, den Leuten EstlandsEstland/Estonia zu sagen, welche Worte sie benutzen sollten und welche nicht.“
KaplinskiKaplinski, Jaan schreibt:
Erstens habe ich Gedichte, Essays und Aufsätze in estnischer Sprache seit etwa 50 Jahren, das ist ein halbes Jahrhundert, geschrieben. Genügt es nicht? […] Ich habe versucht, mein Bestes zu tun, um diese Sprache intelligent und kreativ zu verwenden. Ich habe versucht, sie vor Normativen und Neologismen in Schutz zu nehmen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass meine Bemühungen folgenlos geblieben sind. Ich habe meine Schlacht verloren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu ergeben. Ich will keine estnischenEstland/Estoniaestnisch MedienMedien mehr lesen, weder mir unsere Radiosendungen anhören noch unsere Fernsehprogramme angucken. Eine modernisierte Sprache tut mir weh. Ich muss das Schreiben in estnischer Sprache aufgeben und versuchen, fortan auf Werroestnisch, EnglischEnglisch/English oder RussischRusslandRussisch/Russian zu schreiben.4
Und das tut er auch, von diesem Zeitpunkt ab dichtet er auf EnglischEnglisch/English, Werroestnisch und RussischRusslandRussisch/Russian.
FATHERLAND
homeland
words become meaningless
in the Western world
in modern poetry
Words losing their
(eco)logical niche as fish
as suffocating fish from some
used up lake
some waterless body of water
I am a fish too
a fish from a lake called
EstoniaEstland/Estonia
[…]
They asked me
do I feel myself
at least a bit PolishPolenPolnisch/Polish
what could I answer them
what did I answer them
an EstonianEstland/EstoniaEstnisch/Estonian non-Catholic
non-Protestant
a fish from a far-off lake
looking upon them
through these multicoloured
reefs and waves
what words have they
heard from my mouth
grown up in another language
in another world […]
(KaplinskiKaplinski, Jaan 2000: 883–886.)
Anfang November 2019 erschien das bisher letzte Werk von Jaan KaplinskiKaplinski, Jaan, seine Kindheits- und Jugenderinnerungen Latsepõlve suve (Võru, 2019), verfasst auf Werroestnisch – in der Sprache seiner Kindheit und Jugend.
Im Jahre 2014 gab er als Ян Каплинский einen Band von Gedichten in russischerRusslandrussisch Sprache heraus Белые бабочки ночи/Бѣлыя бабочки ночи (Nachwort von Sergei Zawjalow, Kite, 2014; d.h. Weißer Nachtfalter auf RussischRusslandRussisch/Russian und Altrussisch). Der Band wurde von der russischenRusslandrussisch Kritik positiv aufgenommen: „Nach RilkeRilke, Rainer Maria ist das der zweite Versuch, dass ein europäischerEuropaeuropäisch Dichter von diesem Rang sich dem russischenRusslandrussisch Vers zuwendet. Im Unterschied zu Rilke dichtet KaplinskiKaplinski, Jaan glänzend in russischerRusslandrussisch Sprache.” (Каневский 2014)
Dieser SprachwechselSprachwechsel erregte in der estnischenEstland/Estoniaestnisch Gesellschaft starkes Aufsehen, man sah bzw. suchte darin die Äußerung einer politischenPolitik/politicspolitisch/political Stellungnahme. Man hat aber auch Kaplinskis Entschluss zu einer grundsätzlichen MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit als Zeichen einer zu begrüßenden Interkulturalität interpretiert und dabei auf den Semiotiker Juri LotmanLotman, Juri verwiesen, der Mehrsprachigkeit – Berührung und Austausch der Sprachen – als die unentbehrliche Bedingung zur Entwicklung einer Kultur auffasst. (Trunin 2014)
Mit diesem Lotmanschen Gedanken wäre es angemessen, diesen kurzen Abriss der Geschichte der estnischenEstland/Estoniaestnisch mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig und exophonenExophonieexophon/exophonic Literatur zu beschließen. Doch man gestatte mir noch eine Bemerkung. Bei Phänomenen der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit bzw. ExophonieExophonie drängt sich immer die Frage auf: Welcher Literatur gehört so etwas/jemand eigentlich an? Die deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch AutorInnen hielten sich selbst in der Regel für der deutschenDeutschlanddeutsch Literatur zugehörig. Heute würde man sie dennoch eher der estnischenEstland/Estoniaestnisch bzw. lettischenLettland/Latvialettisch Literatur (oder wenigstens der Literatur EstlandsEstland/Estonia bzw. LettlandsLettland/Latvia) zurechnen.
Dieselbe Frage hat man sich manchmal auch angesichts der heutigen ‚estnischrussischen‘ Literatur gestellt, die sich eigentlich als solche noch erst bewähren muss. Ist sie ein Bestandteil der russischenRusslandrussisch oder der estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur? Ich bin der Meinung, die russischestnische Literatur gehört sehr wohl zur estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur. Eine Geschichte der estnischenEstland/Estoniaestnisch Literatur sollte folglich auch ein Kapitel über die deutschbaltischeDeutschbaltendeutschbaltisch und russischestnische Literatur enthalten.
Bisher hat man das so nicht gemacht, selbst wenn die Idee an sich ja gar nicht so neu ist. So hat der erste Professor für estnischeEstland/Estoniaestnisch Literatur an der estnischsprachigen Universität Tartu, Gustav SuitsSuits, Gustav, im Jahre 1929 die Aufgabe der Literaturforschung folgendermaßen formuliert: „BaltischeBaltikumBaltisch Literaturgeschichte in einem weiteren Sinne des Wortes wäre erst dann bearbeitet, wenn der Horizont des Betrachters die literarischen Berührungen und Gegenwirkungen der hiesigen Völker umfasst.“ (Suits 1929: 208). Ihm sekundiert Otto Alexander WebermannWebermann, Otto Alexander, den das Schicksal nach dem Zweiten WeltkriegWeltkriegZweiter Weltkrieg nach Göttingen brachte:
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