Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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an Alt-EstlandEstland/Estonia schreibt Hermann HesseHesse, Hermann (das Enkelkind von Carl Hermann Hesse), dass „es alte Geschichten [sind], die dies Buch erzählt, sie geschahen in einer Welt, die nicht mehr ist“ (Hesse in Hunnius 1921:6). Tatsächlich waren zwischen der im Roman beschriebenen Periode und der Schreibzeit heftige Erschütterungen durch das Land gegangen – die RussifizierungRussifizierung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Revolution von 1905 mit dem Niederbrennen von Gutshäusern, die Kriegszeit, Abschaffung der Gutshöfe sowie Stände und aller ständischen Institutionen nach der Gründung der Republik etc. Auch die Sprachsituation veränderte sich drastisch. Die DeutschbaltenDeutschbalten, die sich bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts primär an DeutschlandDeutschland orientiert hatten, fanden sich angesichts des verstärkten nationalenNationnational Selbstbewusstseins der Esten, der langen Isolation von DeutschlandDeutschland und der beginnenden RussifizierungRussifizierung in einer neuen Lage (vgl. Lukas 2006: 40; Plath 2011: 15). Infolge der Russifizierung verloren die bisher an erster Stelle der Sprachhierarchie gelegene deutscheDeutschlanddeutsch Sprache und die gerade erst einen gewissen Status gewonnene estnischeEstland/Estoniaestnisch Sprache an Bedeutung im öffentlichen Leben zugunsten des RussischenRusslandRussisch/Russian. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die DeutschbaltenDeutschbalten und Esten sich mit dieser offiziellen Hierarchie abfanden. Für die Deutschbalten blieb das DeutscheDeutschlandDeutsch an erster Stelle und für die Esten stieg das EstnischeEstland/EstoniaEstnisch/Estonian an die Spitze der Sprachhierarchie. So entstanden in der Gesellschaft drei unterschiedliche und konkurrierende Sprachhierarchien, die von unterschiedlichen Nationalitäten und sozialen Schichten getragen wurden (vgl. Hennoste 1997: 58).

      Der Roman wurde nach der Gründung der Republik EstlandEstland/Estonia geschrieben. Die Abschaffung der Ständegesellschaft und die ‚Estnifizierung‘ bedingten eine neue Sprachsituation, in der sich der Status des EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian erhöhte. Diese gesellschaftlichen Umwälzungen beeinflussten die Autorin in ihrer Schreibweise, so dass sie ihre Jugendzeit als eine „verschwundene“ (Hunnius 1921: 8) und abgeschlossene Periode, ein „Idyll“ (ebd.) im sogenannten „Alt-EstlandEstland/Estonia“ sieht und diese samt der gesellschaftlichen Hierarchien und Sprachsituation entsprechend abbildet. Die Funktion des Textes besteht für die Autorin, aber auch für die vielen (heimatvertriebenen) Leser im NachkriegsdeutschlandDeutschland, im Jahre 1921 darin, sich in diese „ganze sonnige Welt, die man geliebt“ hatte, zurückzuretten (ebd.).

      2.3 Edzard SchaperSchaper, Edzard und die gesellschaftlichen Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

      Der Henker von Edzard SchaperSchaper, Edzard (1908 Ostrów [Ostrowo] – 1984 Bern) erschien im Jahre 1940 in Leipzig. Schaper ist ein Sonderfall der deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Literaturgeschichte. Obwohl er ein deutscherDeutschlanddeutsch Schriftsteller und Übersetzer war, der lediglich in den Jahren 1930–1940 in EstlandEstland/Estonia lebte, führten familiäre Beziehungen mit den DeutschbaltenDeutschbalten und die Faszination mit der Geschichte des Landes in mehreren Romanen zu einer tiefen literarischen Auseinandersetzung mit deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Themen.

      Der Henker wurde am Vorabend des Zweiten WeltkriegesWeltkriegZweiter Weltkrieg geschrieben. Bis dahin wurden die Prozesse der sprachlichen und kulturellen Kräfteverschiebungen, die mit der Gründung der Republik angefangen hatten, weitergeführt. Mit dem Anfang des Kriegs veränderte sich die Situation grundlegend – die DeutschbaltenDeutschbalten wurden aus den baltischenBaltikumBaltisch Ländern umgesiedelt. Edzard SchaperSchaper, Edzard folgte der Aufforderung „Heim ins Reich“ nicht, sondern flüchtete 1940 nach Finnland, danach nach SchwedenSchweden und fand schließlich eine dauerhafte Bleibe in der SchweizSchweiz.

      Die politischePolitik/politicspolitisch/political Situation spiegelte sich auch in Schapers literarischem Werk wider, in dem er sich überzeitlich mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts und mit der Verantwortung des Individuums dabei auseinandersetzte (vgl. Gierlich 2014: [5]). Dies trifft auch für Den Henker zu, in dem SchaperSchaper, Edzard die Revolution von 1905 auf dem heutigen Territorium EstlandsEstland/Estonia aus den Perspektiven der deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Adligen, der russischenRusslandrussisch Zentralmacht und der estnischenEstland/Estoniaestnisch Bauern betrachtet. In dieser Zeit lag an der Spitze der offiziellen Sprachhierarchie das RussischeRusslandRussisch/Russian, in der Gesellschaft war die Sprachsituation aber vielfältiger. Die Esten wurden in ihren Nationalbestrebungen immer selbstbewusster, ebenso war im Gegensatz zu früheren Perioden die Germanisierung nicht mehr eine Voraussetzung des Aufstiegs in der sozialen Hierarchie. Vielmehr wurden Bestrebungen als DeutscheDeutschlandDeutsche oder Russe zu erscheinen nun negativ beurteilt und solche Esten abwertend als HalbdeutscheDeutschlandHalbdeutsch1, und Halbrussen2 bezeichnet (Hennoste 1997: 58). Die Unzufriedenheit und die daraus resultierende revolutionäre Stimmung der Esten war für die DeutschbaltenDeutschbalten eine negative Überraschung. Um den Gründen dieser Entwicklungen nachzugehen, nimmt der Roman die gesamte Geschichte und das Selbstverständnis der DeutschbaltenDeutschbalten unter die Lupe. Im Roman geht es um einen deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Offizier Ovelacker in russischenRusslandrussisch Diensten, der die Revolution von 1905 im fiktivenFiktivitätfiktiv Ort Drostenholm brutal unterdrückt, später aber dorthin als Erbe des ermordeten Gutsherrn zurückkehrt. Spannung wird aufgebaut zwischen Ovelacker und einem Bauern, der in der Vergeltungsaktion gegen die Aufständischen zwei Söhne verloren hatte. Der dritte Sohn des Bauern wird nach Sibirien verbannt, der Kampf um seine Befreiung kristallisiert das Unrecht gegen die Esten durch die Deutschbalten. Lukas (2002) nennt den Roman in der estnischenEstland/Estoniaestnisch ÜbersetzungÜbersetzung/translation daher einen ,Versöhnungsroman‘, da die Schreibzeit des Romans – Ende der 1930er Jahre, als die Deutschbalten als zur MinderheitMinderheit degradierte einstige Machthaber – die nachdenkliche Stimmung des Werkes, das die Wendepunkte in den deutschbaltischDeutschbaltendeutschbaltisch-estnischenEstland/Estoniaestnisch Beziehungen aufdeckt, bedingte.

      3 Elemente der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in den analysierten Werken

      Es soll nun an die eingangs aufgestellte Hypothese erinnert werden, dass mit Hilfe der Literatur Aussagen über die Sprachgeschichte gemacht werden können. Dabei sollte, wie Dembeck betont, „die sprachhistorische Entwicklung jedoch nicht selbst der Gegenstand des [literaturwissenschaftlichen] Interesses sein“ (2017: 127). Im vorliegenden Beitrag wird daher versucht, erstens die Rahmenbedingungen der Repräsentationen von MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit auszuleuchten, zweitens aber auch stets auf die literarischen Funktionen der Verwendung von Mehrsprachigkeit zu achten.

      Die Grundsprache aller analysierten Werke ist Standarddeutsch. MündlichMündlichkeitmündlich verwendeten die DeutschbaltenDeutschbalten eine VarietätVarietät, die vom Vokabular des EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, bzw. LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian, RussischenRusslandRussisch/Russian und auch des von der russischenRusslandrussisch Aristokratie benutzten FranzösischenFrankreichFranzösisch beeinflusst war, in der Literatur wurde aber bewusst HochdeutschDeutschlandHochdeutsch verwendet (vgl. Lukas 2006: 494). Kommt die Varietät doch vor, so werden diese Stellen erklärt, manchmal tritt sie als ein ZitatwortZitatZitatwort im natürlichen Wortschatz des Autors auf (vgl. Bender 2017: 603). Lukas verbindet die Verwendung des HochdeutschenDeutschlandHochdeutsch mit dem Versuch „die durch die Sprache vermittelte kulturelle IdentitätIdentität/identity zu bewahren“ (2006: 494). Bei den analysierten Werken spielte es auch eine Rolle, dass als Zielgruppe der Werke die Leserschaft in DeutschlandDeutschland vermutet werden kann. Es muss daher angenommen werden, dass der implizierte Leser, der den Autoren vorschwebte, kein EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian oder RussischRusslandRussisch/Russian kann. Für diesen Leser wären also die entsprechenden Passagen nicht nur schwierig, sondern unmöglich zu verstehen. Die Funktion der Figurenrede, oder auch Namen und Ortsbezeichnungen auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian und (weniger) auf RussischRusslandRussisch/Russian ist daher einerseits in der Darstellung des Lokalkolorits zu vermuten, hat aber andererseits auch eine exotisierende Wirkung, insbesondere in der Kombination mit der Betonung der geringeren sozialen Position der Sprecher anderer lokaler Sprachen.

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