Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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Fall für die Erforschung dieser (Aneignungs-, ÜbersetzungsÜbersetzung/translation-, Adaptions-)Verhältnisse. Dennoch unterschied sich die Situation erheblich von späteren „Kolonialsituationen“, bei denen eine kolonisierende Kultur den Kolonisierten ihre Sprache aufgezwungen hat. Im BaltikumBaltikum hat die kolonisierende Kultur vielmehr die Sprache der Kolonisierten erlernt und versucht, sie nach eigenen Modellen, nach bekannten Mustern aus dem DeutschenDeutschlandDeutsch oder LateinischenLateinLateinisch, zu gestalten.

      Die neuen SchriftsprachenSchriftSchriftsprache, die sich auf diese Weise herausbildeten, übten ihren Einfluss auch auf den mündlichenMündlichkeitmündlich Gebrauch dieser Sprachen aus, der Wortschatz der gesprochenen SprachenSprache, gesprochene veränderte sich, neue Begriffe wurden geprägt, alte Begriffe gerieten infolgedessen außer Gebrauch, grammatikalischeGrammatikgrammatikalisch und syntaktische Konstruktionen änderten sich.

      Während im schriftlichenSchriftschriftlich Gebrauch eine deutlichere Hierarchie der Sprachen existierte, war im mündlichenMündlichkeitmündlich Gebrauch der Sprachaustausch lebhafter, Übergänge waren fließender, je nach Verwendungssituation und der sozialen Position der Sprecher, bis zu den Zwischen- oder Übergangsformen wie DeutschbaltischDeutschbaltenDeutschbaltisch, Kleindeutsch, HalbdeutschDeutschlandHalbdeutsch bzw. WacholderdeutschDeutschlandWacholderdeutsch, wie man das fehlerhafte DeutschDeutschlandDeutsch der sich assimilierenden Esten nannte. Rund 25 % der estnischenEstland/Estoniaestnisch Wortstämme sind Entlehnungen aus dem NiederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch. Der Einfluss des HochdeutschenDeutschlandHochdeutsch (zugleich der späteren deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Sprache/MundartDialekt/Mundart) auf die Sprachen der Esten und Letten ist viel geringer. Nicht selten wurde das eine oder andere Wort aus dem NiederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch auf dem Umweg über das EstnischeEstland/EstoniaEstnisch/Estonian oder das LettischeLettland/LatviaLettisch/Latvian sogar ins DeutschbaltischeDeutschbaltenDeutschbaltisch zurückentlehnt. Auch in das deutschbaltischeDeutschbaltendeutschbaltisch Sprachgut sind viele Lehnwörter aus dem EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian bzw. LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian, aber auch aus dem RussischenRusslandRussisch/Russian eingeflossen.

      Dass viele deutschbaltischeDeutschbaltendeutschbaltisch Kinder adligen Geblüts unter der Obhut estnischer und lettischerLettland/Latvialettisch Ammen und Dienstleute das EstnischeEstland/EstoniaEstnisch/Estonian bzw. LettischeLettland/LatviaLettisch/Latvian als ErstspracheErstsprache erwarben, ist ein in der deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch Literatur verbreitetes Motiv. Wie dem auch sei, unvermeidlich war die ZweisprachigkeitZweisprachigkeit bestimmt für die baltischenBaltikumBaltisch Literaten (wie Bildungsbürger im lokalen SprachgebrauchSprachgebrauch üblicherweise hießen), deren begehrtestes Ziel es war, eine Pastorenstelle zu bekommen, die man ohne Kenntnis der lokalen Sprachen nicht ausüben konnte (noch durfte). Andererseits war das DeutscheDeutschlandDeutsch auch für die Akademiker estnischer bzw. lettischerLettland/Latvialettisch Herkunft die BildungsspracheBildungssprache schlechthin, so dass gebildetere bzw. sozial aufgestiegene Esten und Letten auch zu Hause meistens zum DeutschenDeutschlandDeutsch wechselten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bediente man sich in gebildeten Kreisen oft des DeutschDeutschlandDeutsch(baltisch)en. Im Jahre 1891 schrieb Oskar Kallas, ein namhafter Folklorist, später auch Journalist und Botschafter der Republik EstlandEstland/Estonia in London, in seinem (auf DeutschDeutschlandDeutsch verfassten) Tagebuch, dass er keine estnischeEstland/Estoniaestnisch Familie kenne, in der man unter sich EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian spreche. Die bekannteste estnischeEstland/Estoniaestnisch Lyrikerin Marie UnderUnder, Marie machte ihre ersten Schritte auf ihrem Dichterweg auf DeutschDeutschlandDeutsch und fing erst später, auf Anraten ihres Freundes, des Künstlers Ants Laikmaa (Laipmann), an, auf EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian zu dichten.

      2 MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in der Literatur

      BaltischeBaltikumBaltisch Literaten waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fast immer mindestens zweisprachigZweisprachigkeitzweisprachig, ungachtet ihrer nationalenNationnational oder ethnischenEthnieethnisch Herkunft. Ihre BildungsspracheBildungssprache war in der Regel DeutschDeutschlandDeutsch, außerdem verstanden bzw. sprachen sie, lebten sie im nördlichen Teil LivlandsLivland oder in EstlandEstland/Estonia, meistens mehr oder weniger gut Süd- oder Nordestnisch, im lettischsprachigen Teil des BaltikumsBaltikum LettischLettland/LatviaLettisch/Latvian oder LettgallischLettgallisch, mitunter konnten sie sich auch einer dieser Sprachen schriftlichSchriftschriftlich bedienen. Ihr lokales, tägliches DeutschDeutschlandDeutsch stand unter dem Einfluss dieser Sprachen bzw. deren MundartenDialekt/Mundart. MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, die Fähigkeit, sich sowohl schriftlichSchriftschriftlich als auch mündlichMündlichkeitmündlich verschiedener Sprachen zu bedienen, war ein wichtiger Charakterzug dieses Kulturraumes. Selbstverständlich kommt dies auch in der Literatur zum Ausdruck.

      Im Folgenden werde ich einige Beispiele für den Gebrauch der MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit in der Literatur des BaltikumsBaltikum anführen. Ich gehe dabei von der von Jaan Undusk im Jahre 1992 entworfenen, immer noch durchaus aktuellen Typologie des estnisch-deutschenDeutschlanddeutsch LiteraturtransfersLiteraturtransfer (Undusk 1992) aus, die zwischen Formen verschiedenster Kontakte literarischer Art unterscheidet. Mich interessieren an dieser Stelle jedoch lediglich die Kontakte, die sich mit dem Phänomen der ExophonieExophonie (oder ZweisprachigkeitZweisprachigkeit im weiteren Sinne) in Verbindung bringen lassen. Es lässt sich zwischen einer sprachinternen, textinternen und autorinternen Zweisprachigkeit unterscheiden.

      2.1 Mit sprachinterner Zweiprachigkeit meine ich Texte, die in einer MischspracheMischsprache entstanden sind. Der deutschbaltischeDeutschbaltendeutschbaltisch DialektDialekt/Mundart ist selbst schon gewissermassen eine solche Mischsprache, in die estnischeEstland/Estoniaestnisch bzw. lettischeLettland/Latvialettisch, russischeRusslandrussisch oder französische Wörter eingebettet sind.

      Ein frühes Beispiel ist ein kleines Fragment aus dem Gedicht „Lieffländische Schneegräfin“ (FlemingFleming, Paul 1638) von Paul Fleming (1609–1640), wo HochdeutschDeutschlandHochdeutsch, NiederdeutschDeutschlandNiederdeutsch und EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian sich mischen

      Die Braut/bald rot/bald blaß, fing endlich an zu reden:

      „Wat schal ich arme Kind? Gott weht, wat sy my theden!“

      Das ander/Ycks /Kacks /Koll1 hub sie auff Undeutsch an,

      Das ich noch nicht versteh’, und auch kein Gott nicht kan.

      Literarische Texte im deutschbaltischenDeutschbaltendeutschbaltisch DialektDialekt/Mundart wurden jedoch selten verfasst, in der Regel geschah dies nur in ‚niedrigen‘ Literaturgattungen, wobei das DeutschbaltischeDeutschbaltenDeutschbaltisch die Funktion von Parodie, Ironie oder Witz innehatte. Das DeutschbaltischeDeutschbaltenDeutschbaltisch (mit all seinen Jargons) wurde dem Bereich des Komischen zugeordnet und kam am systematischsten zum Einsatz in der sogenannten halbdeutschDeutschlandHalbdeutschsprachigen Dichtung — in der makkaronischenmakkaronisch Dichtung2 des BaltikumsBaltikum vor allem des 19. Jahrhunderts. In dieser Gattung werden zwei Sprachen zur Erzielung eines komischen oder parodistischen Effektes vermischt, indem Morphologie und Syntax der deutschenDeutschlanddeutsch Sprache auf den Wortschatz des EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian bzw. des LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian übertragen werden, wobei die Phonologie dem EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian angepasst wird, z.B. werden die stimmhaften Konsonanten durch die stimmlosen und Doppelkonsonanten durch einen Konsonant ersetzt, das h weggelassen usw. (Über die Merkmale des HalbdeutschenDeutschlandHalbdeutsch siehe Ariste 1981).

      Die Oberpahlsche Freundschaft (1818/1857) des Tallinners Jacob Johann MalmMalm, Jacob Johann (1796–1762) ist das erste und bekannteste, geradezu wegweisende Gedicht dieser Gattung gewesen (siehe dazu Lehiste 1965).

      Vart’, tenkt’ ich mal in meine Sinn,

      Willst wahren toch heinmal

      Su Wreind nach Oberpalen

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