Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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Sevgi ÖzdamarÖzdamar, Emine Sevgi oder auch Aglaja VeteranyiVeteranyi, Aglaja oft eingesetzt werden (Wright 2008: 39–40; Willms/Zemanek 2014: 2). Auch Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar benutzt Sprachspiele. In Penelope, die Listenreiche wird die Geschichte der Begegnung von Penelopes Eltern, Klara und Henrik, erzählt, und zwar anhand von russischenRusslandrussisch Zungenbrechern, die an dieser Stelle verballhornt werden:

      Doch schon schwankten die Reihen der Neffen und Enkel, und die vier übergeschnappten Teufel traten ab, verkrümelten sich in ihre Zungenbrecher und krochen in den Zuber, der zurückgezogen am Zaun stand in dem Sommer, als Karl der Klara die Korallen klaute. So hatten sie sich auch kennen gelernt. (P, 44)12

      Hierzu gehören auch Texte, in denen Systeme fremderFremdheitfremd Sprachen adaptiert werden oder eine Textsorte aus einer Sprache in eine andere übertragen wird, da in solchen Fällen die Herkunft aus einer anderen Sprache und damit aus einer anderen Kultur doch immer eingeschrieben bleibt, etwa bei ÖzdamarÖzdamar, Emine Sevgi, die in ihren deutschenDeutschlanddeutsch Texten türkischeTürkeitürkisch Syntax anwendet oder türkischeTürkeitürkisch Redewendungen übersetzt (Willms/Zemanek 2014: 2). Auch Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar lässt ihre Figuren oft so sprechen, wie sie es in ihrer MutterspracheMuttersprache/mother tongue tun würden. So wird in Helena eine Tirade ihres Vaters Torgom weitergegeben, der darüber verärgert ist, dass seine Tochter sich die Leiden ihrer Patienten zu sehr zu Herzen nimmt: „[…] er nannte die Tochter einen kleinen Dummkopf: ‚Du Dummkopf, oh, du Dummkopf, wem weinst du denn nach, mir und auch der Mutter ist nichts passiert, hör doch schon auf, bringst die Not ins Haus…‘“ (H, 28)

      Neben der linguistischen Vielfalt in mehrsprachigerMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur sollte meines Erachtens auch die Vielfalt von diversen kulturellen Praktiken erwähnt werden. Denn implizit werden in einem Text verschiedene kulturelle Traditionen eingebunden, die sich etwa im Textaufbau, in der Verwendung von bestimmten Hinweisen auf andere kulturell relevante Texte oder in bestimmten kulturellen Meta- oder Archecodes zeigen (Raud 2018: 130–141). Dies ist oft der Fall bei transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Autoren, deren Texte als eine Verflechtung von mehreren Sprach- und Kulturtraditionen und -schichten, die sich in mannigfachen Erscheinungen zeigen, angesehen werden können. Auch Sandra Vlasta setzt auseinander, dass die Situierung eines literarischen Texts in nur einem spezifischen Kontext unmöglich sei: „MigrantMigrant/in writers bring with them new topics, characters or discourses that come from one literary tradition and are introduced to another.“ (Vlasta 2018) Willms und Zemanek sprechen in diesem Zusammenhang auch von intertextuellerintertextuell/intertextual bzw. textexterner MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit, der die Textgrenzen überschreitet (Willms/Zemanek 2014: 2).

      Dieses Phänomen kann anhand eines ZitatsZitat von Zafer ŞenocakSenocak, Zafer illustriert werden. Er beschreibt den Prozess, wie seine ZweisprachigkeitZweisprachigkeit ihren Anfang nahm, wie folgt:

      Das Mutterland TürkeiTürkei hatte ich verlassen, doch das Spiegelland Türkei […] sollte mir erhalten bleiben. Diese Spiegelverkehrung war wichtig, ja unverzichtbar für die Entwicklung meiner literarischen Sprache und bildet letztendlich die Grundlage meiner ZweisprachigkeitZweisprachigkeit. Ich schrieb auf DeutschDeutschlandDeutsch, aber mit türkischenTürkeitürkisch Farbklängen im Ohr […]. (ŞenocakŞenocak, Zafer 2011: 78–79)

      Das heißt, er schrieb auf DeutschDeutschlandDeutsch, doch manifestieren sich in seinen Texten türkischeTürkeitürkisch Kulturtraditionen auf eine natürliche und selbstverständliche Weise. Als ein weiteres Beispiel können die Erzählungen von Wladimir KaminerKaminer, Vladimir gebracht werden. In seinen Büchern sehen wir die geschickte Verknüpfung von vielen Geschichten, die dem Erzähler oder seinen Bekannten angeblich passiert sind. In diesem Sinne pflegt Kaminer hier das Genre der so genannten байка (bajka), der humoristischen Erzählung, die zwar die Wahrheit darzustellen beansprucht, gleichzeitig aber auch ziemlich frei mit konkreten Fakten und Daten operiert; aufgegriffen wird dabei die in der SowjetunionSowjetunion weit verbreitete mündlicheMündlichkeitmündlich Tradition des Geschichten- und Anekdotenerzählens (vgl. Heero 2009: 222–223). Es werden also kulturelle Praktiken, die einer bestimmten Sprache eigen sind, erfolgreich in eine andere Sprache übertragen.

      In Bezug auf Gohar Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar sollte man noch einmal erwähnen, dass sie nicht als eine armenischeArmenienarmenisch oder russischeRusslandrussisch Autorin klassifiziert werden wollte, sondern als eine Autorin, die bewusst europäischeEuropaeuropäisch literarische Traditionen pflegt (Markosjan-Käsper 2006: 66–67). Deshalb scheint es logisch, dass die beiden hier behandelten Romane einen Bezugspunkt in der WeltliteraturWeltliteratur haben. Penelopa ist wie die Spiegelverkehrung des Romans Ulysses von James JoyceJoyce, James (1922), in dem ein Tag im Leben (16.06.1904) der Hauptfigur Leopold Bloom beschrieben wird. Dargestellt werden nicht nur Ereignisse dieses Tages, sondern auch Gedanken, Vorstellungen, Assoziationen, die sowohl Bloom als auch die anderen Hauptfiguren dieses Romans erleben (Schwarz 1987: 2–4). Was den Roman Markosjan-Käspers betrifft, erfahren wir gleich zu Beginn, dass die Heldin Penelope einen Roman von Joyce, der eindeutig als Ulysses zu identifizieren ist, liest: „Penelope […] zog […] ein Bändchen Joyce zu sich heran. Von wegen Bändchen, einen fetten Band, noch dazu bis zum Geht-nicht-mehr gefüllt mit in winzigster SchriftSchrift gedruckten Quatsch, der von Snobs in den Rang der intellektuellen Bibel erhoben wurde.“ (P, 8) So beginnt der Tag im Leben Penelopes, der im Weiteren detailliert beschrieben wird. Penelope, die hier quasi die Rolle des Odysseus übernimmt, irrt in diesem Roman nicht durch die Welt, sondern durch die ins postsozialistische Chaos gefallene Stadt Jerewan. Sie ist einerseits auf der Suche nach der Möglichkeit eines heißen Bades, andererseits sehnt sie sich nach ihrem Geliebten Armén und ist überglücklich, wenn sie Nachrichten über ihn bekommt – auch wenn diese negativ gefärbt sind. Dennoch bleibt sie Armén treu, indem sie den Heiratsantrag eines wohlhabenden Verehrers ausschlägt, so wie auch die gleichnamige Heldin in HomersHomer Odyssee. Gleichzeitig zieht sie Parallelen zwischen ihrem Leben und Ulysses, etwa, wenn sie zu ihrem Gesprächspartner sagt: „Wie du redest, bin ich ja fast eine Molly Bloom.“ (P, 369). Der Roman dokumentiert nicht nur ihre Aktivitäten im Laufe des Tages, sondern auch ihre Gedanken und Assoziationen, die in Form des inneren Monologs festgehalten werden, z.B.:

      Ja. Ach. Am Morgen war alles in Ordnung. Und der Teufel hat dich geritten, Penelope, am anderen Ende anzufangen. Wärst du gleich hierher gekommen, wärst du jetzt gewaschen und appetitlich wie Ferkel Tschunja. Dabei hast du es nicht weit, zwei Häuserblocks! Bei Gott, das hat etwas Fatales. […] Aber was jetzt tun? Klagen und beten? Wir reichen uns die Hände und adieu – ihr widmet euch euren Angelegenheiten und Wünschen und ich meinen, genauer, ich hoffnungsloser armer Teufel gehe beten… . (P, 256)

      Der Roman Helena dagegen nimmt Bezug auf Michail BulgakovsBulgakov, Michail Meister und Margarita (1928–1940). Die Parallelen im Aufbau dieser Romane sind sofort zu sehen. Bulgakovs Roman spielt parallel in Moskau in den 1930er Jahren und in Jerusalem um Ostern im Jahr 33 unserer Zeitrechnung; dargestellt wird einerseits ein satirisches Bild des Lebens in der Stalin-Ära und andererseits die „wahre“ Geschichte des Martyriums Jesu (bzw. Ha-Notsri). Der Roman Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohars spielt in Jerewan, Moskau und Tallinn gegen Ende der 1980er Jahre und parallel dazu wird die Geschichte einer Heldin der Antike, der Schönen Helena, erzählt, so wie sie möglicherweise wirklich war: Eine etwas vernachlässigte und gelangweilte Ehefrau findet einen Liebhaber (Paris) und zieht zu ihm. Dies setzt eine Kette von Ereignissen in Bewegung und hat den Trojanischen Krieg zur Folge.13 Auch wenn Markosjan-Käsper das Leben in Tallinn und Jerewan nicht so hart kritisiert, sind auch in ihrem Roman satirisch-ironische Momente durchaus sichtbar, bei denen oft direkt Bezug auf Bulgakovs Text genommen wird. Beispielsweise wird über die Esten gesagt: „Mit einem Wort, ganz gewöhnliche Menschen, und wie alle auch ein bisschen durch die Wohnungsfrage verdorben.“ (H, 73).14

      Des Öfteren wird in diesem Roman auf zahlreiche literarische Werke humorvoll angespielt. Zum Beispiel wird die Liebesgeschichte zwischen Helena und ihrem ersten Mann Abulik als „elend lang, wie ein Roman, etwa Krieg und Frieden

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