Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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umfassendere Abhandlung über Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohars Werke gibt es bis jetzt leider nicht (abgesehen von kleineren Artikeln in der Tagespresse oder kurzen Erwähnungen in Überblicksartikeln). Die vorliegende Studie versucht deshalb, dieses Desiderat zu beheben und ihre Werke in den internationalen Kontext zu stellen. Als erstes werden ihre Romane als Beispiele des transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Schreibens analysiert. Dafür sprechen etliche Gründe. Markosjan-Käsper verfasste ihre Werke auf RussischRusslandRussisch/Russian, jedoch verstand sie sich nicht als russischeRusslandrussisch Schriftstellerin, sondern positionierte sich als Autorin, deren Schaffen von vielfältigen kulturellen Einflüssen beeinflusst ist:

      […] doch wenn ich gefragt werde, dann antworte ich: ich empfinde die russischeRusslandrussisch Literatur mir nicht als besonders nah. RussischeRusslandRussisch/Russian Literatur unterschätzt den Stil, ich aber nehme den Stil sehr ernst. Des Weiteren erkennt die russischeRusslandrussisch Literatur kaum die Ironie an, die aber für mich ein sehr wichtiges Gestaltungsmittel ist. Und generell liegt meiner Seele die französische Literatur am nächsten, ich halte sie für die größte Literatur der Welt […]. Ich lese immer wieder die Werke von Balzac, Zola, Proust und von vielen anderen französischen Schriftstellern. Sicher, ich lese immer wieder auch Dostojevskij und BulgakovBulgakov, Michail. Und dennoch kann ich nicht sagen, dass alle diese Autoren mich inspiriert haben, denn die Inspiration kann man nur von der Perfektion bekommen, […]. (ebd.)

      Also können wir festhalten, dass Gohar Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar zweisprachigZweisprachigkeitzweisprachig aufgewachsen ist und durch ihre (mehrsprachigeMehrsprachigkeitmehrsprachig) Belesenheit vielfältige kulturelle Impulse erhalten hat. Gleichzeitig hat sie nie ihren armenischenArmenienarmenisch kulturellen Hintergrund aufgegeben, auch wenn sie einen sehr großen Teil ihres Lebens in EstlandEstland/Estonia verbracht hat. So sind in ihren Werken viele Themen und Züge erkennbar, die auch in Werken von deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Autoren vorhanden sind. Diese Züge werden im Folgenden hervorgehoben und im Vergleich mit einigen transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Autoren aus DeutschlandDeutschland dargestellt. Des Weiteren wird auf den Begriff der mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Literatur eingegangen und Markosjan-Käspers Romane in diesem Kontext analysiert. Im Fokus dieser Studie stehen die Romane Penelope, die Listenreiche (2002) und Helena (2003).1

      2 Gohar Markosjan-Käsper Markosjan-Käsper, Gohar als Autorin transkulturellerTranskulturalitättranskulturell Literatur

      Wenn wir über Literatur sprechen, die von Menschen mit MigrationshintergrundMigrant/inMigrationshintergrund geschaffen wurde, denken wir an die früheren Begriffe wie „Gastarbeiterliteratur“, „littérature des immigrations“, „littérature des Beurs“, „Black British Literature“ oder an jüngere Termini wie „HybriditätHybridität“, „transkulturelleTranskulturalitättranskulturell Literatur“ oder gar an „neue WeltliteraturWeltliteratur“ (Glesener 2016). Implizit wird dabei wohl an Literatur in den großen Weltsprachen gedacht. Viel weniger hat die globale Forschung ihre Aufmerksamkeit den kleineren Sprachen und Literaturen gewidmet. Es mag vielleicht überraschend sein, doch hat auch die Literatur in EstlandEstland/Estonia eine sehr lange Tradition des multikulturellen Schreibens, denn die estnischsprachige literarische Kultur nahm ihren Anfang im Kontaktfeld von mehreren Sprachen und Kulturen (Heero 2019: 144–146).

      Neben der deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig (Lukas 2008: 23–32) hat auch die russischsprachige Literatur in EstlandEstland/Estonia (estn. vene kirjandus Eestis) eine lange Tradition. In der estnischenEstland/Estoniaestnisch Literaturgeschichtsschreibung wird ihr Beginn im Jahr 1918 angesetzt, das die Gründung der EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian Republik markiert. Die russischsprachige Literatur, die davor geschaffen wurde, zählt man im Allgemeinen zu der Literatur des RussischenRusslandRussisch/Russian Imperiums; bei diesen literarischen Texten ist kaum ein spezifischer EstlandEstland/Estonia-Bezug festzustellen (Belobrovtseva 2018: 102). Es sollte vermerkt werden, dass die Geschichte dieser Literatur eng mit der Geschichte der MigrationMigrant/inMigration aus RusslandRussland (später aus den Gebieten der SowjetunionSowjetunion) verbunden (ebd.: 110–118)1 und das Schaffen der russischenRusslandrussisch Literaten in EstlandEstland/Estonia oft den russischenRusslandrussisch Literaturtraditionen verpflichtet ist. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat man angefangen, diese Literatur als ein Beispiel des Schreibens zwischen den Sprachen und Kulturen zu kontextualisieren (ebd.: 119). Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohars Werk Helena, in dem die MigrationserfahrungMigrant/inMigrationserfahrung einer Frau in EstlandEstland/Estonia der 1980er und 1990er Jahren beschrieben wird, lässt sich daher als Beispiel transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Schrifttums darstellen. Es soll dabei aber betont werden, dass die Geschehnisse dieses Romans aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers dargestellt werden. Die Heldin erscheint wie ein Untersuchungsobjekt, an dem ein Versuch durchgeführt wird, um die Frage zu beantworten, ob sie in einer neuen Kultur zurechtkommt oder nicht. Dieser Versuch wird von dem Erzähler genau beobachtet, (vergleichend) analysiert und teilweise humorvoll kommentiert.

      Als transkulturelleTranskulturalitättranskulturell Literatur wird im Kontext dieser Studie im Allgemeinen das Schaffen der Autoren verstanden, die ihre Werke in einer Sprache verfassen, die nicht ihre MutterspracheMuttersprache/mother tongue ist und die die Erfahrung des kulturellen Anders-Seins reflektieren. In der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft wurden in den 1960er und 1970er Jahren solche Werke als „multi- oder interlinguale Literatur“ bezeichnet, mit der „literarisch ausgestalteten Identitätsproblematik“ als Hauptthema (Baumgärtel 1997: 54). Die Autoren wurden auf der Grundlage eines statischen Identitätskonzepts gerne als Personen dargestellt, die ständig auf der Suche nach ihrer IdentitätIdentität/identity sind und unter dem Leben in der FremdeFremdheitFremde leiden (Amodeo 1996: 42). Diese Thematik ist heute wohl nicht mehr ganz aktuell. Deshalb haben sich auch Begriffe wie Literatur der TranskulturalitätTranskulturalität oder sogar der Transdifferenz durchgesetzt. Diese überwinden die binären Grenzziehungen zwischen den Kulturen und implizieren die Tatsache, dass die zeitgenössischen Kulturen denkbar stark miteinander verbunden und verflochten sind. Präziser noch: Es geht um die wechselseitige Überlagerung von kulturellen Zugehörigkeiten innerhalb der sichtbaren Differenzen. Dabei wird die Differenz nicht aufgehoben, sondern das kulturelle Anderssein wird als etwas Positives hervorgehoben und bewusst gepflegt (Allolio-Näcke u.a. 2005: 27), auch wenn es manchmal von negativen Erfahrungen begleitet und zu Konfrontationen mit den Vertretern anderer Kulturen führen kann.

      In der transkulturellenTranskulturalitättranskulturell Literatur werden diese Erfahrungen des Lebens zwischen zwei Kulturen oft thematisiert und es wird der Prozess der Aneignung einer neuen Kultur literarisch analysiert. Diese kulturelle Selbstfindung bzw. Selbstreflexion wird oft auf konkrete Orte bezogen, was auch mit der „Erfahrung des Unterwegsseins“ verbunden sein kann (Heero 2009: 208–209). Tallinn, die estnischeEstland/Estoniaestnisch Hauptstadt, erscheint in Helena anfangs kalt, anonym und einer typischen skandinavischenskandinavisch Großstadt ähnlich. Die Menschen, die dort leben, scheinen an ihrer GegenwartGegenwart zu leiden, sie sind ständig gehindert, ihre Träume oder ihren beruflichen Ehrgeiz auszuleben und gleichzeitig damit beschäftigt, ihren Alltag zu bewältigen (ebd.: 216–217). Auch Helena möchte in Tallinn als Heilmedizinerin praktizieren, kann es aber nicht, denn einerseits beherrscht sie die LandesspracheLandessprache nicht, andererseits gelingt es ihr nicht, in einer kulturell fremdenFremdheitfremd Umgebung ein soziales Netzwerk aufzubauen:

      Tatsächlich musste sie mit drei bis vier Patienten im Monat zufrieden sein, und auch diese Zahl besaß die Tendenz, eher rückgängig als wachsend zu sein. Wenn man in ArmenienArmenien einen Menschen kuriert, schickt er zehn neue zu dir, er spricht mit allen darüber, lobt dich mehr als eine Werbeagentur, seine Verwandten, Freunde, Kollegen werden dann geradezu deine Tür einrennen […]. In EstlandEstland/Estonia konntest du eine Leiche auferstehen lassen, und keine Seele hat davon erfahren, die Leiche jedenfalls teilte den anderen diese Nachricht nicht mit, nach der Auferstehung aus dem Grab ging sie am nächsten Tag ruhig zur Arbeit und wenn jemand fragte, wie es ihr gelang, wieder aufzuerstehen, lächelte sie nur geheimnisvoll.

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