Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов

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10). Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar benutzt beispielsweise in Helena estnischeEstland/Estoniaestnisch Wörter und Wendungen, um mit diesen typische kulturelle Verhaltensweisen zu illustrieren. „Sie behandelte […] eine ältere schwatzhafte Russin, die immer nach drei Worten das estnischsprachige ‚kurat‘ hinzufügte, […] und einen estnischenEstland/Estoniaestnisch jungen Mann, der außer ‚tere‘ und ‚head aega‘6 kein einziges Wort in keiner Sprache sagte“ (H, 131). Illustriert werden hier sowohl die Wortkargheit der Esten als auch bestimmte Sprechweisen der Nicht-Esten, die die LandesspracheLandessprache nicht besonders gut beherrschen.

      Thematisiert wird auch die estnischeEstland/Estoniaestnisch SprachpolitikSprachpolitik nach der Wende. 1995 trat nämlich das neue Sprachgesetz in Kraft, womit der Sonderstatus des RussischenRusslandRussisch/Russian als obligatorische Sprache der AmtskommunikationKommunikation aufgehoben und EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian als offizielle Staatssprache festgelegt wurde (RT I 1995, 23, 334). Für viele Nicht-Esten bedeutete dies, dass sie eine neue Sprache erlernen mussten. In Helena kommentiert der Erzähler dies wie folgt: Menschen, die ihre HeimatHeimat verlassen, um ein besseres Leben zu finden (dazu habe gewisserweise auch Helena gehört), sind bereit, neue Regeln und eine neue Sprache zu lernen. Diejenigen aber, die sich „mit ihrem Haus, ihrer Arbeit und ihren Gewohnheiten“ (H, 95) plötzlich in der unabhängigen Republik EstlandEstland/Estonia fanden, wollten kein EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian lernen:

      Drittens, guter Leser, wenn ein Provinzbewohner nach Rom zog, dann wurde natürlich von ihm erwartet, dass er römische Sitten befolgt, – doch wer hat von einem Römer erwartet, wenn er in einem fernen Gebiet des Imperiums ankam, dass er etwa nach den Sitten der Chaldäer lebt? Das Bewusstsein des Imperiums ist langlebiger als das Imperium selbst. (H, 95–96)

      Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass „die meisten JudenJude/Jew und ArmenierArmenienArmenier EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian schnell gelernt haben. Sicher, hier hat der praktische Sinn dieser Nationalitäten eine Rolle gespielt […].“ (H, 96) Auch Helena lernt pflichtbewusst EstnischEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, obwohl sie als Russischsprechende sich manchmal darüber ärgert; aber sie als Kosmopolitin konstatiert, dass man die historischenhistorisch Gründe, aus welchen die Esten ein solches Gesetz erließen, sehr gut verstehen kann (ebd.).

      Die englischeEnglisch/English Sprache kommt in diesem Roman eher selten vor, meist in Form von Floskeln wie „happy end“ (H, 113) oder festen Begriffen wie „make-up“ (H, 8). Des Öfteren aber wird die Verwendung des EnglischenEnglisch/English thematisiert. EnglischEnglisch/English wird in diesem Roman als eine inhaltslose Sprache „des Bill Gates“ (H, 96), der kapitalistischen PolitikPolitik/politics und Bürokratie empfunden und das Sprechen auf EnglischEnglisch/English mit zu schneller AmerikanisierungAmerika/USAAmerikanisierung assoziiert (H, 97–98). Helena gibt ehrlich zu, dass sie selbst kein EnglischEnglisch/English kann und sie sieht mit Befremden, wie Politiker, die ebenfalls dem EnglischenEnglisch/English nicht besonders mächtig sind, die Sprache trotzdem sprechen, und zwar mit einem starken Akzent: „[…] haben doch die stolzen Präsidenten der drei baltischenBaltikumBaltisch Staaten miteinander auf EnglischEnglisch/English kommuniziert, wenn sie auf einem sammit7 zusammentrafen.“ (H, 97). Ähnlich wirken auch literarisch-kulturelle Anspielungen auf EnglischEnglisch/English. So wird indirekt auf das Schauspiel Pygmalion von George Bernard Shaw bzw. auf das Musical My Fair Lady von Frederick Loewe und Alan Jay LernerLerner, Ben verwiesen: „[…] Liana stoppte plötzlich und begann, mit der Begleiterin des Wikingers [Olev] unisono zu schwätzen, indem sie den üblichen, aus StandardausdrückenStandard bestehenden Begrüßungswechsel durchführte (how do you do, mrs. Higgins)“ (H, 30). Damit wird auf die Inhaltslosigkeit des Small-Talks und die Oberflächlichkeit der Konversation hingedeutet – was einerseits mit der literarischen Anspielung konvergiert, andererseits aber auch die eher kritische Einstellung gegenüber der englischsprachigen (die in diesem Roman weitgehend mit der amerikanischenAmerika/USAamerikanisch gleichgesetzt wird) Kultur, Gesellschaft und PolitikPolitik/politics verdeutlicht.

      Sehr oft dagegen kommt in diesem Roman LateinLatein in Form von Sentenzen vor, um bestimmte Situationen zu illustrieren oder um Gedankengänge der Heldin auf indirekte Art zu verdeutlichen. So wird nicht explizit gesagt, dass sie sich gerne tragische Theaterstücke und Filme anschaut, sondern es wird mit einer Sentenz erklärt: „[…] sie hatte während des ganzen zweiten Akts von Ljubimovs Sonnenaufgängen geweint […] das hielt sie nicht davon ab, später mit doppeltem Genuss an die Sonnenaufgänge8 zu denken, das ist nichts Seltsames, denn est quaedam flere voluptas.“9 (H, 27). An einer anderen Stelle weist die lateinischeLateinLateinisch Sentenz darauf hin, dass Helena, obwohl sie sich in estnischer Kultur schon gut orientiert, doch an ihren Wurzeln festhält: „[…] Liebling, du bist schon einigermaßen wie eine Estin geworden, sagte ihr einmal eine von ihren wenigen Bekannten in Tallinn, natürlich eine Russin; caelum, non animum mutant, qui trans mare currunt,10 hatte Helena entgegnet“ (H, 113). LateinischeLateinLateinisch Sentenzen erscheinen also meistens an Stellen, wo Helenas Gedanken oder Stellungnahmen weitergegeben werden – möglicherweise, um ihre gewisse Wesenszüge, ihre Bildung und ihre Intelligenz zu illustrieren und ihre Ideen zu bekräftigen.

      Laut Dembeck und Parr kann sich in einem Text neben der expliziten auch die implizite MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit manifestieren, zum Beispiel durch ÜbersetzungÜbersetzung/translation: „[…] wenn gesagt wird, eine Person spreche jetzt SpanischSpanienSpanisch, die Worte, in denen man diese Rede vor sich sieht, aber klar dem EnglischenEnglisch/English zugehören“ (Dembeck/Parr 2017: 10). Auch bei Markosjan-KäsperMarkosjan-Käsper, Gohar finden sich ähnliche Beispiele dieser impliziten oder latenten MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitlatente Mehrsprachigkeit, auch wenn sie eher andeutungsweise zur Geltung kommen. In Penelope, die Listenreiche wird etwa erklärt, dass die Heldin und ihre Schwester miteinander RussischRusslandRussisch/Russian sprechen, obwohl ihre Eltern ArmenischArmenienarmenisch als Umgangssprache pflegen (P, 218). Es ist nicht ganz klar, in welcher Sprache Penelope mit ihren Eltern kommuniziert, doch vermutlich ist es ArmenischArmenienarmenisch. Jedoch stehen im Text auch die DialogeDialog zwischen Penelope und ihren Eltern in der Originalsprache (RussischRusslandRussisch/Russian). Aus Helena erfährt der Leser, dass diese auf ArmenischArmenienarmenisch erzogen wurde, jedoch in der Schule sehr gut RussischRusslandRussisch/Russian lernte und deshalb diese Sprache als ihre „eigene“ betrachtet (H, 106). Auch wird erklärt, dass ArmenierArmenienArmenier gerne RussischRusslandRussisch/Russian als ZweitspracheZweitsprache lernten und sie auch gut sprachen, im Gegensatz zu den Esten, die zwar RussischRusslandRussisch/Russian lernten, aber beim Sprechen „weder den hohen Stil noch die fließende Umgangssprache“ (H, 97) demonstrierten.11 Hierzu sollte erklärt werden, dass die sowjetischeSowjetunionsowjetisch SprachpolitikSprachpolitik, die die NationalsprachenNationNationalsprache unterdrückte, in ArmenienArmenien teils mit Pragmatismus betrachtet wurde, denn der Abschluss einer russischenRusslandrussisch Schule und tiefe Kenntnis der russischenRusslandrussisch Sprache boten bessere Karrieremöglichkeiten (Grenoble 2003: 122f). Deshalb wurde für einen großen Teil der Schüler RussischRusslandRussisch/Russian eine Bildungs- und Gelehrtensprache, während ArmenischArmenienarmenisch für sie eine vorwiegend mündlicheMündlichkeitmündlich Umgangssprache blieb (Markosjan-Käsper 2006: 69). Die Folge jedoch war „das Sprachgemisch“, der eigentümliche „Mix, in dem sich halb Jerewan verständigte“ (P, 216) und die sprachlichen „HybridenHybriditätHybridsprache“ (P, 218).

      Des Weiteren, so Dembeck und Parr, zeige sich in mehrsprachigenMehrsprachigkeitmehrsprachig Texten auch „die Verwendung ‚fremdsprachlicherFremdsprachefremdsprachlich‘ metrischer Muster, die ‚wörtliche ÜbersetzungÜbersetzung/translation‘ anderssprachigeranderssprachig idiomatischer Wendungen, die Verwendung übersetzter anderssprachigeranderssprachig ZitateZitat“, die eine andere Sprache innerhalb des Textes implizieren (Dembeck/Parr 2017: 11).

      Willms und Zemanek sehen solche Texte als HybrideHybriditätHybridsprache, „gekennzeichnet durch Merkmale wie Heterogenität und InterferenzInterferenz, Dialogizität und PolyphoniePolyphonie, Dezentralisierung und Subversion“ (Willms/Zemanek 2014: 3). Als Beispiel können hier die Sprachspiele, sprachliche Witze und Neuschöpfungen

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