Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11 - Inger Gammelgaard Madsen страница 11
„Es geht ja nicht nur um verwöhnte Tussis, die Jungs sind auch in der Statistik vorne mit dabei. Natürlich ist es wichtiger, über die Morde zu berichten, wenn sich in den Ermittlungen etwas Neues tut, aber was willst du bis dahin machen? Hier rumsitzen und in der Nase bohren?“
„Ich will mich an den Kriminalstoff halten, der ist nun mal mein Fachgebiet. Ich finde, das ist viel wichtiger als die Sprösslinge von Tierkarten-Eltern, die nicht ihren Willen kriegen.“
„Tierkarten-Eltern?“
„Ja, die Sorte Eltern, die sich darüber beschwert, dass ihre Sprösslinge nicht alle Tierkarten für das Sammelalbum kriegen können, das Føtex und Bilka in der Werbung hatten. Oder Curling-Eltern oder Helikopter-Eltern – nenn sie, wie du willst.“
Anne sagte das, weil Jytte selbst so ein Elternteil war. Auch ihr Sohn wurde von vorn bis hinten bedient, ohne dass die geringsten Anforderungen an ihn gestellt wurden.
„Okay, dann kümmere ich mich einfach selbst um diese Sache hier“, sagte Jytte und zeigte Anne den Bildschirm ihres iPhones. Darauf war das Foto eines jungen Mädchens mit langen, schwarzen Haaren und einem netten, runden Gesicht.
„Was ist mit ihr?“
„Sie hat gerade versucht sich umzubringen, nach Aufforderung der Nutzer einer Hassgruppe, die gegen sie auf Facebook erstellt wurde.“
Anne riss die Augen auf. „Und die macht das einfach?“
Jytte legte den Kugelschreiber auf den Tisch und lehnte sich zu ihr herüber.
„In den sozialen Medien gibt es viel Mobbing, Anne. Einige der sensibleren Jugendlichen kommen damit psychisch nicht klar und dann kann es enden wie hier im Fall von Mille Søndervang – dass der Gemobbte versucht, sich das Leben zu nehmen. Glücklicherweise ist ihr das nicht gelungen, anderen aber schon. Meinst du immer noch, dass das nicht zum Thema Kriminalität gehört?“
„Ich habe natürlich von Selbstmord aufgrund von Mobbing gehört. Warum wurde sie überhaupt Opfer einer Hassgruppe?“, fragte Anne etwas interessierter.
„Es muss keinen besonderen Grund geben, es reicht, wenn du dich blamiert hast oder nach Meinung der anderen falsch aussiehst – ja, vielleicht, dass ein Haar in der einen Augenbraue in die falsche Richtung wächst. Milles Gesicht war wohl ein bisschen zu rund, um den Idealen zu entsprechen. Melonenkopf wurde sie unter anderem genannt.“
„Ich finde, sie sieht richtig nett aus, gerade wegen des runden Kopfes.“
„Ja, nicht wahr? Aber das Schlimmste war wohl auch, dass ein Ex-Freund ein Video von ihr auf YouTube gestellt hat. Sie war unter der Dusche.“
„Ach Gott, na und“, meinte Anne und gestikulierte dabei unwillkürlich mit den Armen.
„Ja, das sagst du! Aber so etwas kann ein junges, unsicheres Mädchen völlig aus der Bahn werfen. Besonders, wenn es nicht weiß, dass es gefilmt wird, und das ausgerechnet in einer Situation, wo es die Brause benutzte …“
Jytte sah sie an und hob vielsagend eine Augenbraue.
„Die Brause benutzte? Das macht man doch, wenn man duscht.“ Dann ging ihr ein Licht auf. „Ah, du meinst, Mille benutzte die Brause …“
Anne deutete auf ihren Schritt.
Jytte nickte. „Genau. Das war natürlich peinlich für sie und das Video wurde schnell überall im Internet geteilt. Erinnerst du dich nicht an sie?“
„Ich folge keinen Hassgruppen auf Facebook, Jytte.“
„Nein, aber sie war hier im Studio, um davon zu erzählen, dass sie in den sozialen Medien gemobbt wurde. Danach ist die Hassgruppe entstanden.“
„Was hat sie denn erwartet?“
„Wohl, dass das Mobbing aufhört. Dass sie einigen leid täte und sie mit ihr sympathisieren würden, aber es trat exakt das Gegenteil ein, und dann hat ihr Ex-Freund mit diesem Video sein Übriges beigetragen. Das war wahrscheinlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“
Anne wusste nicht recht, ob sie sich in die Situation hineinversetzen konnte. Was war denn falsch daran, in der Dusche zu masturbieren? Das machten doch wohl alle? Natürlich war das eine private Situation, aber trotzdem. Selbstmordversuch?
„Es muss mehr dahintergesteckt haben. Wo sind ihre richtigen Freunde und ihre Eltern in dem Ganzen hier?“
„Tatsächlich war ihre Mutter diejenige, die sie aufgefordert hat, mit ihrem Problem ins Fernsehen zu gehen. Sie war damals mit im Studio.“
„Und du bist dir sicher, dass die Mutter nicht bloß ins Fernsehen wollte?“, fragte Anne und machte einen Punkt in ihrem Beitrag über den Überfall am Brabrandpfad.
„Jedenfalls hat sie ihre Tochter unterstützt. Mille war damals neu in der Schule, sie waren gerade in die Innenstadt gezogen. Daher dachte die Mutter, dass sie deswegen gemobbt wurde, aber nachdem sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen, ist das Mobbing an dieser neuen Schule jetzt nur noch schlimmer geworden. Und unser Chef meint, dass wir die Episode des Themas dafür nutzen sollen, den Zuschauern zu vermitteln, wie schief es gehen kann, wenn man so etwas nicht Einhalt gebietet.“
Anne lehnte sich auf dem Stuhl zurück, verschränkte die Arme im Nacken und streckte sich. Das tat gut am Rücken.
„Wobei soll ich helfen – ja, also, nur während ich darauf warte, dass in der Ermittlung der Mordfälle etwas passiert?“
„Du kennst dich besser mit diesen sozialen Medien aus als ich. Könntest du versuchen herauszufinden, wer diese Hassgruppe initiiert hat? Es wäre mal eine andere Perspektive, den Mobber näher zu beleuchten, statt immer nur über das Opfer zu hören.“
„Ja, aber ich kann ja auch nicht einfach so …“
„Dir fällt schon was ein, Anne“, unterbrach Jytte, setzte die Brille auf und wandte sich ihrem Computerbildschirm zu. Anne wusste nur zu gut, was Jytte mit dieser Anspielung meinte; dass sie sich etwas einfallen lassen sollte. Etwas, auf das Jytte selbst sich nie einlassen würde. Und das war sicher auch richtig, denn Anne konnte sich nicht vorstellen, dass Jytte sich in einer Hassgruppe bei Facebook anmeldete. Anne holte einen roten Apfel aus ihrem Rucksack und polierte dessen Oberfläche an ihrem Pullover, bis sie glänzte.
„Weißt du wenigstens, wie diese Hassgruppe heißt?“, fragte sie und biss knackend in den Apfel.
Jytte blätterte in ihrem Notizblock. „Die heißt einfach ‚Hassgruppe für alle, die Mille Søndervang hassen‘.“
„Wie originell“, kaute Anne und loggte sich bei Facebook ein. Aber konnte sie sich einfach so anmelden? War sie mittlerweile nicht schon zu bekannt, wodurch alle wissen würden, dass sie ‚diese Journalistin‘ von TV2 Ostjütland war? Aber zum Glück konnte man sich bei Facebook ja problemlos als jemand anderes ausgeben.
Die geschlossene Gruppe hatte knapp 50 Mitglieder. Unter dem Namen Der Fink, von dem sie meinte, er würde gut in eine Hassgruppe passen, registrierte sie sich als Mitglied und wählte eine graue, anonyme Silhouette als Profilbild.