Digital lehren. Thomas Hanstein

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Digital lehren - Thomas Hanstein

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ist lediglich die Grundlage eines Diskurses über Möglichkeiten und Grenzen einer Anpassung der Bildungssysteme. Allerdings waren die technischen Fragen bis zum Ende des Schuljahres 2019/20 bzw. des Sommersemesters 2020 die meisten Anliegen aus Kollegien. Insofern bezeichnet das Adjektiv „revolutionär“ den Anschluss einer seit Jahrzehnten in Bewegung befindlichen Diskussion über die Paradigmen von Bildung schlechthin. Dass diese Debatte damit ziemlich genau eine Lehrer-Generation alt ist, ist kein Zufall: Denn die tief liegenden Glaubenssätze über das Wesen über die Entstehung und Weitergabe von Wissen bilden den Kern der aufgebrochenen Debatte. Bereits sieben Wochen nach den Schulschließungen durch die Corona-Ausgangseinschränkungen lag eine erste deutschlandweite empirische Studie – quantitativ anhand von 2000 Fragebögen erhoben – zum „Homeschooling“ vor. Kollegen an der Universität Konstanz-Landau wiesen zum ersten Mal nach, was Kinder, Eltern, Lehrer und Schulleiter ebenso befürchtet hatten: Dass die Eltern-Kind-Beziehung durch die Struktur des „Homeschooling“ in Mitleidenschaft gezogen wurde und – wen mag es wundern – die hinzugekommene Organisations- und Unterstützungsarbeit vor allem ein Job der Mütter war (vgl. https://www.uni-koblenz-landau.de/de/landau/fb5/aktuelles/befragunghomeschooling; Zugriff: 01.05.2020).

      Die Änderung des Raumes und die Auswirkungen der (zumeist unreflektierten) Bedingung, dass das bislang Ausgelagerte – das institutionelle Lehren und Lernen – in den privaten Raum gleichsam hineingetragen wird, sind wichtige Komponenten des virtuellen Lernens. Allerdings sind – bzw. wären: im Hinblick auf den erfolgten „Sprung ins kalte Wasser“ durch das angeordnete „Homeschooling“ – Fragen der Selbststrukturierung, der Präsenz und Verfügbarkeit im Vorfeld zu klären, weil sie Dynamiken entfalten, die beim angelaufenen Betrieb schwer aufzuhalten sind. Diese Verlagerungen, die unausweichlich, aber in ihrer Auswirkung bei guter Vorbereitung (!) durchaus steuerbar sind, müssen im Vorfeld bewusst gemacht werden. In der Corona-Krise jedoch wurden flächendeckend Lehrende wie Lernende mitsamt ihren Eltern in ein „Lernexperiment“ hineingeworfen. Lehrer wie Schüler hatten über drei Monate hinweg zu improvisieren. Zentral war dabei – das wurde in allen Gesprächen deutlich – der „Stoff“ und nicht die Lehrer-Schüler-Beziehung. Lehrer, die es strukturell gewohnt sind, vor wichtigen Veränderungen eine Fortbildung zu erhalten, waren auf sich allein gestellt. Sie suchten nach Plattformen und Diensten, mit denen sie besten Wissens und Gewissens ihrer Arbeit weiterhin nachgehen konnten – und auch urheber- und datenschutzrechtliche Regeln wurden dabei oft nicht mehr beachtet. Sich „durchzukämpfen“ war angesagt, in diesem angeordneten „Corona-Kampf-Modus“.

      Die Bildungstheorie hat auf diese epistemischen Hemmnisse in der Verbreitung von E-Learning – angesichts einer mittlerweile guten bis sehr guten Infrastruktur – schon 2007 hingewiesen (vgl. Gruber, 2007, S. 123–132). Dieser Wirkungszusammenhang ist so unstrittig, dass er bereits in der Lehrerausbildung als „Selbst- und Fremdbild der Lehrperson“ zum festen Bestandteil geworden ist. Insofern macht unser Buch kein “neues Fass“ auf, sondern weist auf diese Debatte aus aktuellen Anlässen hin: Die aktuell verantwortlichen Entscheider und Praktiker haben nämlich – und das ist eine entscheidende Prämisse! – kein eigenes Erfahrungsbild des Lernens und Lehrens in digitalen Medien. Damit ist die eigene Bildungsbiografie samt deren Reflexion das Gravitationszentrum des eigenen Lehrhandelns – auf das wir wie mit physikalischer Gesetzmäßigkeit zurückgeworfen werden. Daher mögen die Kollegien die zulässige Kritik geduldig ertragen, dass durch die Schließung der physischen Institution das gleichmäßige Distribuieren von Aufgabenblättern und deren umständliche Kontrolle als (so etwas wie) „Unterricht“ verstanden worden ist. So manches Kollegium ist in dem sicher berechtigten Höhenflug der Kompetenzerfahrung 2020 aus mediendidaktischer Sicht an der Jahrtausendwende angekommen – andere setzen nun zu diesem Quantensprung, heraus aus der „digitalen Steinzeit“, an.

      Was mit ein wenig zeitlichem Abstand zwischen Zynismus und Fatalismus schwingt, ist ein simpler Zusammenhang: Die derzeit in der Digitalisierung gefragten und herausgeforderten Lehrenden können sich auf nichts berufen, was ihnen eine existenzielle Sicherheit ihrer Lehrendenrolle vermitteln könnte. Nicht die eigene Biografie und natürlich auch nicht die mitunter Jahrzehnte zurückliegende Lehrerausbildung. Doch was noch so gute Fortbildungsangebote nicht vermocht hätten, lag als Potenzial in der Corona-Krise, ganz im Sinne von Max Frisch’s Bonmot: „Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Jeder gute Lehrer ist auch ein gutes Stück weit kreativ. Seine Kreativität mündet in gelungener Improvisation, die stimmig auf eine bestimmte Klasse oder einen Kurs adaptiert wird. Die Schulschließungen und eine fehlende – für Behörden notwendige – Vorlaufzeit haben an diesen Basisqualitäten (ohne es zu wollen) wieder angesetzt und ganz neue, zum Teil ungeahnte Potenziale zum Vorschein gebracht. Kollegen, die sich jahrelang vor Whiteboard und Laptop gedrückt hatten, mussten ihre bewährte Komfortzone verlassen und über ihren eigenen (virtuellen) Schatten springen – in aller Regel mit Erfolg. Nach dem schrittweisen „Zurück“ aus dem Shutdown sehnte sich hier und da so mancher auch zurück in sein „altes“, analoges Klassenzimmer. Doch der „Rubikon“ ist überschritten, ein komplettes „Zurück“ in die „guten alten“ Zeiten wäre für die Bildungslandschaft fatal.

      Was also ist das Angebot dieses Buches? Mit dem Verweis auf eine seit circa 10 Jahren bestehende Empirie in virtuellen Lehr- und Lernsettings einer Fernhochschule soll ein reflektierter und methodisch-didaktischer Beitrag zur bildungstheoretischen und aktuellen lehrpraktischen Debatte geleistet werden. Basis für die Beantwortung dieser Fragen sind Expertengespräche, welche die Bildungsbiografie von Lehrenden mit den Erfahrungen kontrastieren, die in den letzten 10 Jahren der virtuellen Lehre zu beobachten waren. Damit repräsentieren diese Rückmeldungen die didaktischen Erkenntnisse der ersten Kohorten virtueller Studiengänge überhaupt, was mit einem Exkurs zum Designfernstudium näher dargestellt wird. Eine zweite Basis bieten erste Umfragen unter Lehrenden und Lernenden, unmittelbar nach dem Shutdown und der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts. Diese liefern bereits wichtige erste Erkenntnisse und sollen in den nächsten Monaten (mehr war bis zur Drucklegung nicht möglich) noch qualitativ untersucht werden. Über die Synthese dieser Datenquellen war es möglich, ein vielschichtiges Bild dieses – für alle Schulen und viele Hochschulen in Deutschland – neuen Phänomens als Praxisleitfaden zu entwickeln.

      Eine dritte Perspektive auf das Thema ergab sich durch die Reflexion von Methoden, die sich durch das virtuelle Coaching in den letzten Jahren erfolgreich etabliert haben und die für einen als Coaching verstandenen Unterricht einen methodisch-didaktischen Gewinn darstellen.

      Nach einem knappen theoretischen Teil zur grundsätzlichen Frage nach gutem Unterricht versteht sich der eigentliche Hauptteil des Buches als methodischer Praxisleitfaden. Entlang von Prinzipien, die aus dem Coaching und der Schulung von virtuell Lehrenden entstanden sind, wird über tatsächlich erlebte Lehr-Lern-Situationen verdeutlicht, wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Präsenz- und virtuellem Unterricht liegen. Dies soll aus der alltäglichen Sicht von Lehrenden deutlich werden, sodass die gemeinsame Reflexion auf die personale und die methodische Kompetenz lehrpraktisch nachvollziehbar wird. Um beide zu stärken, und damit den klassischen Schwerpunkt des Unterrichts – die Beziehungsdidaktik – werden im praktischen Schwerpunkt 64 Methoden vorgestellt (wobei sich die Zahl im Laufe der Lektüre, spätestens am Ende des Buches erschließen wird). Zwar ist mit dem Frühjahr 2020 eine Vielzahl an Einzelhinweisen und Sammlungen zu Apps und digitalen Tools für virtuelle Lehre und Fernunterricht entstanden. Wir knüpfen bewusst nicht daran an. Dass ist keine Wertung über dieses große Engagement und die kreativen Suchbewegungen. Doch wir gehen in unserem Unterricht und unserer Lehre nach dem Credo vor: Was sich im analogen Raum bewährt hat, muss als erstes für den virtuellen Unterricht auf Brauchbarkeit überprüft – und dann adaptiert und so zu sagen in die Digitalisierung hinüber „gerettet“ werden. Auch, dass wir in diesem Buch sparsam mit Hinweisen auf entsprechende Apps und digitale Tools sind, bedeutet keine Ablehnung gegenüber diesen Instrumenten. Viele davon nutzen wir selbst. Doch ist erstens nicht absehbar, wie lange die einzelnen Angebote auf dem Markt sind, wie

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