Digital lehren. Thomas Hanstein
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Neben der anhaltenden Reflexion der Persönlichkeit und Wirksamkeit des Lehrenden sowie der „teacher beliefs“ muss bei dieser doppelten Herangehensweise deshalb die erste Frage sein:
Und: Was ist eigentlich „guter“ Unterricht?
Denn, nur wenn hierüber weitestgehende Einigkeit besteht, ist es möglich, den Blick auf die Frage nach einem guten Fernunterricht und einer guten virtuellen Lehre zu richten. Anders gefragt: Wodurch wird und wann ist Unterricht „gut“?
Um nochmals bei Hattie anzusetzen, können die Glaubwürdigkeit des Lehrenden, seine im Lernprozess gegebenen Rückmeldungen an die Lerngruppe, die Anregung zur Diskussion im Unterricht, eine verständliche und klare Sprache des Lehrenden sowie – wie oben bereits angedeutet – regelmäßiges Feedback von Seiten der Lernenden als die fünf wichtigsten so genannten inferenten Faktoren betrachtet werden (vgl. Hattie, 2012, S. 251–254). Hilbert Meyer hat diese Erkenntnisse in seiner Hattie-Analyse durch die ältere Lehrerbildungs-Metaanalyse von Seidel & Shavelson (vgl. Seidel/Shavelson) bestätigt. Und fordert daraus für einen guten Unterricht: Er ist durch ein angemessenes Lerngerüst – scaffold leitet er aus der englischsprachigen Unterrichtsforschung ab – gekennzeichnet. Dieses „Geländer“ garantiere sowohl den individualisierenden wie den kooperativen Unterricht, freilich in einer gelungenen Mischung: „Wichtiger als der leidige Streit über die Frage, ob offener Unterricht besser als der herkömmliche lehrerzentrierte Unterricht ist, ist die Frage, welche Lerngerüste in allen Grundformen aufgebaut werden“ (Meyer, 2013, S. 9).
Abb. 1: Scaffolding durch ein Lerngerüst
Mit diesem Hinweis wird auch klar, dass es nicht das eine verbindliche Rezept für den guten Unterricht geben kann. Doch es bestehen bewährte Ansätze, die auf die virtuelle Lernwelt zu übertragen lohnenswert sind. Denn sie formulieren Prämissen, die unabhängig von Alter und Schulart sowie ebenso von Unterrichts- und Studienfach gelten. Ein weitestgehend geteiltes pädagogisches Axiom ist das Verständnis von Unterricht als Bildungsgeschehen. Wird dieser Auftrag vom Lehrenden verinnerlicht, so wird bereits dieser Begriff fragwürdig, da sich das „Lehren von etwas“ bereits auf die Prozesshaftigkeit des „Lernens von“ verschiebt. Insofern ist es konsequent, wenn die Erziehung zur Selbstständigkeit als eines der nächsten Ziele abgeleitet wird. Wolfgang Klippert hat diesen Ansatz zu den Visualisierungen „Lernspirale“ und „Haus des Lernens“ ausgebaut (vgl. Klippert, 2001). Beide sind aufgrund ihrer Bildsprache anschaulich und eingängig: Mit Hilfe der Lernspirale „bohrt“ sich der Lernende in seiner Geschwindigkeit in das Thema – im besten Fall in eine für ihn individuell motivierende Herausforderung – hinein. Um dieses komplett „gebohrt“ zu bekommen, bedarf es mehrerer Schritte, auch des „Herausziehens“ des Werkzeuges, sodass sich diese Methode durch ihre Strukturierung und ihre bewusste Mehrstufigkeit – in Analogie zum Werkunterricht: Anreißen, Vorbohren, Nachbohren, Entgraten – auszeichnet. Ein solches Vorgehen ist zudem nur durch eine Mischung aus Schüleraktivierung, individualisiertem und kooperativem Lernen möglich. Es braucht Phasen der Begleitung und Förderung, Zeit für Rückfragen und Bestätigung. Somit fordert Klippert bereits mit dieser – einen – Methode Kompetenzorientierung. In seinem Haus des Lernens bringt er diesen Ansatz in eine Struktur: Das eigenverantwortliche Arbeiten und Lernen – „EVA“ – gelingt nach Klippert dann, wenn Fach-, Sozial- und Methodenkompetenz gleichwertig im Bildungsprozess berücksichtigt werden. Die Lernarbeiten der Schüler und die Organisationsformen des Lernens werden so gewählt, dass sie alle drei Kompetenzen gleichermaßen erfüllen. Das pädagogische – bildlich im Dachgeschoss angesiedelte – Ziel so verstandenen Lehren und Lernens ist die ausgeprägte persönliche Kompetenz des Schülers mit fundierten, fachlich übertragbaren Schlüsselqualifikationen.
Forscher wie Franz Weinert unterstützen diesen praktischen Ansatz, wenn sie fordern, „träges Wissen“ in „intelligentes Wissen“ zu überführen, ebenso Neurowissenschaftler wie Manfred Spitzer, wenn sie vom Aufbau „synaptischer Wissensstrukturen“ sprechen. Doch was bedeuten diese Erkenntnisse in der unterrichtlichen Praxis? Selbststeuerung und Handlungsorientierung, die Balance von Schüleraktivierung und Lehrerlenkung, ebenso von Fordern und Fördern, eingeleitet durch gute Inputs, unterstützt durch wechselnde Sozialformen, mit Zeit zur Kooperation und zum eigenständigen Üben und Vertiefen, und immer wieder Feedback.
An dieser Aufzählung wird deutlich, dass guter Unterricht eine Kunst ist. Er gleicht einem guten Klavierstück, das zwar jedes Mal nach denselben Noten vorgetragen wird, das sich aber immer neu und variiert darstellt. Insofern erscheinen wesentliche Leitkategorien – gleichsam als „Gerüst“ – auch für Lehrende in ihrer Aus- und Weiterbildung sinnvoll.
Der Unterrichtsforscher Andreas Helmke fasst seine Untersuchungen in zehn Merkmalen guten Unterrichts zusammen:
1. effiziente Führung der Lerngruppe unter Berücksichtigung der Zeitstruktur,
2. ein lernförderliches Unterrichtsklima,
3. Motivierung auf vielfältige Weise,
4. verlässliche Struktur und Klarheit,
5. Wirksamkeit und Kompetenzorientierung,
6. Schülerorientierung und individuelle Unterstützung – in weiterführender Literatur als Lerncoaching bezeichnet –,
7. Förderung zum selbstständigen Lernen,
8. ein dem Lernziel angemessener Einsatz von Sozialformen und Methoden,
9. Konsolidierung des Inhalts und Übungsphasen sowie
10. das Herstellen von Passungen (vgl. Helmke, 2006).
Abb. 2: Stufenkonzept in Anlehnung an Helmke 2006
Mit anderen Worten: Ein guter Unterricht aktiviert und motiviert die Lernenden. Er lebt von einer Ausgewogenheit von Inhalten, Ritualen, Anleitung und Selbstständigkeit. Er sorgt für die nötige Klarheit und Sicherheit im Bildungsgeschehen und ist methodisch gestützt. Dabei wird hinreichend Zeit für das Erlernen der Methoden eingeplant. Reflexion und Rückmeldung sind selbstverständliche Bestandteile guten Unterrichts. Durchaus: ein „dickes Brett“. Die Herausforderung besteht jedoch in dieser grundsätzlichen Komplexität dessen, was – guter – Unterricht ist und wie er methodisch-didaktisch reflektiert – also vor- und nachbereitet – wird. Die Übertragung auf die virtuelle Lernwelt erscheint vor diesem komplexen Anspruch keine allzu große Hürde zu sein, bedarf allerdings, ebenfalls wie die Frage nach gutem Unterricht, der Anbindung an pädagogische Grundlagen.
Kapitel 1
Methodik oder Didaktik?
Denn oft beginnt es mit dieser grundsätzlichen Unschärfe: Man redet von Didaktik, meint aber eigentlich methodische Fragestellungen. Oder man lässt sich über Methoden aus, ohne ihren Einsatz didaktisch zu reflektieren. Freilich: Beide Fachbegriffe gehören zusammen, doch meinen sie nicht Dasselbe. Deshalb ist vor methodisch-didaktischen Überlegungen diese Klärung wichtig, ohne dabei „schulmeisterlich“ wirken zu wollen. Eine Referendarin äußerte sich nach einer Lehrprobe so:
„Das war so genial vorbereitet, die Schüler waren voll dabei und ich habe fast alle meine Ziele erreicht. Ich verstehe nicht, wieso sie immer wieder auf diesem einen Punkt (ob das auch für die Schüler bedeutsam war) rumgeritten sind. Vermutlich wollten sie es mal wieder nur runterdrücken.“