Digital lehren. Thomas Hanstein

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– ein Grundsatz aus dem Analogen umso mehr: Weniger ist mehr.

      Diese Aussage ist bekanntermaßen aus dem zentralen Ergebnis der Bildungsstudie des australischen Bildungsforschers John Hattie (vgl. Hattie/Zierer, 2018) entlehnt. Seine kurze, aber prägnante Botschaft lautete: „Know thy impact!“ Daher möchten wir an erster Stelle den Lehrpersonen einen zentralen Gedanken widmen: Den Berufsstand des Lehrers treibt ein gewisser Idealismus an. Was Hattie – nicht neu, aber wieder – betont hat, ist die Frage nach der Wirksamkeit des methodisch-didaktischen Handelns. Und an dieser setzen auch wir an. Denn Lehrende haben nicht den Auftrag, Stoff zu vermitteln, sondern einen Bildungsauftrag, im vollumfänglichen Sinne dieses Wortes. Auch unsere Haltungen und Formate sind geprägt von der Vorstellung, über gute Ideen Menschen auf gelingende Wege zu leiten und durch eine ganzheitliche Bildung die Welt „etwas besser zu machen“.

      Sind damit die Bildungseinrichtungen und Lehrenden so digital wie nie? Und sind das die besten Voraussetzungen für die Umsetzung des Humboldtschen Bildungsideals? Sind wir Zeugen der historischen Ablösung der Industriegesellschaft mit einer noch im Entstehen begriffen digitalisierten Wissensgesellschaft? So ideal ist es leider nicht. Sonst bräuchte es auch dieses Buch nicht. Denn in der idealistischen Sichtweise der Lehrenden steckt ein wesentliches Problem: Wir reproduzieren über unser eigenes Lehrhandeln unsere individuelle Vorstellung darüber, wie Wissen entsteht und dieses Wissen in Bildungseinrichtungen weitergegeben wird. Dabei haben wir naturgemäß keine andere Möglichkeit, als auf unsere eigene Bildungssozialisation zurückzugreifen. Diese Ausgangssituation an sich trifft keine Schuld – gerade, weil Lehrende aus einer tiefen persönlichen Überzeugung heraus handeln, ist dies gut und richtig. Allerdings ist beispielhaft die eigene Lerngeschichte sehr wirkmächtig für die Motivation zum Lehrberuf wie für die Art und Weise des Lehrens in praxi. Dies wird in Coachings von angehenden Lehrenden immer wieder deutlich. In der Regel gibt es da eine oder einen, der als Vorbild fungiert (hat). Die b&w-Redakteurin Maria Jeggle hat dazu festgestellt: „Erstaunlich ist, wie präsent die eigene Schulzeit bleibt, selbst nach 30, 40 Jahren (…) Lehrkräfte, die ermutigen, die Begeisterung auslösen oder im schlechten Fall verletzen, bleiben ein Leben lang im Gedächtnis“ (Jeggle, 2019, S. 18).

      Dieser Wirkungszusammenhang aus Sozialisation, Modelllernen, Kopieren, Abgrenzen und Idealismus … ist also keineswegs neu. Aber er prägt sich in den aktuellen Jahren im Kontext der Digitalisierung stärker aus. Einer der Autoren blickt selbstkritisch zurück:

      „Als leidenschaftlicher Junglehrer einer berufsbildenden Schule hatte ich im Typografieunterricht die beliebte Gewohnheit, die Tische aus der industriellen und militärischen Anordnung in kleine Arbeitsgruppen zu stellen. Ich liebte es, mit einem Stapel weißem Papier und Bleistift durch die Gruppen zu ziehen und in direktem Kontakt das jeweilige Projekt der Schülerinnen und Schüler zu besprechen. Das entsprach nicht zuletzt meiner eigenen Erfahrung in den Ateliers der Kunsthochschule. In dieser Situation kam ein Kollege auf mich zu. Er trug mir sein Projekt an, für eine Fernhochschule einen Studiengang im gestalterischen Bereich zu entwickeln. Und ich reagierte reflexhaft mit Skepsis. Aus purer Kollegialität sagte ich meine Mitarbeit beim Studienmaterial zu, obwohl ich vom Scheitern überzeugt war. Ich dachte dabei an Fernkurse, die auf der Rückseite von Fernsehprogrammheften beworben werden und eben nicht an akademische Bildung. Als das Studienprogramm Jahre später anlief und ich als Lehrender meine Vorlesungen gab, geschah etwas Erstaunliches: Ich sah, welche Talente von einem staatlichen und bis zu diesem Zeitpunkt auch privaten Bildungssystem ausgeschlossen waren. Und wie dankbar, konstruktiv und mit welchem Niveau die Studierenden diese Angebote annahmen. So wurde ich vom Saulus zum Paulus und vom argwöhnischen Kritiker zum leidenschaftlichen Verfechter von Fernunterricht. Denn didaktisch stand ein gänzlich neues Feld offen: Es wurde klar, dass die Frage, wie ästhetische Bildung und sozialer Lernraum in einem digital strukturierten Feld entwickelt und optimiert werden kann, zur zentralen Frage für mich als Lehrer und später als Forscher werden würde.“

      Zur eigentlichen Problembeschreibung gibt es eine Vielzahl von externen und internen Hemmnissen, die eine Entwicklung und Verbreitung von digitalen Anwendungen in Lehre und Unterricht bremsen. Dabei möchten wir ganz selbstkritisch einige interne Faktoren benennen: Als leidenschaftliche Lehrer begegneten auch wir dem augenscheinlich fehlenden sozialen Lernen und dem offensichtlich abwesenden Sozialraum mit Vorurteilen, Sorge und auch schlichtweg fehlenden Erfahrungen. Aber auch externen Aussagen von Schulleitungen, den Kultusministerien sowie öffentlicher Einrichtungen war in der Corona-Krise zu entnehmen, dass diese nur vage formulierte Modeerscheinung aufgrund ihrer Intransparenz in den Kollegien finanziell wie ideell nur unzureichend unterstützt wurde. So versandeten viele gut gemeinte – sicher ebenso idealistische – Versuche in politischen Sonntagsreden, auf pädagogischen Tagen oder in Schubladen der Hochschuldidaktik.

      Mit allein diesen externen und internen Barrieren lässt sich aber die nur schleppende Durchsetzung von blended Learning und E-Learning nicht erklären. Denn die oben beispielhaft aufgeführten landläufigen Gründe würden daraus hinauslaufen, dass der idealtypische, „durchschnittliche deutsche Lehrer“ diesem Phänomen schlichtweg inkompetent gegenübersteht. Doch das ist nicht der Fall. Gleichzeitig wird dieser Umstand mit dafür verantwortlich sein, wenn der Berufsstand des Lehrers in der – noch ausstehenden – Reflexion der Corona-Krisenbewältigung nicht so gut abschneiden wird. Nahezu alles, was die Lehreraus- und -fortbildung ausmacht, wurde in der Krise auf Eis gelegt. Und die Lehrer hatten sich mit dem zu behelfen, was auch grundständig zu ihrer Kompetenz gehört: einem guten Schuss Improvisation. Dieser Umgang soll hier nicht kritisiert werden, doch weiß auch jeder, dass nichts länger anhält als Provisorien. Insofern besteht die große Herausforderung „nach Corona“ darin, aus den vielen – mehr oder weniger – provisorischen Notfall-Lösungen Konzepte zu entwickeln, die tragfähig und nachhaltig sind. Dann wäre die Krise eine Chance für das digital steinzeitliche deutsche Schul- und in den meisten Fällen Hochschulsystem. In diesem Sinne gehen wir davon aus, dass sich deutschen Schulen fortan vor allem an ihren neuen, in der Krise begonnenen Konzepten messen lassen müssen.

      Bei allen Aufbrüchen gilt aber: In der Improvisation konnte nicht auf ein Erfahrungsbild zurückgegriffen werden. Diese Situation war für Lehrende gänzlich neu. Wir sehen also, dass im Rückgriff auf die eigene Bildungssozialisation die eigentliche Problematik liegt, die in der Hochschuldidaktik bereits breit und tief untersucht wurde. So kommt eine Studie mit dem Titel „Über die Rolle des epistemischer Überzeugungen für die Gestaltung von eLearning – eine empirische Studie bei Hochschullehrenden“ (vgl. Gruber, 2007) zu diesem zentralen Ergebnis: Durch die Beschäftigung mit E-Learning kommt es kaum zu Veränderungen der epistemischen Überzeugungen – die Befragten aus den Fächern der Wirtschaftsinformatik und der Pädagogik auf professoraler Ebene wie des Mittelbaus machten deutlich, dass die subjektiven Auffassungen von Veränderungen ihrer eigenen Rolle als Lehrpersonen, der Auffassung über die Natur von Wissen und über die Rolle der Lernenden kaum verändert wurden.

      Dieser Befund ist die eigentliche Begründung, warum die Settings von E-Learning genau diese drei Ebenen verändern: Die Rolle der Lehrenden, die Rolle der Lernenden sowie der Vorgang des Kompetenzaufbaus selbst kommt in den Rahmenbedingungen von E-Learning massiv in Bewegung – wird aber gleichzeitig zu wenig bis gar nicht angemessen reflektiert. Da diese Bewegung der epistemischen Auffassungen für Lehrende grundsätzlich problematisch ist, begründet dies eine bislang geringe Verbreitung von E-Learning. Dies mag verwundern, da die technologische Entwicklung sowie die Infrastruktur zunehmend optimiert wurden – und werden. Allerdings sind Veränderungen in den ästhetischen Auffassungen nachgewiesen träge. Damit wurde das Potenzial von E-Learning auf den genannten drei Ebenen bisher mittelfristig weitestgehend nicht ausgeschöpft.

      Damit kommen wir zu einer grundlegenden These unserer Lernforschung: dass eben diese Vorstellungen über das Entstehen und die Weitergabe von Wissen (und Kompetenz) in den Bildungseinrichtungen der zentrale Punkt ist, über den nachzudenken ist! „Know thy impact“ – Wisse, was du als Lehrer bewirken kannst! Übertragen auf die (zumindest) ersten Wochen des „Homeschoolings“ – der vielfach verwendete Begriff wird

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