Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau страница 155

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

Скачать книгу

athmete die Strenge des Winters und den Schauer des Frostes: nur das Feuer meines Herzens machte mir diesen Ort erträglich, und ganze Tage brachte ich hier damit hin, an dich zu denken. Siehe, dies ist der Stein, auf welchem ich saß, um aus der Ferne deinen glückseligen Aufenthalt zu betrachten; auf diesem da wurde der Brief geschrieben, der dein Herz rührte; diese spitzigen Kiesel dienten mir statt Meißels, um deinen Namenszug einzugraben; hier sprang ich durch den eisigen Gießbach, um einen deiner Briefe wieder zu holen, den mir ein Wirbelwind entrissen hatte; dort las ich und küßte tausendmal den letzten, den du mir geschrieben hast; dort ist der Rand, wo ich mit düsteren, gierigen Blicken die Tiefe dieser Abgründe maß; hier endlich war es, wo ich vor meiner traurigen Abreise dich als Sterbende beweinte, und schwor, dich nicht zu überleben. O du, mit allzu großer Beständigkeit geliebtes Mädchen, du, für die ich geboren war, muß ich mich mit dir hier an demselben Orte wiederfinden und mir die Zeit zurücksehnen, die ich da mit Seufzern um deine Abwesenheit verbrachte! .... Ich wollte fortfahren; aber Julie, die, da sie mich näher an den Rand treten sah, erschrocken meine Hand ergriffen hatte, drückte sie mir, ohne ein Wort zu sagen, und blickte mich nur mit Zärtlichkeit an, indem sie einen Seufzer mit Mühe zurückhielt. Dann plötzlich die Augen abwendend, und mich beim Arme nach sich ziehend, sagte sie zu mir mit bewegter Stimme! Kommen Sie fort! die Luft dieses Ortes ist nicht gut für mich. Ich ging mit ihr, ächzend, und ohne ihr zu antworten, und schied auf immer von dieser Trauerstätte, nicht anders, als ich von Julien selbst geschieden sein würde.

      Auf einigen Umwegen gingen wir langsam dem Landeplatze zu; dort angelangt, trennten wir uns. Sie wollte allein bleiben, und ich wandelte weiter, ohne recht zu wissen, wohin ich ging. Als ich zurückkam, und der Kahn noch nicht fertig, auch das Wasser noch nicht ruhig war, speisten wir traurig zu Abend, die Augen gesenkt, in Gedanken verloren, aßen wenig und sprachen noch weniger. Nach dem Abendbrod setzten wir uns auf den Strand, um zu warten, bis wir abfahren könnten. Leise ging der Mond auf; das Wasser wurde stiller, und Julie wünschte zu fahren. Ich reichte ihr die Hand, um ihr in den Kahn zu helfen, und mich neben sie setzend, dachte ich nicht mehr daran, ihre Hand loszulassen. Wir verharrten in tiefem Schweigen. Der einförmige, taktmäßige Schlag der Ruder forderte zum Träumen auf. Der ziemlich muntere Ruf der Becassinen, der mich an die Freuden meiner Jugend mahnte, machte mich traurig, statt mich zu erheitern. Immer mehr fühlte ich die Schwermuth zunehmen, von welcher ich befallen war. Der heitere Himmel, die Frische der Luft, der sanfte Strahl des Mondes, das silberne Flimmern des Wassers um uns her, das Zusammentreffen der angenehmsten Eindrücke, selbst die Gegenwart dieser geliebten Person, nichts konnte aus meinem Herzen tausend schmerzliche Betrachtungen verbannen.

      Ich fing an, mir eine ähnliche Fahrt zurückzurufen, die ich einst in der reizendsten Zeit unserer ersten Liebe mit ihr gemacht hatte. Alle köstlichen Gefühle, die damals meine Seele erfüllt hatten, wachten wieder in ihr aus, um meinen Schmerz noch zu vergrößern; alle Begebenheiten unserer Jugend, unsere Studien, unsere Unterredungen, unsere Briefe, unsere heimlichen Zusammenkünfte, unsere Freuden,

      E tanta fede e sì dolce menorie E sì lungo costume.

      [„Und soviel Glaub' und süßes Andenken, Und lange Gewohnheit —“.]

      diese Menge kleiner Gegenstände, die mir das Bild meines vergangenen Glückes vorhielten, Alles stellte sich, mein gegenwärtiges Elend zu vermehren, in meiner Erinnerung ein. Es ist vorbei! sprach ich bei mir; diese Zeiten, diese glücklichen Zeiten sind nicht mehr; sie sind dahin auf ewig. Ach! sie werden nicht wiederkehren; und wir leben, und wir sind beieinander, und unsere Herzen sind noch immer vereinigt! Es schien mir, daß ich ihren Tod oder ihre Abwesenheit ruhiger ertragen haben würde, und als hätte ich während der ganzen Zeit, die ich fern von ihr zubrachte, weniger gelitten. Als ich in der Ferne seufzte, erleichterte die Hoffnung, sie wiederzusehen, mein Herz; ich schmeichelte mir, daß ein Augenblick ihrer Gegenwart alle meine Schmerzen verwischen würde; ich sah wenigstens in der Möglichkeit einen weniger grausamen Zustand vor mir. Aber sich bei ihr zu befinden, aber sie zu sehen, sie zu berühren, mit ihr zu sprechen, sie zu lieben, sie anzubeten und fast noch sie besitzend sie auf ewig für mich verloren zu fühlen, dies, dies jagte in mir einen Zorn, eine Wuth auf, die sich bis zur Verzweiflung steigerte. Bald fing ich an, in meinem Geiste unheilvolle Gedanken zu wälzen, und in einem Aufruhr, der mich schaudern macht, indem ich daran zurückdenke, war ich in heftiger Versuchung, sie mit mir in die Wellen hinabzustürzen und dort in ihren Armen mein Leben und meine langen Qualen zu enden. Diese gräßliche Versuchung wurde am Ende so stark, daß ich genöthigt war, ihre Hand plötzlich fahren zu lassen, um vor an die Spitze des Kahnes zu treten.

      Dort begann meine gewaltige Aufregung sich zu legen; ein sanfteres Gefühl stahl sich nach und nach in meine Seele, die Wehmuth übermannte die Verzweiflung, ich fing an Ströme von Thränen zu vergießen, und dieser Zustand war, mit jenem verglichen, der ihm vorangegangen, nicht ohne ein gewisses Vergnügen; ich weinte heftig, lange, und fühlte mich erleichtert. Als ich ganz wieder zu mir gekommen war, kehrte ich zu Julien zurück, und ergriff ihre Hand von Neuem. Sie hielt ihr Taschentuch darin, ich fühlte, daß es sehr naß war. Ach! sagte ich leise zu ihr, ich sehe, daß unsere Herzen nie aufgehört haben, sich zu verstehen! Es ist wahr, sagte sie mit bebender Stimme; aber sei es das letzte Mal, daß Sie in diesem Tone gesprochen haben. Wir fingen dann an, ruhig zu plaudern, und nach einer Stunde langten wir ohne weitern Zufall zu Hause an. Als wir eingetreten waren, sah ich beim Scheine der Lichter, daß ihre Augen roth und sehr angeschwollen waren; sie kann die meinigen nicht in besserem Zustande gefunden haben. Nach den Anstrengungen dieses Tages war sie der Ruhe sehr bedürftig; sie zog sich zurück, und auch ich ging schlafen.

      Dies, mein Freund, sind die Ereignisse eines Tages in meinem Leben, an welchem ich ohne Ausnahme die lebhaftesten Bewegungen erfahren habe. Ich hoffe, es wird die Krisis gewesen sein, die mich vollständig mir selbst wiedergiebt. Uebrigens muß ich Ihnen sagen, daß dieses Abenteuer mich mehr als alle Beweisgründe von der Freiheit des Menschen und dem Werthe der Tugend überzeugt hat. Wie Viele werden nur schwach versucht, und erliegen! Was Julie betrifft, meine Augen sahen es, und mein Herz fühlte es, sie bestand an diesem Tage den härtesten Kampf, den eine menschliche Seele bestehen kann, sie siegte jedoch. Was habe ich aber gethan, daß ich so weit hinter ihr zurückbleiben muß? O Eduard! als du, verlockt von deiner Geliebten, zugleich über deine und ihre Begierden zu siegen wußtest, warst du da ein bloßer Mensch? Ohne dich wäre ich vielleicht verloren gewesen. Hundertmal an diesem gefahrvollen Tage hat das Andenken an deine Tugend mir die meinige wiedergegeben.

      Fünfte Abtheilung.

       Inhaltsverzeichnis

      Erster Brief.

       Milord Eduard an Saint-Preux.

       Inhaltsverzeichnis

       [Der Brief scheint vor Empfang dem vorigen geschrieben.]

      Tritt aus der Kindheit, Freund, wach auf! Gieb nicht dein ganzes Leben dem Schlafe deiner Vernunft hin! Die Zeit fliegt, du hast keine mehr übrig, um weise zu werden. Wenn man dreißig Jahre alt ist, so muß man an sich denken; fange also an, in dich zu gehen, und sei einmal Mann, ehe du stirbst!

      Mein Lieber, Ihr Herz hat Sie lange über Ihre Einsichten getäuscht. Sie haben Philosoph sein wollen, ehe Sie die Fähigkeit dazu besaßen; Sie haben Gefühlswesen für Vernunft gehalten, und indem Sie sich damit begnügten, die Dinge nach dem Eindruck zu schätzen, den sie auf Sie machten, haben Sie stets ihren wahren Werth verkannt. Ein gerades Herz ist, gestehe ich, das erste Organ der Wahrheit; wer nichts empfunden hat, kann nichts erfahren; er rennt nur aus Irrthum in Irrthum; er erwirbt nur ein eiteles Wissen und unfruchtbare Kenntnisse, weil ihm die wahre Beziehung der Dinge zu dem Menschen, welche dessen Hauptwissenschaft

Скачать книгу