Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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ihn in jener frühesten Jugendzeit beseelten; aber ich bemerke sie, ohne ein Recht zu haben darüber böse zu sein. Nicht in Julien von Wolmar ist er verliebt, sondern in Julien von Étange; er haßt mich nicht als den Besitzer der Person, die er liebt, sondern als den Räuber derjenigen, die er geliebt hat. Die Frau eines Andern ist nicht seine Geliebte; die Mutter zweier Kinder ist nicht mehr seine alte Schülerin. Es ist wahr, daß sie ihr sehr ähnlich sieht und ihn oft wieder an sie erinnert. Er liebt sie in der Vergangenheit: das ist das richtige Wort des Räthtels; nehmen Sie ihm die Erinnerung und er würde nicht mehr lieben.

      Dies ist keine leere Spitzfindigkeit, Cousinchen; es ist eine Bemerkung, die sehr guten Grund hat, und die, auch auf andere Liebschaften ausgedehnt, vielleicht eine weit allgemeinere Anwendung finden würde, als es scheint. Ich glaube sogar, daß sie in diesem Falle aus Ihren eigenen Ideen nicht schwer zu erläutern sein würde. Sie trennten diese beiden Liebenden zu der Zeit, als ihre Leidenschaft den höchsten Gipfel ihrer Heftigkeit erreicht hatte. Wenn sie länger zusammen geblieben wären, würden sie vielleicht nach und nach kälter gegen einander geworden sein; nun aber hat ihre lebhaft aufgeregte Einbildungskraft sie einander unaufhörlich so gezeigt, wie sie im Augenblicke ihrer Trennung waren. Der junge Mann, der an seiner Geliebten die Veränderungen nicht sah, welche der Fortschritt der Zeit hervorbrachte, liebte sie so, wie er sie noch gesehen hatte und nicht so, wie sie wirklich war [Ihr Frauen seid recht närrisch, daß ihr einem so wandelbaren und vergänglichen Gefühle, wie die Liebe ist, Beständigkeit zumuthet. Alles verändert sich in der Natur, Alles ist in beständigem Flusse und ihr wollt eine immerwährende Glut anfachen! Und mit welchem Rechte verlangt ihr, heute geliebt zu werden, weil ihr gestern geliebt waret? Behaltet doch dasselbe Gesicht, dasselbe Alter, dieselbe Laune, seid immer dieselbe Person, und man wird euch immer lieben, wenn man kann. Aber unaufhörlich anders werden und dabei immer verlangen, daß man euch liebe, heißt ja verlangen, daß man jeden Augenblick aufhöre, euch zu lieben; nicht beständige Herzen sind es, die ihr so suchet, sondern solche, die so veränderlich sind wie ihr.]. Um ihn glücklich zu machen, handelte es sich nicht mehr blos darum, sie ihm zu geben, sondern sie ihm in demselben Alter, unter denselben Umständen zu geben, worin sie sich zur Zeit ihrer ersten Liebe befunden hatte; die geringste Aenderung in dem Allen war eben so viel Raub an dem Glücke, welches er sich versprochen hatte. Sie ist schöner geworden, aber sie hat sich verändert; was sie gewonnen hat, schlägt in diesem Sinne zu ihrem Nachtheil aus; denn in die alte, nicht in eine andere ist er verliebt.

      Der Irrthum, der ihn neckt und beunruhigt, ist der, daß er die Zeiten vermengt und sich oft wie ein gegenwärtiges Gefühl das anrechnet, was nur die Wirkung einer zu zärtlichen Erinnerung ist; aber ich weiß nicht, ob es nicht besser ist, seine Heilung zu vollenden, als ihn zu enttäuschen. Zu ersterem Ende wird sich vielleicht sein Irrthum besser benutzen lassen, als sein Klarsehen: ihm den wahren Zustand seines Herzens entdecken, hieße so viel, als ihm den Tod der Geliebten anzeigen; es hieße ihm ein Schmerzgefühl erregen, das gefährlich sein würde, weil Wehmuth immer der Liebe günstig ist.

      Von den Skrupeln befreit, die ihn jetzt bestimmen sich Zwang aufzulegen, würde er sich vielleicht mehr gehen lassen und Erinnerungen nähren, die doch nothwendig erlöschen müssen; er würde mit weniger Zurückhaltung von ihnen sprechen; und die Züge seiner Julie sind an Frau von Wolmar noch nicht so verwischt, daß er sie nicht dennoch an ihr finden könnte, wenn er sie an ihr suchte. Ich habe gedacht, daß man, anstatt ihm die Meinung, daß er Fortschritte gemacht habe, die ihm zur Ermunterung zu weiteren Fortschritten dient, zu benehmen, ihm das Andenken an die Zeiten, welche er vergessen soll, aus dem Sinne spielen müßte, indem man andere Ideen denen, die ihm so theuer sind, geschickt unterschiebt. Sie, die Sie dazu beigetragen haben, daß dieselben in ihm entstehen konnten, können mehr als sonst Jemand dazu beitragen, sie zu verwischen; aber erst wenn Sie ganz bei uns sein werden, will ich Ihnen ins Ohr sagen, was zu dem Ende geschehen müßte; eine Aufgabe, die, wenn ich mich nicht täusche, Ihnen nicht sehr zuwider sein wird. Inzwischen suche ich ihn mit den Gegenständen vertraut zu machen, die ihn scheu machen, indem ich sie ihm auf eine solche Art vorführe, daß sie ihm nicht mehr gefährlich sind. Er ist feurig, aber schwach und leicht zu unterjochen. Ich benutze diesen Vortheil, indem ich seiner Einbildungskraft unvermerkt eine andere Richtung gebe. Statt seiner Geliebten, zwinge ich ihn, stets die Gattin eines braven Mannes und die Mutter meiner Kinder zu erblicken; ich lösche ein Bild durch ein anderes aus, und decke das Vergangene mit dem Gegenwärtigen zu. Man führt einen scheuen Renner zu dem Gegenstande, der ihm Furcht erregte, damit er sich der Furcht vor demselben entwöhne. So muß man mit solchen jungen Leuten verfahren, deren Einbildungskraft noch flammt, wenn ihr Herz schon erkaltet ist, und ihnen in der Entfernung Ungeheuer zeigt, die, wenn man ihnen naht, verschwinden.

      Ich glaube beider Kräfte wohl zu kennen; ich setze sie nur solchen Proben aus, die sie bestehen können; denn die Weisheit besteht nicht darin, daß man ohne Unterschied jede Art Vorsichtsmittel ergreife, sondern daß man diejenigen wähle, welche fruchten können, die überflüssigen aber bei Seite lasse. Die acht Tage, während welcher ich sie zusammen lassen will, werden vielleicht hinreichen, um ihnen ihre wahren Gefühle klar zu machen, und sie erkennen zu lehren, was sie einander wirklich sind. Je mehr sie sich allein haben, desto leichter werden sie ihren Irrthum einsehen; indem sie das, was sie fühlen, mit dem vergleichen, was sie ehemals in ähnlicher Lage gefühlt haben würden. Rechnen Sie hinzu, wie wichtig es für sie ist, daß sie sich daran gewöhnen, ohne Gefahr in der Vertraulichkeit zu leben, in welcher sie nothwendig leben müssen, wenn meine Absichten in Erfüllung gehen. Ich sehe an Juliens Verhalten, daß sie Rathschläge von Ihnen bekommen hat, welche sie nicht unbefolgt lassen konnte, ohne sich selbst Unrecht zu thun. Welches Vergnügen würde es für mich sein, ihr so den Beweis zu geben, daß ich ihren ganzen Werth fühle, wenn sie eine Frau wäre, bei der ein Mann sich aus seinem Vertrauen noch erst ein Verdienst machen könnte. Aber wenn sie über ihr Herz nichts gewonnen hätte, so würde ihre Tugend dennoch die nämliche bleiben; sie würde ihr mehr kosten und deshalb doch nicht weniger den Sieg behalten; während, wenn sie jetzt noch einen Schmerz in sich zu bekämpfen finden sollte, dies nur etwa in einem Augenblicke der Rührung, in Folge eines Gespräches über frühere Zeiten der Fall sein könnte, und solche Augenblicke wird sie nur zu gut herannahen sehen und stets vermeiden. So sehen Sie, daß man mein Betragen hier nicht nach den gewöhnlichen Regeln beurtheilen muß, sondern nach den Absichten, die mich leiten, und nach dem ganz eigenen Charakter der Person, gegen welche ich es einhalte.

      Adieu, Cousinchen, bis zu meiner Rückreise. Obgleich ich Julien nicht alle diese Erläuterungen gegeben habe, fordere ich doch nicht, daß Sie ihr ein Geheimniß daraus machen. Ich habe den Grundsatz, daß man zwischen Freunden keine Heimlichkeiten stiften dürfe; ich überlasse daher die Mittheilung des Besprochenen Ihrem Ermessen; machen Sie davon denjenigen Gebrauch, welchen Klugheit und Freundschaft Ihnen anempfehlen: ich weiß, daß Sie Alles nur auf's Beste und Schicklichste machen werden.

      Fünfzehnter Brief.

       Saint-Preux an Milord Eduard.

       Inhaltsverzeichnis

      Herr von Wolmar ist gestern nach Étange abgegangen, und ich kann kaum begreifen, warum mich seine Abreise so traurig gemacht hat. Ich glaube, die Entfernung seiner Frau würde mich weniger betrübt haben, als es die seinige thut. Ich fühle mich befangener, als selbst bei seiner Anwesenheit; in meinem Herzen ist es düster und still; eine geheime Unruhe läßt es nicht einmal zum Murren kommen; und weniger von Begierden gepeinigt, als von unbestimmter Furcht, empfinde ich die Schrecken des Verbrechens, ohne seine Reizungen zu spüren.

      Wissen Sie, Milord, wo meine Seele Ruhe findet und sich dieser unwürdigen Angst entledigt? Bei Frau von Wolmar. Sobald ich ihr nahe, stillt ihr Anblick mein inneres Weh, reinigen ihre Blicke mein Herz. So groß ist die Macht des ihrigen, daß es stets das Gefühl ihrer Unschuld und die Ruhe, die deren Wirkung ist, allen Anderen mitzutheilen scheint. Zum Unglück für mich erlaubt ihr die Regelmäßigkeit ihres Lebens nicht, den ganzen Tag ihren Freunden zu widmen, und in den Augenblicken, welche

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