Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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allein stand. Die Einsamkeit, die mir immer langweilig gewesen war, machte mir ein Grauen, und doch konnte ich nicht mehr hoffen, mich noch lange vor ihr zu retten. Ohne daß sich meine Kälte verloren hätte, fühlte ich doch das Bedürfniß, mich an ein anderes Wesen anzuschließen; die trostlose Hinfälligkeit des Alters machte mich in der Voraussicht betrübt, und zum ersten Male in meinem Leben erfuhr ich, was innere Unruhe und Traurigkeit ist. Ich sagte dem Baron von Étange von meinem Kummer. Ihr müßt nicht als Junggesell grau werden, sagte er. Ich selbst, der ich bisher im Ehebunde fast unabhängig gelebt habe, fühle das Bedürfniß, wieder Vater und Gatte zu werden, und will mich in den Schoß meiner Familie zurückziehen. Es wird nur von Euch abhängen, ob Ihr diese auch zu der Eurigen machen und mir den Sohn ersetzen wollt, den ich verloren habe. Ich habe eine einzige Tochter zu verheiraten, sie ist nicht ohne Verdienst; sie hat ein gefühlvolles Herz, und die Liebe zu ihrer Pflicht macht ihr Alles lieb, was dazu gehört. Sie ist weder eine Schönheit, noch ein Wunder von Geist; aber kommt und seht sie Euch an, und glaubt mir, wenn Ihr für Die nichts fühlt, so werdet Ihr nie für irgend eine Person etwas fühlen. Ich kam, ich sah Sie, Julie, und fand, daß Ihr Vater bescheiden von Ihnen gesprochen hatte, Ihre Freude, Ihre Thränen, als Sie ihn wieder umarmten, machten mir zum ersten oder vielmehr einzigen Male in meinem Leben das Herz weich. Wenn der Eindruck nicht stark war, so war er doch eben einzig, und die Gefühle bedürfen zu ihrer Wirksamkeit nur so viel Kraft, als zur Ueberwindung derjenigen, die sich ihnen widersetzen, nöthig ist. Drei Jahre Abwesenheit änderten die Verfassung meines Herzens nicht. Die Verfassung des Ihrigen entging mir nicht bei meiner Rückkehr, und hier nun muß ich Sie für ein Bekenntniß, das Ihnen so schwer geworden, mit gleicher Münze bezahlen.

      Nun denke dir, meine Liebe, meine Ueberraschung, als ich höre, daß er in alle meine Geheimnisse vor unserer Verheiratung eingeweiht worden war, und mich heiratete, ohne damit unbekannt zu sein, daß ich einem Andern angehörte.

      Dieses Betragen war nicht zu entschuldigen, fuhr Herr von Wolmar fort. Ich beleidigte das Zartgefühl; ich sündigte gegen die Klugheil; ich setzte Ihre und meine Ehre auf's Spiel; ich mußte fürchten, uns beide in unheilbares Unglück zu stürzen; aber ich liebte Sie, und liebte nur Sie, alles Uebrige war mir gleichgültig. Wie soll man die Leidenschaft, und wäre sie noch so schwach, zurückdrängen, wenn sie gänzlich ohne Gegengewicht ist? Dies ist das Schlimme bei kalten, ruhigen Charakteren. Alles geht gut, solange ihre Kälte sie vor Versuchungen schützt; stellt sich aber einmal eine solche ein, so sind sie ebenso rasch besiegt, als angefallen, und die Vernunft, welche die Herrschaft führt, solange sie allein auf dem Platze ist, hat nicht Kraft genug, um dem geringsten Anlauf zu widerstehen. Ich bin nur einmal in Versuchung gewesen, und bin erlegen. Hätte mich der Rausch noch irgend einer andern Leidenschaft zum Wanken gebracht, so würde ich ebenso oft, als ich fehl trat, gefallen sein. Nur feurige Seelen wissen zu kämpfen und zu siegen; alle großen Anstrengungen, alle erhabenen Thaten sind ihr Werk, die kalte Vernunft hat nie etwas Glänzendes zu Stande gebracht, und man siegt über die Leidenschaften nur, wenn man eine der anderen entgegenstellt. Wenn die Leidenschaft für die Tugend sich erhoben hat, so herrscht sie allein und hält Alles im Gleichgewicht. So bildet sich der wahre Weise, der nicht mehr, als ein Anderer, vor den Leidenschaften sicher ist, aber allein sie durch sich selbst zu besiegen versteht, wie sich ein Steuermann auch die widrigen Winde zu Nutzen macht.

      Sie sehen, daß ich nicht darauf ausgehe, meinen Fehler zu verkleinern; wenn es einer gewesen wäre, so hätte ich ihn unfehlbar begangen; aber Julie, ich kannte Sie, und ich beging keinen, indem ich Sie heiratete. Ich fühlte, daß von Ihnen allein alles Glück abhing, dessen ich genießen konnte, und daß ich, wenn irgend Einer fähig war, Sie glücklich zu machen. Ich wußte, daß Unschuld und Friede Ihrem Herzen nothwendig waren, daß die Liebe, welche es einnahm, ihm Beides nie gewähren würde, und daß nur der Abscheu vor dem Verbrechen die Liebe daraus verbannen könnte. Ich sah, daß sich Ihre Seele in einer Abspannung befand, aus welcher sie sich nur durch einen neuen Kampf befreien könnte, und daß Sie erst fühlen müßten, wie schätzenswerth Sie noch sein könnten, um es wieder werden zu lernen.

      Für die Liebe war Ihr Herz verbraucht; deshalb brachte ich ein Mißverhältnis des Alters nicht in Anschlag, welches mir das Recht raubte, auf ein Gefühl Anspruch zu machen, von welchem Der, welcher sein Gegenstand war, keinen Genuß haben, und das kein Anderer mehr erwerben konnte. Indem ich dagegen sah, daß sich bei mir, in einem mehr als zur Hälfte verstrichenen Leben, nur eine einzige Neigung fühlbar gemacht hatte, urtheilte ich, daß sie dauerhaft sein würde, und gefiel mir darin, ihr den Rest meiner Tage zuzuwenden. Bei allen meinen Nachforschungen hatte ich nichts gefunden, das Ihnen gleichkäme; ich dachte, was Sie nicht thun würden, würde keine Andere auf der Welt thun; ich wagte es, an die Tugend zu glauben, und heiratete Sie.

      Daß Sie mir aus Ihrem früheren Verhältniß ein Geheimniß machten, nahm mich nicht Wunder; ich wußte den Grund davon, und sah in der Klugheit Ihres Betragens die Bürgschaft seiner Dauer. Aus Rücksicht für Sie, beobachtete ich eine gleiche Zurückhaltung und wollte Ihnen nicht die Ehre rauben, mir eines Tages aus freien Stücken ein Bekenntniß abzulegen, das ich jeden Augenblick auf dem Rande Ihrer Lippen sah. Ich habe mich in nichts getäuscht; Sie haben Alles gehalten, was ich mir von Ihnen versprochen hatte. Als ich mir eine Gattin wählen wollte, wünschte ich an ihr eine liebenswerthe, kluge, glückliche Gefährtin zu haben. Die beiden ersten Bedingungen sind erfüllt; mein Kind, ich hoffe, daß uns auch die dritte nicht fehlen wird. Bei diesen Worten konnte ich, trotz aller meiner Anstrengung, ihn durch nichts zu unterbrechen, als durch meine Thränen, mich nicht enthalten, ihm um den Hals zu fallen und auszurufen: Mein theurerMann! O bester und geliebtester der Menschen! Sagen Sie mir, was mir zu meinem Glücke fehlt, wenn nicht das Ihrige, und daß es besser verdient wäre .... — Sie sind so glücklich, als es möglich ist, sagte er, mich unterbrechend; Sie verdienen es zu sein, aber es ist Zeit, in Frieden ein Glück zu genießen, das Ihnen bisher so viel Sorge gekostet hat. Wenn mir Ihre Treue genügt hätte, so war Alles geschehen von dem Augenblicke an, da Sie sie mir versprochen. Ich habe aber gewollt, daß sie Ihnen leicht und angenehm würde, und daran haben wir beide in Gemeinschaft fort und fort gearbeitet, ohne gegen einander ein Wort darüber zu verlieren. Julie, es ist uns besser gelungen, als Sie vielleicht glauben. Das einzige Unrecht, das ich an Ihnen finde, ist, daß Sie das Vertrauen zu sich nicht wieder gewinnen konnten, das Sie sich schuldig sind, und daß Sie sich nicht nach Ihrem Werthe schätzen. Eine übertriebene Bescheidenheit hat so gut ihre Gefahren als der Eigendünkel. Wie eine Ueberschätzung unserer Kräfte uns zur Machtlosigkeit verdammt, so raubt uns das Mißtrauen in dieselben ihren Gebrauch. Die wahre Klugheit besteht darin, daß man seine Kräfte kenne und sich innerhalb ihrer Gränzen halte. Sie haben in Ihrem neuen Stande neue Kräfte gewonnen. Sie sind nicht mehr das unglückliche Mädchen, das seine Schwäche bejammerte, währendes sich ihr überließ; Sie sind die tugendhafteste der Frauen, die keine anderen Gesetze kennt, als die der Pflicht und Ehre, und der man keinen andern Fehler vorwerfen kann, als eine zu lebhafte Erinnerung an ihre Fehltritte. Stehen Sie also davon ab, gegen sich selbst Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen, die beleidigend für Sie sind, und lernen Sie auf sich selbst bauen, um immer sicherer auf sich bauen zu können. Verbannen Sie ein ungerechtes Mißtrauen, das nur dazu dienen kann, die Gefühle, denen es seinen Ursprung verdankt, bisweilen wieder zu erwecken. Wünschen Sie sich vielmehr Glück, daß Sie einen rechtschaffenen Mann zu wählen wußten, in einem Alter, wo es so leicht ist, sich in dieser Hinsicht zu täuschen, und daß Sie einen Liebhaber erkoren hatten, den Sie jetzt unter den Augen Ihres Gatten selbst zum Freunde haben können. Kaum war ich mit euerem Verhältnisse bekannt geworden, so gewann ich euch, Jeden um des Andern willen, lieb. Ich sah, welcher trügerische Enthusiasmus euch beide irre geführt hatte; er wirkt nur auf schöne Seelen; er führt sie manchmal allerdings in's Verderben, aber immer durch einen Zauber, der nur sie verführen kann. Ich schloß, daß derselbe Geschmack am Guten, welcher eure Verbindung gestiftet hatte, sie lockern würde, sobald sie strafbar geworden und daß das Laster sich in Herzen, wie die eurigen, hineinstehlen, nicht aber darin Wurzel schlagen könnte.

      Von Augenblick an erkannte ich, daß es ein Band zwischen euch gäbe, welches man nicht zerreißen müßte, daß euere gegenseitige Anhänglichkeit so viel Löbliches zu ihrem Grunde hätte, daß man sie eher regeln, als zu nichte machen müßte, und daß keiner von

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