Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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weiter ich diesen angenehmen Ort durchstreifte, desto mehr nahm das köstliche Behagen zu, welches ich bei meinem Eintritte empfunden hatte; indessen hielt mich die Neugier in Athem. Ich war begieriger, die Gegenstände anzuschauen, als zu untersuchen, welchen Eindruck sie machten, und ich gab mich gern dem Reize des Betrachtens hin, ohne mir mit Nachdenken Mühe zu machen. Aber Frau von Wolmar riß mich aus meinen Träumen, indem sie mich unter den Arm nahm, und zu mir sagte: Alles, was Sie sehen, ist nur seelenloses Pflanzenleben, und wie man es auch anstelle, läßt dieses immer ein Gefühl von Einsamkeit zurück, das etwas Beklemmendes hat. Sehen Sie dagegen die beseelte, fühlende Natur; in ihr werden Sie jeden Augenblick einen neuen Reiz empfinden. Sie wollen mich vorbereiten, sagte ich zu ihr. Ich höre ein lustiges verworrenes Gezwitscher, und sehe doch ziemlich wenig Vögel; ich merke, daß Sie eine Voliere haben. In der That! sagte sie; gehen wir näher! Ich wollte meine Meinung über Volieren noch nicht sagen, aber der Gedanke daran hatte etwas Unbehagliches für mich, und schien mir auch zu allem Uebrigen nicht zustimmen.

      Wir stiegen auf vielfach geschlungenen Wegen in den tiefsten Theil des Baumgartens hinab, wo ich das ganze Wasser, in einen hübschen Bach vereinigt, sanft zwischen zwei Reihen alter verkröpfter Weiden fließen sah. Ihre gehöhlten und halb kahlen Häupter bildeten eine Art Vasen, aus denen, durch Anwendung des zuvor angeführten Kunstgriffes, Massen von Geisblatt hervorquollen, wovon ein Theil sich um die Aeste der Bäume schlang, und der andere anmuthig an dem Bache niederfiel. Fast am Ende des Einschlusses befand sich ein kleines, mit Gräsern, Rohr und Binsen eingefaßtes Bassin, welches die Tränke der Voliere abgab, und die letzte Station dieses so kostbaren und so wohlgehegten Wassers war.

      Jenseits des Bassins befand sich ein Erdwall, der sich in der äußersten Ecke des Einschlusses zu einem Hügel erhob, worauf eine Menge Bäumchen aller Art standen, die kleinsten zu oberst und die größeren immer tiefer, so daß die Wipfel eine fast wagerechte Fläche bildeten, oder wenigstens für die Folge andeuteten. Ganz vorn standen ein Dutzend noch junge Bäume, aber von solchen Arten, die sehr groß werden, wie Buche, Ulme, Esche, Acazie. Das Buschwerk dieses Hügels diente der Menge von Vögeln zur Zuflucht, deren Gesang ich von fern gehört hatte, und im Schatten dieses Laubwerks, wie unter einem großen Sonnenschirme, sah man sie flattern, hüpfen, singen, sich schnäbeln, sich beißen, als ob sie uns nicht bemerkt hätten. Sie flohen bei unserer Annäherung so wenig, daß ich, meinem vorgefaßten Gedanken nach, zuerst glaubte, sie wären durch ein Gitterwerk zusammengehalten; als wir aber den Rand des Bassins erreicht hatten, sah ich mehrere von ihnen herabkommen, und sich uns in einer Art kleiner Allee nähern, welche den Erdwall in der Mitte theilte, und die Voliere mit dem Bassin verband. Herr von Wolmar ging um das Bassin herum, streute in die Allee ein paar Händevoll gemischter Sämereien, die er bei sich in der Tasche trug, und als er sich zurückgezogen hatte, eilten die Vögel herbei, und fingen an zu picken, wie Hühner, mit einer solchen Dreistigkeit, daß ich wohl sah, wie gewöhnt sie an diese Fütterung waren. Das ist allerliebst, rief ich aus. Das Wort Voliere hatte mich von Ihnen Wunder genommen, aber jetzt verstehe ich es; ich sehe, daß Sie Gäste haben wollen, nicht Gefangene. Was nennen Sie Gäste? antwortete Julie; wir sind die ihrigen; sie sind hier die Herren, und wir zahlen ihnen Tribut dafür, daß sie uns manchmal dulden. Sehr gut, antwortete ich; aber wie sind diese Herren in Besitz dieses Ortes gelangt? Wie hat man es angefangen, so viele freiwillige Bewohner zusammenzubringen? Ich habe noch nie von einem Versuche dieser Art gehört, und würde nicht geglaubt haben, daß er gelingen könnte, wenn ich nicht den Beweis vor Augen hätte. Geduld und Zeit, sagte Herr von Wolmar, haben dieses Wunder zu stande gebracht. Diese sind Mittel, auf welche die Reichen bei ihren Vergnügungen nicht fallen. In ihrem Jagen nach Genüssen kennen sie keine anderen Mittel als Gewalt und Geld; sie haben Vögel in Käfigen, und Freunde für so und so viel monatlich. Wenn die Bedienten je an diesen Ort kämen, so würden Sie bald die Vögel verschwinden sehen, und wenn sie jetzt in großer Anzahl vorhanden sind, so kommt das daher, weil immer welche dagewesen. Man zieht sie an keinen Ort, wo es keine gegeben hat; aber wo welche sind, ist es leicht mehrere herbeizulocken, wenn man allen ihren Bedürfnissen zuvorkommt, sie niemals scheu macht, sie ihre Nester in Sicherheit bauen läßt, und die Jungen nicht ausnimmt, denn alsdann bleiben diejenigen, welche da sind, und diejenigen, welche hinzukommen, bleiben ebenfalls. Dieses Gebüsch war schon vorhanden, wiewohl von dem Baumgarten getrennt; Julie hat nichts gethan, als daß sie es mit einer lebendigen Hecke umschloß, diejenige wegnahm, welche es von dem Garten trennte, es vergrößerte und mit neuen Pflanzen zierte. Sie bemerken auf beiden Seiten der Allee, die herführt, zwei mit einem bunten Gemisch von Halmen und allerlei Pflanzen bedeckte Flächen; sie läßt dort jedes Jahr Korn, Hirse, Sonnenblumen, Hanf, Wicken und allerlei Gesäme aussäen, welches dieVögel gern fressen, und es wird nichts davon weggenommen. Außerdem bringen wir ihnen, sie oder ich, fast jeden Tag, Sommers und Winters Futter, und wenn wir nicht da sind, so sorgt Fanchon gewöhnlich für sie. Sie haben, wie Sie sehen, das Wasser dicht dabei. Frau von Wolmar geht in ihrer Aufmerksamkeit so weit, daß sie ihnen jedes Frühjahr Häuschen von Pferdehaaren, Stroh, Wolle, Moos und anderen zum Nestbau geeigneten Stoffen hinlegen läßt. Da sie die Materialien so nah, und reichlich zu leben haben, und bei der Mühe, die man sich giebt, alle Feinde [Schlafratten, Mäuse, Käuze und besonders die Kinder.] zu vertreiben, bestimmt sie die beständige Ruhe, deren sie genießen, an einem so bequemen Ort, wo ihnen nichts fehlt, und wo Niemand sie stört, ihre Eier zu legen. So wird das Vaterland der Eltern auch das der Kinder, und die Bevölkerung erhält sich und vermehrt sich.

      Ach, sagte Julie, jetzt sehen Sie gar nichts! Jetzt denkt jedes nur an sich; aber unzertrennliche Gatten, das eifrige, häusliche Sorgen, die elterliche Zärtlichkeit, das Alles entgeht Ihnen. Vor zwei Monaten mußte man hier sein, um seine Augen an dem reizendsten Schauspiel zu weiden, und sein Herz an dem süßesten Gefühle der Natur. Madame, antwortete ich traurig, Sie sind Gattin und Mutter; dies sind Freuden, die Sie wohl kennen müssen. Sogleich ergriff Herr von Wolmar meine Hand, drückte sie mir, und sagte: Sie haben Freunde, und diese Freunde haben Kinder: wie sollte Ihnen die elterliche Liebe fremd sein? Ich sah ihn an, ich sah Julie an; beide sahen einander an, und dann mich mit einem so herzbewegenden Blick, daß ich sie nach einander umarmte, und mit Rührung sagte: Sie sind mir so theuer, als ihr mir seid. Ich weiß nicht, wie wunderlich es zugehen mag, daß ein Wort eine Seele so umwandeln kann; aber von diesem Augenblicke an scheint mir Herr von Wolmar ein anderer Mann, und ich sehe in ihm weniger den Gatten Deren, die ich so sehr geliebt habe, als den Vater zweier Kinder, für die ich mein Leben lassen würde.

      Ich wollte um das Bassin herumgehen, um den reizenden Ort und seine kleinen Bewohner näher zu besehen, aber Frau von Wolmar hielt mich zurück. Niemand, sagte sie zu mir, stört sie in ihrer Wohnung, und Sie sind sogar der erste von unseren Gästen, den ich bis hierher geführt habe. Es sind vier Schlüssel zu dem Baumgarten vorhanden, von denen mein Vater und wir beide jeder einen haben. Fanchon hat den vierten, als Aufseherin, und um manchmal meine Kinder herzuführen, eine Gunst, deren Werth dadurch erhöht wird, daß ihnen die größte Behutsamkeit für die Zeit ihres Hierseins eingeschärft ist. Auch Gustin selbst kommt nicht ohne einen von uns Vieren herein; wenn die beiden Frühlingsmonate vorüber sind, in denen hier seine Arbeit von Nutzen ist, fast gar nicht mehr; wir thun dann alles Uebrige selbst. So haben Sie, sagte ich, um Ihre Vögel nicht zu Ihren Sklaven zu machen, sich selbst zu Sklaven jener gemacht. Das ist recht die Rede eines Tyrannen, entgegnete sie, der seiner Freiheit nur so weit zu genießen glaubt, als er die Freiheit Anderer hindert.

      Als wir weggehen wollten, warf Herr von Wolmar eine Handvoll Gerste in das Bassin, und da ich hineinsah, bemerkte ich einige Fischchen. Aha, sagte ich sogleich, also doch Gefangene! Ja, sagte er, es sind Kriegsgefangene, denen man das Leben geschenkt hat. So ist es, setzte seine Frau hinzu. Vor einiger Zeit entwandte Fanchon in der Küche einige Bärschchen, welche sie ohne mein Wissen hierher trug. Ich lasse sie hier, um Fanchon nicht zu betrüben, wenn ich die Fische wieder in den See versetzte; denn es ist doch besser, ein paar Fische etwas eng zu behausen, als eine brave Person zu kränken. Sie haben Recht, antwortete ich und diese hier sind nicht zu sehr zu beklagen, daß sie dem Fischkessel um diesen Preis entgangen sind.

      Nun, was dünkt Ihnen? sagte sie zu mir auf dem Rückwege. Sind Sie noch am Ende der Welt? Nein, sagte ich, ich bin ganz außerhald ihrer, und Sie

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