Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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      Es ist geschrieben, theure Freundin, daß du zu allen Zeiten mein Schutz gegen mich selbst sein, und nachdem du mich mit so vieler Mühe aus den Schlingen meines Herzens befreit, mich auch vor denen meiner Vernunft bewahren sollst. Nach so vielen schmerzlichen Prüfungen fange ich an, mich vor Irrthümern in Acht zu nehmen, sowie vor den Leidenschaften, deren Werk sie so oft sind. Warum habe ich nicht immer dieselbe Vorsicht gebraucht! Wenn ich mich in früheren Zeiten weniger auf meinen richtigen Blick verlassen hätte, so würde ich weniger über meine Empfindungen zu erröthen gehabt haben.

      Laß dich durch diesen Eingang nicht beunruhigen. Ich würde deiner Freundschaft unwürdig sein, wenn ich mir noch in den Hauptsachen Raths bei ihr erholen müßte. Meinem Herzen war stets das Verbrechen fremd, und ist, wie ich glaube, jetzt entfernter davon, als jemals. Höre mich also ruhig an, Cousine, und sei überzeugt, daß ich über Fragen, welche das sittliche Gefühl allein entscheiden kann, nie Rathes bedürfen werde. In den sechs Jahren, seit ich mit Herrn von Wolmar in der vollkommensten Einigkeit lebe, die nur zwischen zwei Gatten herrschen kann, hat er, wie du weißt, mit mir nie über seine Familie und seine Person gesprochen, und da er mir von einem Vater zugeführt war, der aus das Glück seiner Tochter ebenso eifersüchtig ist, als auf die Ehre seines Hauses, so habe ich nie viel Begierde gezeigt, mehr über ihn zu wissen, als er gelegen fand, mir zu sagen. Zufrieden, ihm nächst dem Leben Dessen, der mir das meine geschenkt hat, meine Ehre, meine Ruhe, meine Vernunft, meine Kinder und Alles, was mir in meinen eigenen Augen Werth geben kann, zu verdanken, zweifelte ich nicht, daß das, was ich von ihm nicht wüßte, das, was mir bekannt war, nicht Lügen strafen werde, und ich brauchte nicht mehr von ihm zu wissen, um ihn zu lieben, zu schätzen, zu ehren, so sehr man kann.

      Heute Morgen beim Frühstück schlug er uns vor, einen Spaziergang zu machen, ehe es heiß würde; unter dem Vorwande, nicht im Schlafrock, wie er sagte, über Land zu laufen, führte er uns dann in die Boskets, und, Liebe, gerade in jenes Bosket, wo das ganze Unglück meines Lebens seinen Anfang genommen hat. Als wir uns diesem verhängnißvollen Orte näherten, fühlte ich mein Herz furchtbar klopfen, und ich würde mich geweigert haben, ihn zu betreten, wenn mich die Scham nicht abgehalten, und nicht die Erinnerung an ein Wort, welches früher im Elysium gefallen war, mir vor Auslegungen bange gemacht hätte. Ich weiß nicht, ob der Philosoph sich ruhiger fühlte, aber als ich einige Zeit nachher zufällig die Augen auf ihn richtete, fand ich ihn blaß, verändert, und ich kann dir nicht sagen, was für eine Pein mir das Alles machte.

      Als wir in das Bosket eintraten, sah ich, daß mein Mann mir einen lächelnden Blick zuwarf. Er setzte sich zwischen uns nieder, und nach einem kurzen Schweigen sagte er, indem er uns beide bei der Hand ergriff: Meine Kinder, ich fange an zu sehen, daß meine Pläne nicht eitel sein werden, und daß wir alle drei in einer dauerhaften Liebe vereinigt sein können, von der ich mir ein gemeinsames Glück für uns, und für mich besonders einen Trost in der herannahenden traurigen Zeit des Alters verspreche; ich kenne euch aber beide besser, als ihr mich kennt; es ist billig, unsere Stellung gleich zu machen; und obwohl ich euch nichts besonders Anziehendes zu eröffnen habe, so will ich doch jedenfalls, da ihr kein Geheimniß mehr vor mir habet, auch keines mehr vor euch haben.

      Er entdeckte uns hierauf das Geheimniß seiner Geburt, welches bis dahin nur meinem Vater bekannt gewesen war. Wenn du es erfährst, wirst du sehen, wie groß die Kalthlütigkeit und Mäßigung eines Mannes sein muß, der im Stande ist, sechs Jahre ein solches Geheimniß seiner Frau zu verschweigen; aber dieses Geheimniß ist in seinen Augen nichts, und er denkt zu wenig daran, als daß es eine große Anstrengung sein könnte, nicht davon zu sprechen.

      Ich will euch mit den Ereignissen meines Lebens nicht aufhalten, sagte er zu uns, es kann euch ja nicht so viel daran gelegen sein, meine Abenteuer als meinen Charakter zu kennen. Jene sind einfach wie dieser, und wenn ihr gründlich wisset, wie ich bin, so werdet ihr euch leicht denken können, was ich gethan haben mag. Ich habe von Natur eine ruhige Seele und ein kaltes Herz. Ich gehöre zu jenen Menschen, von denen man etwas recht Nachteiliges zu sagen glaubt, wenn man sagt, daß sie nichts fühlen, d. h. daß sie keine Leidenschaft haben, welche sie abhält, dem wahren Leitstern des Menschen zu folgen. Da ich für Freude und Schmerz wenig empfindlich bin, so empfinde ich auch nur sehr schwach jene Regungen von Theilnahme und Menschlichkeit, durch welche wir die Affectionen Anderer uns zu eigen machen. Wenn es mich schmerzt, brave Leute leiden zu sehen, so hat das Mitleid keinen Antheil daran; denn ich habe keines, wenn ich schlechte Menschen leiden sehe. Die einzige mich beseelende Kraft ist meine natürliche Liebe zur Ordnungsmäßigkeit, und ein wohlberechnetes Ineinandergreifen der Wechselfälle des Glückes und der Handlungen der Menschen giebt mir ganz dieselbe Befriedigung, wie eine schöne Symmetrie in einem Gemälde, oder wie ein gut disponirtes Theaterstück. Wenn ich eine vorwiegende Leidenschaft habe, so ist es die der Beobachtung. Ich liebe es, in den Herzen der Menschen zu lesen; da das meinige mir wenig Täuschungen bereitet, da ich kaltblütig und ohne Eigennutz beobachte, und eine lange Erfahrung mir Scharfblick gegeben hat, so Pflege ich mich in meinen Urtheilen nicht zu irren. Dies ist in der That auch der ganze Lohn, den meine Eigenliebe in meinen unausgesetzten Studien findet; denn ich liebe es nicht, eine Rolle zu spielen, sondern nur die Andern spielen zu sehen. Die Gesellschaft ist mir angenehm, um sie zu betrachten, nicht um selbst einen Theil von ihr auszumachen. Wenn ich die Natur meines Wesens ändern und ein lebendiges Reis werden könnte, würde ich diesen Tausch gern eingehen. Meine Gleichgültigkeit für die Menschen macht mich also nicht unabhängig von ihnen; ohne daß mir daran läge, von ihnen gesehen zu werden. habe ich das Bedürfniß, sie zu sehen, und ohne mir werth zu sein, sind sie mir nothwendig.

      Die beiden Stände der Gesellschaft, welche ich zuerst zu beobachten Gelegenheit hatte, waren die Höflinge und die Lakaien, zwei Menschenklassen, die mehr dem Scheine als der Wirklichkeit nach von einander verschieden, und so wenig eines Studiums werth, so leicht zu erkennen sind, daß ich sie beim ersten Blick satt hatte. Indem ich den Hof verließ, wo Alles so bald gesehen ist, entzog ich mich, ohne es zu wissen, der Gefahr, die mir daselbst drohte, und der ich nicht entgangen sein würde. Ich nahm einen andern Namen an. Um einmal den Militärstand kennen zu lernen, nahm ich Dienste bei einem fremden Fürsten. Hier hatte ich das Glück, Ihrem Vater nützlich zu sein, der seinen Freund getödtet hatte, und aus Verzweiflung hierüber tollkühn und ohne alle Schuldigkeit sein Leben aussetzte. Das tieffühlende und erkenntliche Herz dieses braven Offiziers fing nun an, mir eine bessere Meinung von der Menschheit beizubringen. Er schloß sich mir mit einer solchen Freundschaft an, daß ich ihm die meinige nicht versagen konnte, und wir unterhielten seitdem unausgesetzt eine Verbindung, die von Tage zu Tage enger wurde. Ich lernte in meiner neuen Stellung, daß das Interesse nicht, wie ich geglaubt hatte, die einzige Triebfeder der menschlichen Handlungen ist, und daß es unter der Masse von Vorurtheilen, welche gegen die Tugend streiten, auch einige giebt, die ihr günstig sind. Ich sah ein, daß das Charakteristische des Menschen im Allgemeinen eine Eigenliebe ist, die, an sich weder gut noch schlecht, das eine oder das andere nur durch die Umstände wird, welche sie bedingen, und welche selbst von den Gewohnheiten, von den Gesetzen, von Rang und Stand, Stellung und Vermögen und der gesammten Einrichtung unseres gesellschaftlichen Lebens abhängen. Ich überließ mich also meinem Hange, und die eitlen Standesvorurtheile verachtend, warf ich mich nach und nach in die verschiedenen Berufsweisen, welche mir behülflich sein konnten, alle Stände unter einander zu vergleichen und durcheinander kennen zu lernen. Ich fühlte, was auch Sie in einem Ihrer Briefe bemerkt haben, sagte er zu Saint-Preux, daß man nichts sieht, wenn man sich damit begnügt nur zu sehen, daß man selber handeln muß, wenn man die Menschen will handeln sehen, und ich wurde Schauspieler, um Zuschauer zu sein. Es ist immer leicht, herunter zu steigen; ich versuchte es mit einer Menge von Berufsarten, die zu ergreifen sich kein Mann meines Standes je einfallen läßt. Ich wurde sogar Bauer, und als mich Julie zum Gartenburschen machte, fand sie an mir keinen solchen Neuling, wie sie wohl vermuthet haben mag.

      Mit der wahren Menschenkenntniß, von der uns die müßige Philosophie nur den Schein verschafft, erwarb ich noch einen andern, unerwarteten Vortheil, nämlich, daß ich durch ein thätiges Leben die Liebe zur Ordnung, welche mir von Natur beiwohnt, steigerte, und an dem Guten durch das Vergnügen, dazu beizutragen, neues Gefallen

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