Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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keine in Abwesenheit des Angeschuldigten an. Wenn sich einer mit einer Aussage gegen einen seiner Kameraden einstellt, oder eine persönliche Beschwerde über ihn hat, so fragt man ihn, ob er hinlänglich unterrichtet ist, d. h. ob er sich mit Dem, gegen welchen er Beschwerde führt, über die Sache ausgesprochen hat. Wenn er Nein sagt, so fragt man ihn weiter, wie er über eine Handlung urtheilen könne, deren Beweggründe er nicht hinlänglich kennt. Diese Handlung, sagt man ihm, hängt vielleicht mit irgend einer anderen zusammen, die dir unbekannt ist: es ist vielleicht irgend ein besonderer Umstand dabei, den du nicht weißt, und der doch zu ihrer Rechtfertigung oder Entschuldigung dient. Wie kannst du dir getrauen, das Verfahren eines Menschen zu verdammen, ehe du die Gründe, welche ihn dabei geleitet haben, genau kennst? Ein Wort der Verständigung hätte ihn vielleicht in deinen Augen gerechtfertigt. Warum setzest du dich der Gefahr aus, sein Benehmen ungerechter Weise zu tadeln, und mich der Gefahr, an deiner Ungerechtigkeit Theil zu nehmen? Wenn er versichert, sich bereits mit dem Beschuldigten ausgesprochen zu haben, so entgegnet man ihm: Warum kommst du ohne ihn, als ob du Furcht hättest, daß er deine Behauptungen Lügen strafen werde? Was berechtigt dich, mir gegenüber eine Vorsicht zu verabsäumen, die du für dich allein nehmen zu müssen glaubtest? Ist es recht, zu verlangen, daß ich auf deinen Bericht hin, über eine Handlung urtheile, über welche du auf das bloße Zeugniß deiner Augen nicht hast urtheilen wollen? Und würdest du nicht für einen parteiischen Ausspruch verantwortlich sein, den ich thun könnte, wenn ich mich blos mit deiner Aussage begnügte? Sodann macht man ihm den Vorschlag, Den kommen zu lassen, den er anklagt; willigt er ein, so ist die Sache bald in Ordnung gebracht; versteht er sich nicht dazu, so schickt man ihn mit einem strengen Verweise fort; aber man bewahrt ihm das Geheimniß und beobachtet beide Leute so sorgfältig, daß man immer bald erfährt, wer von beiden Unrecht hatte.

      Diese Regel steht so fest und ist so bekannt, daß man nie einen Bedienten dieses Hauses von einem seiner Kameraden in dessen Abwesenheit schlecht sprechen hört; denn sie wissen Alle, daß dies das Mittel ist, für einen feigen Schuft oder für einen Lügner zu gelten. Wenn einer von ihnen einen Andern anklagt, so geschieht es frei und offen, und nicht blos in Gegenwart Dessen, den er anklagt, sondern aller Kameraden, um an den Zeugen seiner Behauptungen Bürgen seiner ehrlichen Absicht zu haben. Persönliche Streitigkeiten finden zu ihrer Ausgleichung fast immer Vermittler unter den Leuten selbst, und die Herrschaft wird damit nicht belästigt; wenn es sich aber um das geheiligte Interesse der Herrschaft handelt, so geht es nicht an, daß die Sache im Geheimen bleibe: der Strafbare muß sich selbst anklagen oder von einem Andern angeklagt werden. Diese kleinen Gerichtshandlungen sind sehr selten, und finden immer nur bei Tische statt, wenn Julie, wie sie täglich thut, zu dem Mittag- und Abendessen ihrer Leute kommt; Herr von Wolmar nennt sie im Scherze ihre großen Geschäftslage. Nachdem sie Klage und Antwort ruhig angehört hat, dankt sie, wenn die Sache den Dienst angeht, dem Ankläger für seinen Eifer. Ich weiß, sagt sie zu ihm, daß du deinen Kameraden lieb hast; du hast immer gut von ihm gesprochen, und es ist lobenswerth, daß die Liebe zur Pflicht und zu dem, was Recht ist, dir über deine besonderen Freundschaften geht; ein treuer Diener und braver Mann muß so handeln. Dann, wenn der Angeschuldigte etwa nicht Unrecht hat, sagt sie, um ihn zu rechtfertigen, irgend Etwas zu seinem Lobe. Wenn er aber wirklich strafbar ist, so erspart sie ihm vor den Uebrigen einen Theil der Beschämung. Sie nimmt an, daß er etwas zu seiner Vertheidigung zu sagen habe, was er nicht vor so vielen Leuten vorbringen wolle, bestimmt ihm eine Stunde, um ihn besonders anzuhören, und da spricht denn sie oder ihr Mann mit ihm, wie es sich gehört. Sonderbar ist dabei, daß der strengste Theil von Beiden nicht am meisten gefürchtet ist, und daß man sich aus den ernsten Verweisen des Herrn von Wolmar weniger macht, als aus Juliens zu Herzen gehenden Vorwürfen. Er, indem er die Sprache der Gerechtigkeit und der Wahrheit führt, demüthigt die Schuldigen; sie macht ihnen ihr Vergehen bitter leid, indem sie an den Tag legt, wie weh es ihr selbst thut, ihnen ihr Wohlwollen einziehen zu müssen. Oft entlockt sie ihnen Thränen der Reue und Scham, und nicht selten wird sie beim Anblick ihrer Reue selber weich, in der Hoffnung, daß es nicht nöthig sein werde, ihr Wort wahr zu machen. Mancher, der alle die Mühe, welche man sich hier in dieser Hinsicht giebt, nach dem, was bei ihm oder bei seinen Nachbarn geschieht, beurtheilen wollte, wird darin etwas Unnützes oder zu Beschwerliches finden. Sie aber, Milord, der Sie von den Pflichten und Freuden des Familienvaters eine so hohe Meinung haben, und die natürliche Herrschaft kennen, welche Geist und Tugend über das menschliche Herz ausüben, begreifen die Wichtigkeit von dem Allen, und fühlen, wie groß der Erfolg sein müsse. Reichtum macht nicht reich, heißt es in dem Roman, „die Rose." Das Gut eines Menschen liegt nicht in seinem Kasten, sondern in dem Gebrauche, den er davon macht; denn man macht das, was man besitzt, nur durch die Anwendung zu seinem Eigenthume, und die Reichthümer sind stets leichter zu erschöpfen, als der Mißbrauch, daber man nicht im Verhältniß zu dem, was man ausgiebt, Genuß hat, sondern im Verhältniß zu der Art, wie man es thut. Ein Narr kann Barren Goldes in's Meer werfen und sagen, daß er Genuß davon habe; aber welcher Unterschied zwischen diesem unsinnigen Genusse und dem, welchen ein weiser Mann sich mit geringeren Mitteln zu bereiten weiß! Nur mittelst guter Ordnung und wohlgeregelter Verwendung, wodurch man den Gütern einen mannigfaltigeren und dauernderen Nutzen abgewinnt, kann man das Vergnügen in Glück verwandeln. Wenn somit in der Beziehung, welche wir uns zu den Dingen geben, der wahre Begriff des Eigenthums liegt, wenn mehr die Anwendung des Reichthums, als denen Erwerbung uns reich macht, was kann dem Familienvater mehr am Herzen liegen, als eine zweckmäßige und wohlberechnete Verwaltung seines Hauses, bei welcher Alles in die vollkommenste Beziehung zu ihm selbst unmittelbar tritt, und das Wohl jedes Gliedes zu dem des Hauptes beiträgt?

      Sind denn die Reichsten die Glücklichsten? Was thut also der Wohlstand zur Glückseligkeit? Aber ein wohlgeordneter Hausstand ist ein Bild von der Seele des Herrn. Wandvergoldungen, Pracht und Luxus geben nur die Eitelkeit Dessen zu erkennen, der sie zur Schau stellt: überall dagegen, wo man Ordnung ohne Peinlichkeit, Ruhe ohne sklavische Furcht, Ueberfluß ohne Verschwendung herrschen sieht, kann man dreist sprechen: Ein Glücklicher gebietet hier.

      Ich für meinen Theil glaube, daß es kein zuverlässigeres Zeichen von wahrer Zufriedenheit der Seele giebt, als ein zurückgezogenes, auf die Häuslichkeit beschränktes Leben, und daß Solche, die ihr Glück immer nur auswärts suchen, bei sich zu Hause keines haben. Ein Familienvater, der sich in seinem Hause wohlfühlt, findet den Lohn für alle seine Sorgen und Mühen in dem beständigen Genusse der süßesten Gefühle der Natur. Er allein von allen Sterblichen ist der Herr seines eigenen Glückes, weil er wie Gott selbst glücklich ist, ohne etwas mehr zu wünschen, als was er genießt. Wie das unendliche Wesen, denkt er nicht daran, seinen Besitz zu vermehren, sondern ihn wahrhaft sein eigen zu machen, durch die vollkommenste Entwickelung aller Beziehungen und die zweckmäßigste Anordnung des Ganzen; bereichert er sich nicht durch neue Erwerbungen, so ist er dennoch reicher, durch den besseren Besitz dessen, was er hat. Er hatte nur den Genuß von dem Ertrage seiner Ländereien; jetzt hat er von denselben Ländereien abermals Genuß, indem er ihrer Bewirthschaftung vorsteht und sie unablässig beläuft. Sein Bedienter war ihm fremd; er macht ihn zu seinem Gute, zu seinem Kinde, er eignet ihn sich an. Er hatte ein Recht nur auf die Handlungen; er erwirbt sich eines auch auf den Willen. Er war nur Herr für sein Geld, er wird es nun durch die geheiligte Macht der Wohlthat und der Achtung und Liebe. Möge ihm das Glück seine Reichthümer rauben, die Herzen kann es ihm nicht rauben, die er sich gewonnen hat; Kinder ihrem Vater rauben kann es nicht: der ganze Unterschied ist, daß er gestern sie ernährte, morgen wird er von ihnen ernährt werden. So lernt man seiner Güter, seiner Familie und seiner selbst wahrhaft genießen; so wird jedes Kleinste, was zum Hausstande gehört, etwas Köstliches für den wackeren Mann, der den Werth desselben zu erkennen weiß: so macht er, weit entfernt, seine Pflichten als eine Last anzusehen, sich ein Glück daraus, und macht es sich durch seine herzerfreuende und edle Thätigkeit zum Ruhme und zur Lust, Mensch zu sein.

      Wenn diese kostbaren Vortheile gemißachtet oder wenig bekannt sind, und wenn selbst die kleine Zahl Derer, welche nach ihnen trachten, sie so selten erlangt, so hat dies nur eine und dieselbe Ursache. Es giebt einfache und doch erhabene Pflichten, die zu lieben und zu erfüllen die Sache Weniger ist; solcher Art sind die Pflichten des Familienvaters, die einem durch den Ton und die Unruhe, die in der großen Welt herrschen, zuwider werden, und deren man sich auch dann noch schlecht entledigt, wenn man keine anderen Beweggründe

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